Standleitung nach Mallorca

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Standleitung nach Mallorca(Archiv)
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Die Kinder der 70er wuchsen im Bewusstsein beschützter Gewissheit auf: Karajan dirigiert, König zelebriert und Kreisky regiert. Bis zum erstaunten Erwachen.

Fred Sinowatz. Die Idealbesetzung für die Verfasstheit eines Landes. Schwitzend und stammelnd, liebevoll unsicher präsentierte sich 1983 der neue Bundeskanzler der Öffentlichkeit und versuchte nicht einmal ansatzweise zu verbergen, dass er die Lücke, die sein Vorgänger hinterließ, nicht für ausfüllbar hielt. Schon gar nicht durch ihn selbst. Aber auch nicht durch sonst jemanden.

Der Wunsch nach einer Standleitung ins sonnige Mallorca, über die die Geschicke der Nation auch weiterhin gelenkt werden könnten, war beim bisherigen Unterrichtsminister nur allzu spürbar. Denn Bruno Kreisky, nach 13 Jahren an der Spitze der Regierung, hat sich mittlerweile auf seinen spanischen Alterssitz zurückgezogen. Fast fühlte es sich an, als wäre ein Teil von Österreich nach Mallorca übersiedelt. Von dort aus begleitete und tadelte der abgedankte Sonnenkanzler mit wachsendem Groll und Bart bis zu seinem Tod im Jahr 1990 sein Land und seine Partei. Auch noch als Notnagel Sinowatz längst seinen Platz für den nächsten SPÖ-Dauerkanzler, Franz Vranitzky, geräumt hatte.

Damalige Teenager hatten ihr ganzes Leben in einem Wirtschaftswunderland mit personeller Kontinuität verbracht: Herbert von Karajan dirigierte die Philharmoniker, Kardinal Franz König zelebrierte im Stephansdom. Und als dominierender Teil dieses für das Land typischen Triumvirats aus Kunst, Kirche und Politik thronte Bruno Kreisky über allen. Und allem.

Noch heute können die Kinder von damals die Namen des Kabinetts der SP-Alleinregierung aufsagen, wie sonst nur die Aufstellung des Fußballnationalteams des Jahres 1978: hier Hans Krankl, Herbert Prohaska, Friedl Koncilia, Bruno Pezzey, Walter Schachner, dort Hannes Androsch, Hertha Firnberg, Christian Broda, Josef Staribacher, Ingrid Leodolter. Ein (bis auf den im Vergleich fast grellbunten Hannes Androsch) scheinbar altersloser Haufen, der in Regierungsdingen die gleiche Sicherheit und Selbstverständlichkeit ausstrahlte, wie zu Hause die Oma, wenn sie in die Keksdose griff: Es war immer etwas drinnen, und das, was drinnen war, war immer gut. Und dazu noch sättigend.

Kreiskys „Ich bin der Meinung...“ wirkte in Timbre und Geschwindigkeit wie die Gute-Nacht-Geschichte der Großeltern, die bösen Träumen erst gar keine Chance lässt. Und auch im Westen Österreichs, wo das Unbehagen gegen die rote Alleinherrschaft im Bund noch durch stabile schwarze Landesmehrheiten abgefedert wurde, herrschte der Eindruck: Alles zwar sehr teuer, aber zumindest nicht so, dass man sich dafür schämen müsste.


Der Trick mit der Weltpolitik. Im neuen Medium Fernsehen – die Generation Kreisky war die erste, die damit aufwuchs – konnte der Kanzler souverän punkten. Während seine Kollegen – allen voran die der ÖVP – die Möglichkeiten des Mediums nicht verstanden, und eher Auszüge aus Reden hölzern zum Besten gaben, spielte der SPÖ-Chef mit seinen Interviewern. Große weite Welt mit Wohnsitz in Döbling statt ländlicher Kulisse.

Der kleine Trick mit der Weltpolitik funktionierte bei einer ganzen Generation: Wie selbstverständlich wähnten wir uns mit Bruno Kreisky im Zentrum des globalen Geschehens, auf Du und Du mit Jassir Arafat, Golda Meir, Olof Palme und all den anderen mehr oder weniger guten Freunden Kreiskys. Dass die Kontakte in den arabischen Raum besser als die nach Israel waren, kümmerte kaum jemanden. Arabische Staatschefs wirkten in FS1 und FS2 auch exotischer als etwa Schweizer. Den „Erfolg“ der diplomatischen Vermittlungsversuche des Kanzlers hinterfragten wir ebenso wenig wie unsere tatsächliche Bedeutung. In jeder Schulklasse stand wie selbstverständlich die weltpolitische Bedeutung Österreichs am Lehrplan – nicht nur wegen des neuen UNO-Standorts Wien.

