„Digitalis Trojana“: Dystopie mit Kanzler-Klon im Schauspielhaus

Weiße Frau (Jaschka Lämmert) gesucht! Sie will das System stürzen.
Weiße Frau (Jaschka Lämmert) gesucht! Sie will das System stürzen. (c) Schauspielhaus Wien Matthias Heschl
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Mit der Uraufführung von „Digitalis Trojana“ fand die gescheiterte Seestadt-Saga ein erfreuliches Ende: Erkundet wird die Überwachung zwischen Kommerz und politischer Manipulation.

Wie würde das Trojanische Pferd heute aussehen? Wie Facebook? Wiens Schauspielhaus zeigt „Digitalis Trojana“ von Bernhard Studlar. Der Untertitel „Der See, die Stadt und das Ende“ erinnert an Rainer Werner Fassbinders umstrittenes Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ (1975), in dem es um den Niedergang einer Stadt durch Immobilienspekulation geht, konkret um einen jüdischen Spekulanten. Fassbinder wurde Antisemitismus vorgeworfen. Das Grundproblem, der Einfluss von Immobilienspekulation auf die Stadtentwicklung, ist freilich virulent geblieben.

Das Theater will immer wieder aus seinen angestammten Räumen fliehen, dies ging für das Schauspielhaus hier schief. Die auf Youtube nach wie vor präsente Seestadt-Saga, eine Art Reality-Show, musste wegen Feindseligkeiten der echten Bewohner der Seestadt Aspern abgebrochen werden. Das wurde bei einer Pressekonferenz bekannt gegeben. Fakt oder Fake News? Jedenfalls: Verständnis für die Seestädter ist durchaus angebracht, wer möchte schon vor seiner Haustür eine Dystopie beobachten, bei der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion auf unheimliche Weise, verstärkt durch Multimedia, verschwimmen?

Die Seestadt-Saga ist nun ins „sichere“ Schauspielhaus zurückgekehrt – und sie ist sehenswert. Bernhard Studlar (45), gebürtiger Wiener, der in Berlin szenisches Schreiben studiert hat, im Akademietheater die bittersüße Elegie „Transdanubia Dreaming“ zeigte und mit dem Regisseur Hans Escher der verdienstvollen, Diversität fördernden, Schreibwerkstatt Wiener Wortstätten vorsteht, ließ sich von Vätern der Science Fiction inspirieren: vom Russen Jewgeni Samjatin, der in seinem Roman „Wir“ (1920) Gewalt und Gleichmacherei der Russischen Revolution kritisierte, von Aldous Huxley („Schöne, neue Welt“) und George Orwell („1984“).
Die Geschichte: In der Seestadt Aspern lebt eine glückliche Community, die nach den Gesetzen eines großen Wohltäters funktioniert, der sie rund um die Uhr kontrolliert, sogar beim Sex. Doch eines Tages entweicht eine weiße Frau, die in der Überwachungszentrale beschäftigt war. Außerdem probt in einem Keller ein arbeitsloser Schauspieler den Aufstand – mittels Theater und seiner Frau, die aber gleichzeitig redaktionell getarnte Werbesendungen für die Diktatur moderiert.

Schauspielhaus-Chef Tomas Schweigen hat das nicht unbedingt originelle, aber gerade durch seine altmodische Seriosität und das Fischen in vielen Quellen und Theorien spannende Drama inszeniert. Das Ensemble ist köstlich, etwa Anton Widauer als Supersaubermann Mario Herz, ein hübscher Jüngling im schneeweißen Anzug, der seinen federnden Gang, seinen geraden Blick und sein cooles Charisma bei Schauspielern einstudiert, und Kanzler Sebastian Kurz ähnelt. Die weiße Frau (Jaschka Lämmert) lässt sich vom gemeinen Technik-Genie (Jesse Inman) zwar zu einem Schnaps verführen, aber dann überschreitet sie Grenzen und geht durch Mauern.

Damit bringt sie auch die Rebellen in Gefahr, Moderatorin Vera (Vera von Gunten sind die interessantesten Verwandlungen vergönnt), ihren Mann Schindl (Sebastian Schindegger) und deren gemeinsame Tochter Kathi (Antonia Jung), die sich dem System zu entziehen versucht, in dem sie auf Handy und Computer verzichtet, vergebens. Schweigen bringt Studlars schlichte, aber einprägsame und menschliche Figuren bestens zur Geltung und sorgt in eindreiviertel Stunden ohne Pause für ideales Timing ohne Fadesse. Schauspielhaus-Pressesprecher Hubert Weinheimer von der Band Das Trojanische Pferd erfreut mit dramatischen Songs und John Lennon. Das Programmheft bietet erneut viel lesenswerte Theorie und Diskurs - zum Thema Überwachung, Manipulation, Facebook und das Geschäft mit persönlichen Daten. Alles in allem: Sehenswert. Und animierend für Fernstehende, sich die viel besprochene echte Seestadt Aspern einmal näher anzuschauen.

Das Theater holt sich Blessuren beim Versuch das System zu stürzen: Schindl (Sebstian Schindegger, l.) und der große Wohltäter Mario Herz (Anton Widauer)
Das Theater holt sich Blessuren beim Versuch das System zu stürzen: Schindl (Sebstian Schindegger, l.) und der große Wohltäter Mario Herz (Anton Widauer) (c) Schauspielhaus Wien Matthias Heschl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2018)

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