Der Begriff des "Taufscheinkatholiken" ist analog auch in der muslimischen Community zu finden. Der Zentralrat der Ex-Muslime will Auffangbecken für säkulare Muslime sein und Hilfestellung beim Austritt geben.
WIEN.Mehr als 500.000 Menschen in Österreich sind Muslime. Doch diese Zahl sagt nichts darüber aus, ob es sich dabei tatsächlich um gläubige Anhänger des Islam handelt. Der Begriff des „Taufscheinkatholiken“ ist analog auch in der muslimischen Community zu finden – Menschen, die vielleicht noch die eine oder andere Tradition leben, sonst aber ein weitgehend säkulares Leben abseits von Religion führen.
Von denen gibt es gar nicht so wenige, nur werden sie in der Gesellschaft von keiner Institution vertreten. Noch – denn gestern, Freitag, wurde in Wien der „Zentralrat der Ex-Muslime“ gegründet, der ein Auffangbecken für genau jene Menschen sein soll, die zwar auf dem Papier Muslime sind, in Wirklichkeit jedoch nicht viel damit anfangen können.
Telefonhotline für Jugendliche
Aufklärung unter Muslimen hat sich der Verein zum Ziel gesetzt: Kopftuch und Minarett seien elitäre Zeichen des Islam, Antisemitismus werde oft hinter Israelkritik versteckt. Abseits davon will man aber auch konkret für Menschen da sein: „Wir wollen Hilfestellung für Kinder aus muslimischen Familien anbieten, die keinen Ansprechpartner haben“, sagt Gründer Cahit Kaya. Eine Beratungsstelle à la „Rat auf Draht“ soll zu diesem Zweck eingerichtet werden. Finanziert werden soll die Arbeit durch Spenden und Sponsoren. „Aber“, so der 30-jährige Grafiker und Student der Politikwissenschaft, „da sind wir noch auf der Suche.“ Auch ein Vereinslokal oder eine Homepage kann man deshalb noch nicht vorweisen. Dass aus dem Verein eine Massenbewegung wird, die als Gegengewicht zu den zahlreichen religiösen Vereinen und der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), die sämtliche Muslime des Landes vertritt, auftreten kann, danach sieht es vorläufig noch nicht aus. „Die Basis“, sagt Kaya, „sind momentan an die 20 Leute.“ Um Mitgliederstärke geht es aber gar nicht vordergründig – eher um die Präsenz, das Sich-zu-Wort-Melden, wenn über muslimische Themen diskutiert wird.
Das deutsche Pendant und Vorbild, das bereits 2007 gegründet wurde, praktiziert das bereits erfolgreich. Im Frühjahr 2009 wurde ein Schweizer Ableger gegründet, nun sind die Österreicher dran. Galionsfigur ist die Islamkritikerin und Feministin Mina Ahadi, die wegen ihrer politischen Aktivitäten aus dem Iran fliehen musste – erst nach Wien, dann nach Deutschland, wo sie schließlich die Mutterorganisation der Ex-Muslime ins Leben rief. Für Ahadi blieb dieser Schritt nicht folgen-los – nach Drohungen gegen sie wurde sie unter Polizeischutz gestellt. Ein Schicksal, mit dem auch Cahit Kaya rechnet: „Ich rechne damit, dass mir Apostasie vorgeworfen wird.“ Zwar gilt im Koran der Grundsatz der Religionsfreiheit, doch im islamischen Recht gibt es Auslegungen, wonach Abfall vom Glauben im Extremfall mit dem Tod bestraft werden kann – auch wenn das selbst in islamischen Staaten kaum exekutiert wird. Doch in vielen Familien, so Kaya, gelte ein Austritt noch als Tabu.
Austritt am Magistrat
In Österreich kann der Austritt aus dem Islam wie aus jeder anderen Religionsgemeinschaft erfolgen – mit einem Formular bei der zuständigen Behörde, in Wien etwa dem Magistratischen Bezirksamt. „Man kann Menschen nicht zu etwas bewegen, was sie nicht glauben“, sagt IGGiÖ-Sprecherin Carla-Amina Baghajati.
Dass sich der Zentralrat formiert hat, sieht sie als „selbstverständlichen Vorgang, dass Menschen eine Interessengemeinschaft bilden“. Begeistert davon sei sie aber logischerweise nicht.
Die IGGiÖ wird wohl auch einer der wichtigsten Sparringpartner für den neuen Zentralrat sein, stößt man sich doch an deren Alleinvertretungsanspruch. Und auch an der Deutungshoheit über islamische Themen. „Der Versuch, Menschen zu erziehen, kommt ja nicht immer aus der Familie“, meint Kaya, „sondern von außen. Und das lehnen wir ab.“
Auf einen Blick
■Cahit Kaya(30) ist türkisch-kurdischer Herkunft und wuchs in Vorarlberg auf. Der Grafiker ist Gründer des „Zentralrats der Ex-Muslime“ in Österreich. [Clemens Fabry]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2010)