"Es war ein Befreiungsschlag"

Die Mädchen, die in Bruno Kreiskys Regierungszeit Frauen wurden, gehörten einer "goldenen Generation" an. Sie durften den Feminismus genießen und die letzten Tabus brechen.

Eva wird demnächst 50. Ihr halbes Jahrhundert schreckt sie nicht besonders. Eher macht es sie stolz. „Es ist so viel passiert in dieser Zeit“, sagt sie. „Ich konnte so viel probieren, so viel verwerfen. Ich konnte meine Fehler machen und mich an meinen Erfolgen freuen. Und alles davon, egal ob gut oder schlecht – es war meines.“

Eva war zehn, als Bruno Kreisky an die Macht kam. Er ging ins Bundeskanzleramt, sie ins Gymnasium. Als die Fristenlösung Gesetz und die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe verankert wurde, war sie 15, verliebte sich, schneiderte einen Midirock, hörte Suzi Quatro, ging in die Tanzschule und trug abwechselnd Latzhose, Afghanen und Stöckelschuhe. In dem Jahr (1979), in dem Johanna Dohnal als Staatssekretärin für Frauenfragen in die Regierung geholt wurde – und drei weitere Frauen mit ihr –, machte Eva ihren Führerschein, fuhr in den Ferien mit zwei Freundinnen Interrail und fing mit dem Studium an. „Ich hatte damals echt die Qual der Wahl“, sagt sie. „Es gab kaum eine Studienrichtung, von der einem abgeraten wurde. Mit dem Gedanken, nach dem Abschluss keinen Job zu finden, mussten wir uns nicht sehr intensiv auseinandersetzen.“

Rebellin sein war leicht. Eva gibt freimütig zu, dass sie einer „goldenen Frauengeneration“ angehörte. Die Mädchen, die während der Regierungszeit Bruno Kreiskys zu Frauen wurden, waren die ersten, für die bereits relativ selbstverständlich war, wofür andere noch auf die Straße gegangen waren. Sie surften gelassen auf der zweiten Welle des Feminismus, immer bereit für den nächsten Sprung. Gleichzeitig aber setzte ihnen das System gerade noch genügend Widerstand entgegen, um sie herauszufordern und ihrem Versuch, die Situation der Frau weiter zu verbessern, Sinn und Richtung zu geben. Sie konnten aus einem bunten Strauß von „role models“ wählen und kamen heim zu Müttern, gegen die es sich zu kämpfen lohnte. Rebellinnen und solche, die es werden wollten, hatten es verhältnismäßig leicht: Tabus waren noch nicht Mangelware; sie zu brechen, war teilweise recht billig und bedeutete keine Gefahr für Leib und Leben.

„Die Zeit damals war für mich wie ein Befreiungsschlag“, erinnert sich Johanna Kühbauer vom SP-nahen Renner-Institut, wo sie in der Frauenabteilung mitarbeitete. „Und nicht nur für mich, ein Mädchen vom Lande. Wir alle bekamen damals ein völlig neues Selbstbewusstsein.“

Bruno Kreisky half mit, dieses Selbstbewusstsein zu fördern. Vor allem in der Bildungspolitik. Standen die 1960er-Jahre unter dem Zeichen, das Bildungsangebot auszuweiten, waren die Jahre der Kreisky-Regierung von der Forderung nach mehr Gleichberechtigung auf dem Bildungssektor geprägt. Bildungsbarrieren für Mädchen wurden abgeschafft, 1975 wurde der koedukative Unterricht an öffentlichen Schulen gesetzlich verankert.

Nicht immer aber war Kreisky von Neuerungen überzeugt, manchmal wurde er halb gezogen und halb gestoßen. Und doch riskierte er im Zweifelsfall: wie in der umstrittensten frauenpolitischen Maßnahme seiner Ära – der Fristenlösung, die 1975 den Paragraf 144 abschaffte und Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei stellte.

