Analyse: „Der Iran ist für Araber gefährlicher als Israel“

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Die Arabische Liga beruft wegen der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem zwar eine Sondersitzung ein. Doch mehr als Lippenbekenntnisse können die Palästinenser dort nicht erwarten.

Washington. Seit der Gründung Israels 1948 haben die arabischen Staaten mehrere Kriege gegen den jüdischen Staat geführt. Die meisten arabischen Länder unterhalten bis heute keine diplomatischen Beziehungen mit Israel. Nun hat die Arabische Liga eine Sondersitzung wegen der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem angesetzt. Die Staatengruppe werde den „illegalen Schritt“ bei einem Treffen am Mittwoch erörtern, meldete die ägyptische Nachrichtenagentur Mena. Doch sonst ist rund um den 70. Gründungstag Israels nicht mehr viel von der früheren Wut in den arabischen Ländern zu spüren.

Laut Umfragen haben sich insbesondere viele junge Araber mit Israel arrangiert und betrachten eine Lösung des Palästinenserproblems als weniger vordringlich als die ältere Generation. In einer Studie des Arab Center in Washington im vergangenen Jahr äußerte weniger als ein Viertel der Befragten die Ansicht, die USA sollten sich in Nahost vor allem um eine Lösung des Streits zwischen Israel und den Palästinensern widmen. Der saudische Kronprinz, Mohammed bin Salman, mit seinen 32 Jahren selbst Mitglied der jungen Generation, sorgte kürzlich mit der Aussage für Schlagzeilen, die Palästinenser sollten die US-Vorschläge für einen Nahost-Frieden akzeptieren oder „den Mund halten“.

Angst vor neuem Arabischen Frühling

Zwei Faktoren prägen die heutige Sicht der arabischen Regierungen auf Israel und das Palästinenserproblem: der Arabische Frühling und die als Bedrohung empfundene Politik des Iran. Bei arabischen Regierungen sitzt der Schock der Volksaufstände gegen autoritäre Regime von Tunesien bis zum Jemen auch heute noch tief. Nicht nur Israel fürchte eine neue palästinensische Intifada, analysierte die israelische Zeitung „Haaretz“: Arabische Staaten sorgten sich, dass ein neuer Palästinenser-Aufstand einen neuen Arabischen Frühling bei ihrer eigenen Bevölkerungen auslösen könnte. Die derzeitige Lage in den arabischen Staaten sei ungünstig für die Anliegen der Palästinenser, sagte der marokkanische Außenminister, Nasser Bourita, kürzlich.

Als US-Präsident Donald Trump im vergangenen Dezember die Anerkennung Jerusalems und die Verlegung der amerikanischen Botschaft in das auch von den Palästinensern als Hauptstadt beanspruchte Jerusalem verkündete, war die Reaktion vielsagend: Sie kam in den arabischen Hauptstädten über mehr oder weniger leidenschaftliche Lippenbekenntnisse zum Anliegen der Palästinenser nicht hinaus. Nur die Palästinenser selbst gingen auf die Straße.

Ein von der Türkei durchgesetzter Appell, die islamischen Staaten sollten Jerusalem ihrerseits offiziell als Hauptstadt der Palästinenser deklarieren, wurde in der ganzen Region ignoriert. Auch am 70. Gründungstag Israels ging kein anti-israelischer Ruck durch die arabische Welt.

Die saudische Zeitung „Al-Riad“ brachte die Haltung vor Kurzem auf den Punkt: „Die Araber müssen erkennen, dass der Iran gefährlicher für sie ist als Israel.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2018)

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