Androsch: "Es war nie eine Sohn-Vater-Beziehung"

Androsch eine SohnVaterBeziehung
Androsch eine SohnVaterBeziehung(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Hannes Androsch war elf Jahre lang Kronprinz von "Sonnenkönig" Bruno Kreisky, bevor sich die beiden zerstritten und nie mehr miteinander sprachen. Heute ist der ehemalige Finanzminister Multimillionär und kritischer Zwischenrufer bei der SPÖ.

Sie tragen Maßanzüge und haben mehrere Millionen Euro auf dem Konto. Darf man als Sozialdemokrat eigentlich reich sein?

Hannes Androsch: Warum nicht?

Weil es nicht zusammenpasst, Sozialdemokrat zu sein und reich zu sein.

Das wäre doch so, wie wenn ein Arzt krank sein müsste, damit er seine Patienten behandeln kann.

Fragen wir anders: Wie muss ein Sozialdemokrat mit seinem Reichtum umgehen, damit er sich nicht dafür genieren muss?

Das ist eine gute Frage. Von meiner Fabrik kann ich nichts abbrechen wie vom Knusperhäuschen bei Hänsel und Gretel, damit man etwas zum Essen hat. Aber man muss das, was man verteilen will, zuerst erwirtschaften.


Ihre Partei, die SPÖ, möchte es mit einer Reichensteuer und einer Sonderabgabe auf Vermögen.

Das ist die populistische Variante des Themas. Es löst aber das Problem nicht. Wir haben seit 25Jahren die öffentlichen Haushalte versaut. Wir haben jetzt eine Krise, die hat etwas gekostet, und jetzt droht uns eine Lawine. Ich bin für eine Reichensteuer, wenn alle reich sind, sonst bringt sie nämlich nichts.

Also eine „Reichensteuer“ auch für Arme.

Wir haben schon jetzt eine extrem hohe Steuerbelastungsquote. Warum kommen die Schweizer mit 30 Prozent aus und wir nicht einmal mit 43 Prozent?

Die Steuer für Wohlhabende soll ja mehr ein Symbol sein, auch um die unbestimmte Wut der Menschen gegen die Reichen abzufangen.

Die Wut gibt es nicht in der Bevölkerung, sondern bei Funktionären und populistischen Politikern. Ich bin bei den Menschen draußen, mir muss man die Meinung der Menschen nicht erklären. Ich glaube nicht, dass man die Menschen erreicht, nur wenn man in den Schlagzeilen der Zeitungen ist. Wir können noch hunderte symbolische Beiträge einführen, aber das löst das grundsätzliche Finanzproblem nicht.


Sie sind in Floridsdorf aufgewachsen, in einem Arbeiterbezirk. Was ist Ihnen von dieser Vergangenheit geblieben?

Ich weiß, was Mangel und Knappheit sind. Ich bin nicht arm aufgewachsen, aber auch nicht im Wohlstand. Als wir auf Skikurs fahren wollten, war die Bedingung, dass alle mitfahren können. Ich erinnere mich gut, was wir alles für Veranstaltungen inszeniert haben, um an Geld zu kommen.


Fühlt man sich da manchmal schlecht, wenn man jetzt so viel Geld hat?

Das müsste man die ganze westliche Gesellschaft fragen. Was mich empört, sind die provokanten Exzesse an Einkommen, die durch keine Leistung gerechtfertigt sind, und der unerträgliche, angeberische Konsum. Wenn Investmentbanker in London abendessen gehen und für zehntausende Pfund die teuersten Weine verprassen, dann ist das babylonisch.

Stehen Sie bei so etwas auf und gehen?

Ich bin bei so etwas gar nicht dort. Ich bin auch nicht in den „Seitenblicken“ oder den Klatschspalten, und ich bin seit Jahren nicht mehr auf dem Opernball gewesen.

Was ist der größte Luxus, den Sie sich leisten?

Ich behaupte, von ein paar Ticks wie Büchern und Armbanduhren abgesehen und vielleicht Bekleidung, habe ich keinen Luxus. Ich habe keinen Privatjet und keine Jacht. Für mich ist reich, dass ich nicht nachdenken muss, wenn ich mir eine unnötige Krawatte kaufe.

Sie sind schon mit sehr jungen Jahren in die Spitzenpolitik eingestiegen. Im revolutionären Jahr 1968 saßen Sie im Anzug als Abgeordneter im Nationalrat. Hatten Sie jemals typisch jugendlich revolutionäre Utopien?

Es geht nicht um Ideen, sondern darum, dass man etwas umsetzen und verwirklichen kann. Ab dem Jahr 1970, als wir regiert haben, ist Österreich fundamental, dauerhaft und nachhaltig verändert worden.

Hatten Sie nie eine große, weltverändernde Vision?

Die Vision ist natürlich, eine bessere, gerechtere Gesellschaft zu erreichen. Aber nicht durch ideologische Schlagworte, sondern durch pragmatische Maßnahmen. In den 1970er-Jahren haben wir das in vieler Hinsicht erreicht.


Bruno Kreisky soll gesagt haben: So lange ich regiere, wird rechts regiert. War er ein heimlicher Konservativer?

Er führte eine progressive Regierung, eine modernisierende und eine reformierende. Die Unterscheidung zwischen links und rechts ist gut für den Straßenverkehr, aber für politische Betrachtungen nicht brauchbar.