Die Schulbücher in der Ära Kreisky brannten den Kindern das Bild des glücklichen Österreichs ein: Österreichs Neutralität, die im Gegensatz zur Schweiz schon damals ohne großen Militäretat auskam, würde jeden Feind abhalten. Die Lehrer glaubten ihr Mantra offenbar selbst, dass die geostrategische Bedeutung des Brenners und damit ganz Österreichs sei dermaßen hoch, dass der Russe nie einen Angriff wage. Und der Amerikaner wisse das natürlich auch. Atomwaffen gab es zwar, aber wie die Kraftwerke dazu nicht bei uns, sondern nur – aus kindlicher Sicht – in weiter Ferne. Ein Atomkrieg war so utopisch wie ein schwacher Schilling. Der Gedanke, dass mit dem plötzlichen Ende des Kalten Kriegs die Sicherheit Österreichs höher sein sollte, war den Kreisky-Kindern daher auch nie ganz geheuer. Dass der Balkan-Krieg dann quasi vor der Haustür stattfand, bewies dies geradezu.

Geostrategisch war vielleicht weniger der Brenner und seine angebliche militärische Bedeutung der Grund für das kleinstaatliche Selbstbewusstsein, sondern die immer wieder zitierte Lage zwischen den großen Blöcken. Die (im Grunde ja klaustrophobische) Position „im Herzen Europas“, wie es in vielen Reklamebroschüren hieß, sorgte für das angenehme Gefühl der Einzigartigkeit, das niemand zu beenden wagte.

Heute sind wir einer von mehreren mittelosteuropäischen Kleinstaaten mit den üblichen Problemen. Die gab es damals überhaupt nicht: Streiks? Das machen die Italiener! Arbeitslose? Nur im Fernsehen. Regierungskrisen? Nicht bei absoluter Mandatsmehrheit. Wirtschaftskrise? Da war zwar eine Energiekrise, aber dann ging es steil bergauf: Sozialpartnerschaft, boomende Export- und Tourismuswirtschaft. Nur das Wort Marktwirtschaft hörte man selten. Kreiskys legendäres Diktum von gutem Schlaf, Vollbeschäftigung und ein paar Millionen mehr von allem prägte eine Generation: Nur ein (durch dichtes Sozialnetz) beruhigtes Gewissen ist ein perfektes Ruhekissen. Wer dagegen Stimmung macht, hat heute noch große Teile der 30- bis 40-Jährigen gegen sich.

Der Kreisky-Kokon führte auch durch die Bildung: In dieser Zeit wurden Gymnasien, vor allem aber die Universitäten geöffnet. Dort gingen zwar auch weiterhin vor allem die Kinder der Reichen hin, aber theoretisch war nun alles möglich und man gab den Bürgerkindern ein besseres Gefühl. Ein Ende des Wohlstands für alle hätte damals nicht einmal der junge Alexander Van der Bellen für möglich gehalten. (Der übrigens das weiser-Großvater-Defizit in der Politik rund 15 Jahre später sehr zur Freude aller Enkel durchaus erfolgreich beendete.)


Die Nachteile der Großväter. Doch Großväter haben meist einen gravierenden Nachteil: In ihrer Rolle als Sicherheit gebende Beschützer nehmen sie das Lebensgefühl ihrer Enkel nicht wirklich ernst, reagieren auf engagierte Überzeugungsversuche der Nachkommen mit uneinsichtigem Beharren auf überkommenen Standpunkten.

In diesem Sinne wollte der fortschrittsgläubige Langzeitkanzler nicht erkennen, dass hinter der Ablehnung des Atomkraftwerkes im niederösterreichischen Zwentendorf, der bittersten Niederlage seiner politischen Ära und der Anfang ihres Endes, mehr steckte als das bloße Unbehagen mit einer hierzulande neuen Technologie zur Energiegewinnung. Nämlich die Geburtsstunde der für die Jugendzeit der Generation Kreisky prägenden Umweltbewegung.

So wie Kreisky durch seine versöhnliche Haltung dem damaligen FPÖ-Chef Friedrich Peter gegenüber die politische Tür für die Freiheitlichen aufmachte, und damit der ÖVP (und später – wenn auch ungewollt – mindestens im gleichen Umfang der SPÖ) einen dauerhaften Konkurrenten schuf, beschleunigte Kreiskys Zwentendorf-Haltung die Entstehung der österreichischen Grünen.

Als der Keim dieses Versäumnisses mit dem Konflikt um die Hainburger Au seine kräftigen Triebe zeigte, saß Großvater Kreisky freilich längst auf der balearischen Pensionisteninsel. Ausbaden musste das Stopfenreuther Desaster, das durch Mangel an politischer Weitsicht des sonst als visionär gepriesenen Kreisky zustande kam, ein anderer. Erraten: Fred Sinowatz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

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