Gewalt: „Schüler suspendieren ist zu wenig“

Zahlen dazu, wie weit verbreitet Gewalt an Schulen ist, sollen bis zum Herbst vorliegen
Zahlen dazu, wie weit verbreitet Gewalt an Schulen ist, sollen bis zum Herbst vorliegen(c) imago/Ikon Images
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Bei einem runden Tisch wurden erste Maßnahmen gegen Gewalt an Schulen paktiert: Es sollen Zahlen erhoben, Lehrern soll durch Broschüren „der Rücken gestärkt werden“.

Wien. Die Berichte über Gewalt an Schulen häuften sich in den vergangenen Wochen und Monaten: Da erzählten Pädagogen in Zeitungen von Schülern, die ihre Lehrer bespucken, sie an den Haaren reißen und ihnen Knochen brechen. Und da war von Gewalt zwischen Schülern, etwa von jenem Jugendlichen, der erst vor zwei Wochen auf seinen Mitschüler einstach, zu lesen. „Das Phänomen wächst – und zwar quantitativ wie qualitativ“, sagte der oberste Pflichtschullehrergewerkschafter Paul Kimberger zuletzt in der „Presse“.

Als Reaktion auf diese Entwicklung hat der Wiener Stadtschulrat gestern, Dienstag, zu einem runden Tisch geladen und Maßnahmen gegen Gewalt an Schulen angekündigt. Bis zum Herbst sollen nun einmal die Fakten zusammengetragen werden. Denn bisher ist man sich nicht einmal über das tatsächliche Ausmaß des Problems einig. Die kolportierte Zahl von 1600 Strafanzeigen, die im Vorjahr in Wien allein wegen Gewalt gegen Lehrer eingebracht worden sein sollen, kann von der Polizei weder bestätigt noch nachvollzogen werden. Derartige Statistiken führe man nämlich gar nicht. Das soll sich nun ändern. „Das Thema Gewalt an Schulen muss endlich anhand von Fakten diskutiert werden. Deshalb ist es grundlegend, dass alle erfassbaren Daten hierzu bald auf dem Tisch liegen“, sagt Bildungsdirektor und Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer nach dem Gespräch mit insgesamt mehr als 40 Vertretern aus Polizei, Politik, Religionsgemeinschaften, Lehrer-, Eltern- und Schülerschaft.

42 Suspendierungen in Wien

Im Herbst wird es neuerlich einen runden Tisch geben. Bis dahin sollen Untergruppen Lösungen erarbeiten. Eines ist bereits klar: Es soll Änderungen bei der Suspendierung eines Schülers vom Unterricht geben. „Schüler zu suspendieren ist zu wenig. Suspendierung soll nicht nur einen temporären Schulverweis bedeuten, sondern auch zu einer direkten Kontaktaufnahme mit einer anderen Institution – also etwa mit der Polizei oder der Jugendwohlfahrt – führen“, sagt Bildungsdirektor Himmer.

Suspendierungen sind laut Schulunterrichtsgesetz derzeit nur dann möglich, wenn „das Verhalten des Schülers eine dauernde Gefährdung von Mitschülern oder anderen an der Schule tätigen Personen hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums darstellt“. Sie darf maximal vier Wochen dauern und wird vom Stadtschulrat auf Ansuchen der Schule ausgesprochen.
Im vergangenen Schuljahr ist das laut Stadtschulrat 42-mal passiert. Von der bei Suspendierungen künftig geplanten verpflichtenden Kontaktaufnahme mit der Polizei, der Jugendwohlfahrt oder anderen Institutionen erhofft sich der Stadtschulrat, dass die Schüler nach einer Suspendierung weniger gewaltbereit zurückkehren. Es soll eine Art Begleitung für die suspendierten Schüler geben.

Zudem sollen für Lehrer, Eltern und Schüler jeweils zwei Broschüren zum Thema Gewalt in der Schule ausgearbeitet werden. „Oftmals ist die Kenntnis darüber, was in der Schule erlaubt und was verboten ist, aber auch darüber, was man im Falle von Zuwiderhandlung tun kann, zu gering“, sagt Bildungsdirektor Himmer. Mit den Broschüren wolle man den Lehrern „den Rücken stärken und ihre Handlungsfähigkeit erhöhen“. Sie sollen etwa darüber informiert werden, wann bestimmte Vorfälle angezeigt werden können bzw. müssen, sowie über „passende disziplinarische Sanktionen“.

„Nur eine schöne PR-Sache“

Für Thomas Krebs (FCG), den Vorsitzenden des Zentralauschusses der Wiener Lehrer, der mit am runden Tisch saß, ist das nicht mehr als „eine schöne PR-Sache“, wie er im Gespräch mit der „Presse“ sagt. „Einen Schüler, der gerade dabei ist, seiner Lehrerin einen Sessel nachzuwerfen, wie wir das zuletzt erlebt haben, wird auch die Broschüre nicht von seiner Tat abhalten.“ Die Schule brauche „Taten und keine Broschüren“, so der Gewerkschafter. Man müsse über eine Ausweitung der Sanktions- und Suspendierungsmöglichkeiten wie über Unterstützungsmaßnahmen sprechen. So gebe es zu wenig Schulpsychologen. „Was wir hier machen, ist fahrlässig“, sagt Krebs.

Auf einen Blick

Erste Maßnahmen gegen Gewalt an Schulen wurden bei einem runden Tisch mit Polizei-, Parteien-, Religions-, Lehrer-, Schüler- und Elternvertretern am Dienstag im Wiener Stadtschulrat paktiert. Es sollen Zahlen erhoben und Broschüren erarbeitet werden. Änderungen sind bei der Suspendierung eines Schülers geplant. Hier soll u. a. die Jugendwohlfahrt eingeschaltet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2018)

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