Sie sind nach elf Jahren im Kreisky-Olymp aus der Regierung verbannt worden. Hat es einen einzelnen Vorfall gegeben, der die Entfremdung zwischen Ihnen und Kreisky ausgelöst hat?

Es gab viele Sachen. Kreisky ist älter geworden, er wurde immer kränker, da verändert sich jeder. Und es gab Sachthemen, bei denen wir zunehmend verschiedener Meinung waren. Daraus entstand Misstrauen und Eifersüchteleien, und das war immer die Quelle für Einflüsterer. Das schuf ein giftiges Klima. Das ist sehr bedauerlich, aber es ändert nichts an seinen (Kreiskys, Anm.) großartigen Leistungen, solange er gesund war.

Fragen Sie sich manchmal, was und wo Sie heute wären, wenn es den Krach nicht gegeben hätte?

Ich klage nicht über meinen weiteren Lebensweg. Über manche Umstände vielleicht. Selbst mein Freund Beppo Mauhart will mir nicht glauben, dass ich nicht Bundeskanzler nach Kreisky werden wollte. Das war nicht mein Ziel.

Sie waren angeblich einmal knapp davor.

Im Jahr 1979 war er (Kreisky, Anm.) sehr krank. Es hing an einem seidenen Faden, ob er weitermachen kann. Und dann wäre ich sein Nachfolger geworden. Ich weiß nicht, was herausgekommen wäre. Aber davor habe ich mich aus guten Gründen gefürchtet. Zu dem Zeitpunkt wollte ich nicht, und zum späteren Zeitpunkt hat sich die Frage nicht mehr gestellt.

Wie war Ihr privater Umgang mit Bruno Kreisky?

Es gibt nicht den Kreisky, es gibt mehrere Kreiskys. Einmal war er bezaubernd, einnehmend, er war genial. Mit zunehmender Krankheit hat er sich total verändert. Er wurde misstrauisch, vergrämt, eifersüchtig. Das war ein tragisches letztes Jahrzehnt für ihn.

Haben Sie jemals eine Aussöhnung mit ihm gesucht?

Nein, aber Leonard Bernstein (der amerikanische Dirigent und Komponist, Anm.). Das war am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur im Hotel Bristol. Kreisky hat das abgelehnt, und deswegen hat Bernstein nie wieder mit ihm gesprochen.

Und Sie auch nicht.

Ich auch nicht.

Zum Ende Ihrer Regierungszeit mussten Sie die Festrede zu Kreiskys 70. Geburtstag halten. Fiel Ihnen das damals schwer?

In dem Augenblick nicht, weil das, was ich gesagt habe, meiner Überzeugung entspricht. Es war am 20.Jänner 1981, dem Tag meines Ausscheidens aus der Regierung. Um neun Uhr habe ich die Rede gehalten, um zwölf Uhr war ich nicht mehr dabei. Kreisky ist nach der Rede aufgestanden und hat gesagt, Koren (Stephan, Finanzminister in der VP-Regierung von Josef Klaus, Anm.) möge ihm verzeihen, aber dass ich der bedeutendste Finanzminister der Zweiten Republik war. Jeder hat damals gewusst, dass er mich weghaben wollte, das hat seine Entscheidung erst recht ins Zwielicht gebracht.

Sie waren auch viele Jahrzehnte der jüngste Finanzminister der Zweiten Republik, dann kam Karl-Heinz Grasser.

Mag sein, dass er ein paar Wochen jünger war, aber er war nicht so lange.

War das eine Genugtuung?

Wissen Sie, in meinem Alter, wenn man über der Baumgrenze ist und eine globalere Sichtweise hat, ist einem das ziemlich egal.


Auf Ihrem Schreibtisch steht ein Bild von Anton Benya, mit dem Sie ein ausgesprochen gutes Verhältnis hatten. Hat er die politische Vaterfunktion übernommen, nachdem die Vater-Sohn-Beziehung mit Kreisky zerbrochen ist?

Bruno Kreisky war der respektierte Parteivorsitzende, für dessen Wahl ich eingetreten bin und für den ich gekämpft habe. Es gab vielleicht eine Vater-Sohn-Beziehung, aber es war nie eine Sohn-Vater-Beziehung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Innenpolitik

Aufbruch ins Ungewisse

Die "Wende" 1970. Der Wahlsieg Bruno Kreiskys über die regierende ÖVP überraschte alle.
Alte Medien
Medien

Der "Alte" und die Medien

Kreiskys Spiel mit Journalisten, die fleißig (r)apportierten. Leitartikler wollte er gern werden, in der "Arbeiter-Zeitung" oder in der "Presse". So diktierte er uns seine Sentenzen in den Notizblock.
Österreich

Monumente eines Sonnenkönigs

Kreisky hat viele Bauten hinterlassen, einige gegen den Willen des Volkes. Warum Zwentendorf und das Austria Center heute trotzdem stehen.
Erbe SchuldenBruno
New Articles

Das Erbe des "Schulden-Bruno"

Der wohl mächtigste Kanzler der Zweiten Republik war in Wahrheit nur der Schuldenkönig. Was von der Ära Kreisky bleibt, ist der Vorwurf, die Politik des „Deficit-Spending“ salonfähig gemacht zu haben.
Salon

"Es war ein Befreiungsschlag"

Die Mädchen, die in Bruno Kreiskys Regierungszeit Frauen wurden, gehörten einer "goldenen Generation" an. Sie durften den Feminismus genießen und die letzten Tabus brechen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.