Eva war auch Nutznießerin dieser Entwicklung. Als sie mit 21 feststellte, dass sie schwanger war, stellte sie auch fest, dass ihr Freund nicht halb so begeistert von der Idee war wie sie. Und sie selbst war schon nicht überzeugt. Also ging sie zum Schwangerschaftsabbruch auf den Fleischmarkt. Allerdings mit mehr als gemischten Gefühlen. „Ich hab das nicht so locker genommen wie einige meiner Freundinnen, die zwei, drei oder auch vier Mal abgetrieben haben. Ich habe bis zur letzten Minute überlegt, ob ich vom Tisch springe. Noch viele Jahre danach habe ich mir diesen Tag jedes Jahr im Kalender eingetragen.“

Bruno Kreisky hätte Evas zwiespältige Gefühle dem Thema gegenüber geteilt. Obwohl die Fristenlösung sein wohl wichtigstes Vermächtnis an Österreichs Frauen war, stand er der Forderung durchaus skeptisch gegenüber. „Kreisky war am Anfang nicht dafür“, erinnert sich Hildegard Steger-Mauerhofer, die sich zuerst in der Löwelstraße um „alternative und Projektgruppen“ kümmerte und dann im Renner-Institut die Frauenabteilung aufbaute. „Er tendierte zu einer Indikationenlösung, bei der der Schwangerschaftsabbruch nur unter bestimmten Bedingungen gestattet wird. Er hatte Angst, dass dieses Thema die SPÖ die Wahlen kosten könnte.“

Letzten Endes aber habe die Fristenlösung genau das Gegenteil bewirkt, ist sich Steger-Mauerhofer sicher – und hat den Sozialdemokraten die Wahlen gewonnen. Trotz heftiger Proteste der Abtreibungsgegner, trotz Volksbegehren der „Aktion Leben“, trotz massiver gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, gaben letztlich die Frauen den Ausschlag, die nicht länger auf den Küchentischen der Engelmacher ihr Leben – und ihre Freiheit – riskieren wollten. Der ideologische Kampfschrei „Mein Bauch gehört mir“ traf sich mit den praktischen Überlegungen jener Frauen, die nicht das Geld hatten, um privat für sichere Abtreibungen zu bezahlen. Christian Fiala, Leiter einer Klinik für Schwangerschaftsabbruch in Wien, ist sicher, dass die Legalisierung der Abtreibung „ein Gesetz beseitigt hat, das wirkungslos und gefährlich für Frauen“ war.

Eva stimmt ihm zu. Auch wenn ihre persönliche Bilanz der Kreisky-Jahre einen anderen, positiveren Beigeschmack hat. „Wir lebten in dem Gefühl, dass alles möglich ist. Und das war nicht nur, weil wir jung waren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Innenpolitik

Aufbruch ins Ungewisse

Die "Wende" 1970. Der Wahlsieg Bruno Kreiskys über die regierende ÖVP überraschte alle.
Alte Medien
Medien

Der "Alte" und die Medien

Kreiskys Spiel mit Journalisten, die fleißig (r)apportierten. Leitartikler wollte er gern werden, in der "Arbeiter-Zeitung" oder in der "Presse". So diktierte er uns seine Sentenzen in den Notizblock.
Österreich

Monumente eines Sonnenkönigs

Kreisky hat viele Bauten hinterlassen, einige gegen den Willen des Volkes. Warum Zwentendorf und das Austria Center heute trotzdem stehen.
Erbe SchuldenBruno
New Articles

Das Erbe des "Schulden-Bruno"

Der wohl mächtigste Kanzler der Zweiten Republik war in Wahrheit nur der Schuldenkönig. Was von der Ära Kreisky bleibt, ist der Vorwurf, die Politik des „Deficit-Spending“ salonfähig gemacht zu haben.
Linke Utopien Unis
Hochschule

Kreiskys Erbe: "Linke Utopien" an den Unis

Bildungspolitik der Ära Kreisky: Hertha Firnberg mischte die Universitäten nachhaltig durch. Fred Sinowatz hatte in der Schulpolitik weniger Erfolg.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.