Chirurgie oder Psychotherapie?

Verfall überall: Sowohl im Roman „Schildkrötentage“ als auch im Geschichtenband „Tausendundein Tag“ beschäftigt sich Sophie Reyer mit Katastrophen aller Art.

Die Entdeckung der ersten Falte stürzt viele Frauen in die Verzweiflung. Es ist der sichtbare Beginn eines mehr oder weniger raschen Verfalls, der schon lange vorher begonnen hat. Flora, die Protagonistin in Sophie Reyers Roman „Schildkrötentage“, macht keine halben Sachen und geht deswegen zu ihrer Ärztin. Diese hält nichts vom Beschwichtigen und bemerkt lakonisch: „Nun, das ist der natürliche Prozess, der sich fortsetzen wird bis zur Verwesung.“ Ihre Therapievorschläge: chirurgischer Eingriff oder Psychotherapie, eine Behandlung entweder von innen oder von außen.

Flora, die erst Ende 30 ist, entscheidet sich für das Einkapseln, ein Schildkrötenpanzer, der außen hart und innen weich ist, gegen die Zumutungen der Welt, das ist ihre geheime Fantasie, schon als Kind waren Schildkröten ihre Lieblingstiere und Höhlen aus Decken ihr Zufluchtsort. Dass ihre Mutter keine Schildkröte als Haustier erlaubte, versteht sich von selbst. Zum Weltschmerz und zur Midlife-Crisis kommen noch profane Rückenschmerzen, der Körper lässt sich nicht überlisten – sie will nicht so recht gelingen, die Verwandlung. Dies ist ein zentrales Thema in Sophie Reyers Werk. Die 1984 in Graz geborene Künstlerin ist auch Komponistin und arbeitet mit Film und Medien, Kafkas „Verwandlung“ hat sie für die Bühne bearbeitet. Wie bei Kafka „ein Mensch Schritt für Schritt verloren geht“, ist für Reyer „spannend und verstörend“ zugleich: Und darum handelt es sich im Grunde auch bei Flora. Das Älterwerden führt letztlich zum Verschwinden, die Falte ist ein erster Hinweis darauf. Bevor Flora ganz verschwindet, lernt sie Semir kennen, den Hausmeister des Zinshauses, in dem sie wohnt. Eine nicht unkomplizierte Beziehung entwickelt sich, Semir ist ein großer Geschichtenerzähler, und trotz zwischenzeitlichem Vertrauensbruch kommen Flora und er am Ende wieder zusammen.

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