Kreiskys Erbe: "Linke Utopien" an den Unis

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Bildungspolitik der Ära Kreisky: Hertha Firnberg mischte die Universitäten nachhaltig durch. Fred Sinowatz hatte in der Schulpolitik weniger Erfolg.

Auswandern! „So ähnlich habe ich es gesagt, dass man nämlich bei diesem Gesetz, bei dieser Hochschulreform, auswandern müsse“, sagt Günther Winkler heute. Da habe er freilich zu einem Schlagwort gegriffen, aber dass sich viele Uni-Lehrer in die innere Emigration zurückgezogen haben, sei ja Tatsache gewesen. Damals, 1973, hat der Verfassungsrechtler Winkler, Rektor der Uni Wien und zugleich Präsident der Rektorenkonferenz, gemeinsam mit seinen Rektorenkollegen gegen die große Uni-Reform mobil gemacht. Die Hauptkritikpunkte betrafen die neue Drittelparität, bei der Studierende und Mittelbau mitentscheiden konnten, und die Schaffung zahlreicher – wieder drittelparitätisch zusammengesetzter – Kommissionen, die in den Uni-Alltag, aber auch in die Uni-Lehre eingriffen.

Das 1975 beschlossene Universitätsorganisationsgesetz (UOG) markierte in der Bildungspolitik den ersten Paukenschlag der Ära Bruno Kreisky, der die Universitäten ziemlich unvorbereitet traf. Dabei hatte Kreisky schon 1970 am Beginn seiner Kanzlerschaft die Weichen gestellt: Er schuf das neue Wissenschaftsministerium mit seiner Weggefährtin Hertha Firnberg als neuer Ressortchefin durch all die 13 Kreisky-Jahre. „Sie war eine hochpolitische, auch sensible Person“, sagt Winkler. Eine Gegnerin der Rektoren war sie aber allemal.

Dabei war die Uni-Reform nur Zeichen der allgemeinen Bildungsexplosion. 1971 wurden in Österreich 16.755 Maturanten gezählt, 1981 waren es schon 27.517 (heute knapp 40.000). Es wurden neue Schulen gebaut, die BHS erhielt mehr Gewicht, die Mädchen holten auf. 1971 zählte der Frauenanteil bei den Uni-Neuzugängen 34,8 Prozent, zehn Jahre später 47,2. In der Schulpolitik scheiterte allerdings Unterrichtsminister Fred Sinowatz mit seinen beharrlichen Vorstößen zur Einführung der Gesamtschule. Alles, was er erreichen konnte, war die formale Angleichung der Hauptschullehrpläne an jene der AHS-Unterstufe (6. SchOG- Novelle). Weitere Änderungen verhinderte die ÖVP, die erforderliche Zweidrittelmehrheit kam nicht zustande.

Bei Hochschulgesetzen genügte die einfache Mehrheit, über die die SPÖ ab 1971 verfügte. Neben Firnberg und ihren Ministerialbeamten ortet Winkler den damaligen SPÖ-Klubsekretär Heinz Fischer als einen der Väter des UOG 75. Als das Gesetz beschlossen wurde, haben alle Rektoren Firnberg ihren Rücktritt angeboten. Die Ministerin kann zwar auf die Rektorenwahl keinen Einfluss nehmen, aber sie hat die erfolgte Wahl zu bestätigen. In diesen turbulenten Tagen ignorierte Firnberg die Rücktrittsansuchen einfach. 1979 allerdings verweigerte sie dem Uni-Wien-Rektor Kurt Komarek die Bestätigung. Jetzt ignorierte die Uni Wien die De-facto-Nichternennung, die Rektorenkonferenz wählte Komarek zudem zu ihrem Präsidenten. „Ich habe damals besonders heftig das geringe Uni-Budget kritisiert“, sagt Komarek. Offiziell war das Verhältnis kaum reparabel. Anders im persönlichen Bereich. „Firnberg zitierte mich einmal ins Ministerium“, erinnert sich Komarek, „sie hat eine Philippika losgelassen, ich entgegnete im gleichen Stil.“ Dann habe sie ihre Beamten hinausgebeten und sich zu Komarek gewandt: „Herr Rektor, darf ich Sie zu einem Glas Cognac einladen?“ Hat man ihr Paroli geboten, habe sie das anerkannt, so Komarek.

Die Studierenden spielten ebenfalls ihre neue Macht aus. 1985 verweigerten sie mithilfe eines Teils des Mittelbaus Rektor Hans Tuppy, dem späteren Wissenschaftsminister, die Wiederwahl, weil er in einem Interview mit der „Presse“ vor der Nivellierung der Universitäten gewarnt und den Studenten vorgehalten hatte, sie würden „den Versuch, ein ordentliches Niveau zu halten, als Studienverschärfung bezeichnen“. Nach Tuppy verhinderten Studierende und Mittelbau an der Uni Wien auch die Wahl des angesehenen Pharmakologen Otto Kraupp, der als besonders strenger Prüfer bekannt war.

Freilich gab es auch in der Professorenschaft Sympathisanten der Uni-Reform. „Ich war eine Zeit lang auf der Seite der mittelprogressiven Studenten“, sagt der Pädagogikprofessor Marian Heitger, der 1966 aus Deutschland nach Wien gekommen ist. Da habe er „das Netzwerk der Professoren in den Fakultäten miterlebt“. An der Uni sei er wie die Studenten für Emanzipation, Mündigkeit und Selbstbestimmung eingetreten. Für Heitger, der auch in der Schulreformkommission saß, war Sinowatz „ein schwacher Minister und Firnberg besonders tüchtig“.

Aber Heitger wechselte die Seiten – „als ich feststellen musste, dass es der Linken um die eigene Macht geht“. Die überzogene Drittelparität, die Forderung, selbst die Prüfungen abzuhalten und automatisch die beste Note zu vergeben, hätten seine Gegnerschaft hervorgerufen. „Diese linken Utopien hat auch Kreisky nicht geschätzt.“


Ernüchterung. Aber Firnberg hat auch mehr auf den Mittelbau als auf die Studierenden gesetzt. Sie rief die jährliche Wissenschaftsmesse ins Leben, in der nicht Professoren, sondern Assistenten und Dozenten ihre Leistungen präsentierten. Allerdings gab es für die Grande Dame der SPÖ eine Ernüchterung. Komarek, der sie noch im Ruhestand regelmäßig getroffen hat, zitiert sie Jahre nach ihrer Amtszeit: „Ich habe mir von den Assistenten viel mehr erwartet, aber sie waren nur an ihrer eigenen Karriere interessiert.“ Die Reformen der Kreisky-Ära prägten bis zu den Uni-Gesetzen der ÖVP-Minister Busek (1993) und Gehrer (2002) die Hochschulen. Nun seien die Unis „eine autokratische autonome Einrichtung“ geworden, konstatiert Günther Winkler. Damit sei es noch schlimmer gekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

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