Kriegsverbrecherprozess: Karadžić setzt auf Verzögerungstaktik

Kriegsverbrecherprozess Karadi setzt Verzoegerungstaktik
Kriegsverbrecherprozess Karadi setzt Verzoegerungstaktik(c) AP (Marko Drobnjakovic)
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In Den Haag wird heute der Prozess gegen den früheren bosnischen Serbenführer Karadžić fortgesetzt. Sein Plädoyer wird mit Spannung erwartet. Zur Anklage stehen Völkermord und Kriegsverbrechen im Bosnien-Krieg.

den haag. Nach vielen Anhörungen, dem Boykott des Prozesses durch den Angeklagten und einem viermonatigen Aufschub wird am Montag vor dem Haager UN-Tribunal der Prozess gegen Radovan Karadžić fortgesetzt. Die Strafsache IT-95-5/18 nimmt ihren Lauf. Der 64-jährige Karadžić erhält heute erstmals das Wort. Er verteidigt sich selbst und bekommt zwei Tage lang Zeit, sein mit Spannung erwartetes Plädoyer zu halten.

Angeklagt ist Radovan Karadžić vor dem Haager UN-Gericht zur Ahndung von Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen im Bosnien-Krieg (1992–1995). Er soll für die Ermordung von 8000 moslemischen Männern im Juli 1995 in Srebrenica und für die Belagerung von Sarajewo, bei der mehr als 10.000 Menschen starben, hauptverantwortlich sein.

Das Massaker von Srebrenica war der grausamste Völkermord auf europäischem Boden seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Das UN-Gericht muss herausfinden und beweisen, inwiefern Karadžić für diesen Völkermord Verantwortung trägt. Während der Anhörungen hat er auf unschuldig plädiert.

Prozessbeobachter gehen daher davon aus, dass er dies in seinem ersten Plädoyer erneut tun wird. Zu erwarten ist ferner, dass der einstige bosnische Serbenführer in seiner Verteidigungsrede erneut feststellen wird, dass das Haager UN-Tribunal über ihn nicht zu Gericht sitzen dürfe, da er angeblich vom einstigen US-Bevollmächtigten für Bosnien, Richard Holbrooke, und von der UNO eine Zusicherung erhalten habe, dass man ihn nicht vor Gericht stellen werde, wenn er sich aus der Politik zurückziehe. Holbrooke bestreitet dies, die Richter halten sie für irrelevant für den Prozess.

Anklage: Über eine Million Seiten

Geleitet wird der letzte und wohl wichtigste Prozess vor dem UN-Sondergericht vom koreanischen Richter O-Gon Kwon (57), die beiden anderen Richter sind der Brite Howard Morrison und der aus Trinidad und Tobago stammende Melville Baird. Der Chefankläger des UN-Tribunals, der Belgier Serge Brammertz, hat die Anklageführung an zwei seiner Kollegen delegiert, den Amerikaner Alan Tieger und die Deutsche Hildegard Uertz-Retzlaff.

Das Beraterteam von Karadžić wird vom US-Juristen Peter Robinson geleitet. Für die Dauer des Prozesses erhielt Karadžić vom Gericht ferner fünf Assistenten zugewiesen.

Ziel des UN-Tribunals ist es, den Prozess gegen Karadžić bis spätestens Ende 2012 abzuschließen, was jedoch nicht gelingen dürfte. Denn Karadžić will nach seinem ersten Verteidigungsplädoyer erneut einen Antrag stellen, um den Prozess zu vertagen. Er habe die mehr als eine Million Seiten umfassende Anklageschrift noch immer nicht lesen können, sagt sein Anwalt Peter Robinson.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass das Gericht einen neuerlichen Aufschub ablehnen wird. Für den Fall, dass Karadžić danach aus Protest das Verfahren wieder boykottieren sollte, wie er das bereits im vergangenen Jahr mehrfach getan hat, hat das Gericht vorgesorgt: Es bestellte den britischen Anwalt Richard Harvey als Pflichtverteidiger. Harvey wird Karadžić verteidigen müssen, falls dieser wieder durch Abwesenheit glänzen sollte. Chefankläger Brammertz und sein Team wollen im Lauf des Prozesses mehr als 400 Zeugen gegen Karadžić aufrufen. Sie sollen die Kriegsverbrechen bezeugen, die dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegt werden.

UN-Tribunal schließt 2014

Allein schon die vielen Zeugenaussagen und die Zeit, die diese in Anspruch nehmen werden, machen es nach Ansicht renommierter Juristen so gut wie unmöglich, dass der Prozess bis Ende 2012 abgeschlossen sein wird; er wird wohl eher drei als zwei Jahre dauern.

Der schlaue Fuchs Karadžić setzt auf eine Verzögerungstaktik, die er in den vergangenen eineinhalb Jahren schon recht erfolgreich angewendet hat. Denn er weiß, dass das UN-Tribunal im Februar 2014 schließen muss. Seine Strategie dürfte es sein, dass sein Prozess bis dahin immer noch nicht abgeschlossen ist.

Karadžić wurde am 18. Juli 2008 in Belgrad nach 13-jähriger Flucht verhaftet. Er hatte sich mehrere Jahre erfolgreich als Wunderheiler Dr. Dragan Dabić tarnen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2010)

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