Wenn Sport mit Politik verschmilzt

Bundestrainer Joachim Löw gab am Dienstag nicht nur den deutschen WM-Kader bekannt, er stellte sich auch schützend vor Mesut Özil und Ilkay Gündogan. vorlŠufiger WM-Kader
Bundestrainer Joachim Löw gab am Dienstag nicht nur den deutschen WM-Kader bekannt, er stellte sich auch schützend vor Mesut Özil und Ilkay Gündogan. vorlŠufiger WM-Kader(c) APA/dpa/Ina Fassbender
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Joachim Löw beendete alle Spekulationen über einen WM-Rauswurf von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit wenigen Worten. „Selbstverständlich nicht. Daran habe ich nicht gedacht.“

Dortmund/Wien. Das Duo wegen des umstrittenen Treffens mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht für die WM in Russland zu berufen, kam für den Bundestrainer überhaupt nicht infrage.

Und doch war die Erdoğan-Affäre bei der Nominierung des vorläufigen Aufgebots der Nationalmannschaft im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund am Dienstag ein Thema, das weder der Weltmeister-Coach noch DFB-Chef Reinhard Grindel ignorieren konnten. „Das war keine glückliche Aktion. Wenn man für Deutschland spielt, dann vertritt man das Land und die deutschen Werte“, sagte Löw. Und äußerte doch „ein bisschen Verständnis“ für die schwierige Situation von Spielern mit Migrationshintergrund. „Es ist nicht immer so leicht, das unter einen Hut zu bringen.“

Nach den klaren Worten Grindels am Montag, der Özil und Gündogan vorhielt, sie hätten sich von Erdoğan bei dem Wahlkampf-Termin in London „missbrauchen lassen“, folgten nun relativierende Aussagen. Das Ziel war klar: Die heikle Aktion, die sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem von ihrem Sprecher Steffen Seibert vorgetragenem Statement veranlasste, soll keineswegs die anstehende WM-Vorbereitung belasten.

Es sei eine Situation gewesen, „die Fragen aufwarf und zu Missverständnissen einlud“, sagte Seibert in Merkels Namen in Berlin. Als Nationalspieler hätten die beiden Vorbildfunktion. Diese will Löw den Mittelfeldspielern nicht absprechen. „Ich kenne beide länger. Beide haben für die Integration sehr viel getan. Ich glaube, es ist eine Lehre für sie. Sie werden darüber nachdenken. Wir werden auch im Trainingslager noch einmal darüber reden“, sagte Löw, der seinen Vertrag als Bundestrainer bis 2022 verlängerte. Der neue Kontrakt von Teammanager Oliver Bierhoff läuft sogar bis 2024.

Auch Grindel wollte beschwichtigend wirken und forderte einen moderaten Umgang mit Özil und Gündogan. „Menschen können Fehler machen, und wir müssen das Maß wahren. Ich glaube, dass beide wissen, dass sie einen Fehler gemacht haben“, sagte er. „Einiges, was wir in digitalen Medien lesen, scheint mir übertrieben“, sagte Grindel. Teammanager Oliver Bierhoff kündigte an, mit allen WM-Akteuren über politisch und gesellschaftlich relevante Themen sprechen zu wollen. Mit Özil und Gündogan habe er sich bereits unterhalten. Man müsse aber auch verstehen, „wie Türken ticken“.

Der kulturelle Wandel des DFB

Die Affäre ist für den DFB ein sportpolitisches Ärgernis. Grindels erste harsche Reaktion auf die Erdoğan-Bilder wirkt aber auch berechnend. Endlich kann er die Türkei, dem einzigen Konkurrenten um die Gastgeberrolle für die EM 2024, politische Vorhaltungen machen, was im Bewerbungsprozess der Uefa eigentlich untersagt ist. „Aber der Fußball und der DFB stehen für Werte, die von Herrn Erdoğan nicht hinreichend beachtet werden“, sagte Grindel.

Die Retourkutsche aus Istanbul ließ nicht lange auf sich warten. Der türkische Fußballverband (TFF) wies die DFB-Kritik als inakzeptabel zurück. Die „diffamierenden Aussagen“ von Grindel habe er mit tiefer Bestürzung zur Kenntnis genommen, teilte der TFF-Vorsitzende Yildirim Demirören mit. Demirören, der als Gefolgsmann Erdoğans gilt, warf Grindel vor, „den Fußball in die Politik hineinzuziehen“. Unabhängig vom Einfluss auf den laufenden EM-Wahlkampf konterkarieren Özil und Gündogan die Bemühungen des Verbandes, um die Vermittlung von Werten des gesellschaftlichen Miteinanders jenseits von Herkunft, Religion und Hautfarbe.

Özil und Gündogan gehören zu der Fußballer-Generation, die den kulturellen Wandel im DFB gefördert und genutzt haben. Das Engagement des DFB war auch sportlich motiviert. In der Talsohle der Jahrtausendwende erkannte der Verband nach dem WM- und EM-Titel der französischen Multi-Kulti-Nationalmannschaft 1998 und 2002, dass viele Talente mit ausländischen Vorfahren im eigenen Land dem Nationalteam hilfreich sein können. Das Konzept ging auf. Zu den Weltmeistern 2014 gehörte ein halbes Dutzend Spieler mit ausländischen Wurzeln, darunter auch der bei Arsenal beschäftigte Özil.

Ohne Götze zur WM

Joachim Löw sparte mit ganz großen Überraschungen bei der Bekanntgabe seines erweiterten, 27 Mann starken WM–Kaders. Torhüter Manuel Neuer, seit Monaten verletzt, bekommt in der Vorbereitung die Chance, sich zu beweisen. Nicht mit nach Russland fahren der WM-Goldtorschütze von 2014, Mario Götze, und Sandro Wagner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2018)

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