Referendum in Irland: Ende des "Abtreibungstourismus"?

REUTERS/Clodagh Kilcoyne
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In Irland sind Abtreibungen illegal, das dortige Gesetz ist eines der restriktivsten der Welt. Am Freitag stimmt die Bevölkerung über dessen Abschaffung ab.

Wenn Jahr für Jahr Tausende Frauen die Irische See Richtung England überqueren, dann nicht um dort ihren Urlaub zu verbringen: Sie reisen ins Nachbarland, weil sie ungewollt schwanger sind. Denn solange eine Schwangerschaft nicht lebensbedrohlich ist, ist Abtreibung in Irland per Gesetz verboten. Unter allen 28 EU-Staaten hat Irland das restriktivste aller Abtreibungsgesetze. Noch. Denn am Freitag wird darüber zum insgesamt sechsten Mal mittels Referendum abgestimmt.

Per Verfassung verboten

Die irische Verfassung stellt seit 1983 das Leben des Fötus' und das der Mutter auf dieselbe Stufe. Damit kommt dem irischen Staat seither die Entscheidungshoheit über den Körper jeder schwangeren Frau zu. Dass das Gesetz in Verfassungsrang gehoben wurde, ist ungewöhnlich und sorgte für Kritik: Das UN-Komitee für Menschenrechte rügte das Gesetz als „brutale, diskriminierende und entwürdigenden Behandlung“ und forderte dessen Aufhebung.

Auch infolge einer Vergewaltigung oder bei Missbildungen darf nicht abgetrieben werden. Seit Jahren führt die Regelung zu einer Art "Abtreibungstourismus": Zahlreiche Irinnen reisen jedes Jahr ins Ausland – meist in das Vereinigte Königreich –, um eine Schwangerschaft vorzeitig zu beenden. Wie Zahlen des britischen Gesundheitsministeriums zeigen, reisten seit 1980 rund 169.000 Frauen ins britische Ausland. Allein 2016 waren es 3265.

Premier für Aufhebung

Irlands Premier Leo Varadka will nun das Eighth Amendement, wie der Paragraph heißt, aufheben. "Wir wissen, dass jedes Jahr Tausende irische Frauen für Abtreibungen ins Ausland gehen", schrieb er auf Twitter. Unter dem Hashtag #RepealTheEighth wird in sozialen Netzwerken dafür geworben. Innerhalb Varadkas Partei, Fine Gael, ist das Vorhaben umstritten. Die Partei äußerte keine explizite Wahlempfehlung. Gleiches gilt für die Oppositionsparteien Fianna Fáil und Sinn Féin. Greens, Labour und Sozialdemokraten befürworten die Aufhebung. Bei einer Abschaffung soll ein neues Gesetz verabschiedet werden, das Abtreibung künftig bis zur zwölften Woche erlauben soll.

Abtreibungsgestz in Irland

Am 25. Mai entscheiden die Iren mittels Referendum, ob der 1983 eingeführte 8. Zusatzparagraf, das "Eighth Amendment", wieder aus der Verfassung gestrichen werden soll. Der Paragraph stellt das Leben des Fötus auf dieselbe Stufe wie das Leben der Mutter. Auch infolge einer Vergewaltigung oder bei Fehlbildungen ist ein vorzeitiger Abbruch verboten. Zahlreiche tragische Todesfälle junger Frauen heizten die Debatte immer wieder an, das Gesetz abzuschaffen. Die Abstimmung am kommenden Freitag ist die mittlerweile sechste zum Thema Abtreibung in Irland.

Gegen die Abschaffung protestierten ultrakonservative Gruppen, die auch aus dem Ausland – vor allem von US-Organisationen – unterstützt werden. Die Befürworter reagierten mit ironischen Parolen: "Keep your rosaries off our ovaries" ("Lasst eure Rosenkränze von unseren Eierstöcken!") war auf Plakaten zu lesen.

Kirche diktiert Gesetze

Seit langem dominiert die katholische Kirche den öffentlichen Diskurs im Land. Die Macht der Kirche basiert auf historischen Konflikten zwischen den armen, irischen Katholiken und den reichen, britischen Protestanten. Die Emanzipation der Katholiken gegen die britische Unterdrückung erfolgte nach der großen Hungersnot im 19. Jahrhundert. Die Protestanten wurde daraufhin zurückgedrängt, der Einfluss der Katholiken gestärkt. Infolge der endgültigen Lossagung vom Britischen Reich 1921 wurde die Kirche mit dem Widerstand symbolisch verknüpft. Der blutige Kampf um Identität und Macht sollte sich Jahrzehnte später im Nordirlandkonflikt wiederholen.

Die Kirche war es, die auf der verarmten Insel das Bildungs- und Sozialwesen schuf. Ihr starker Einfluss spiegelt sich juristisch wider: Bis 1968 war Zensur legal, Kondome wurden 1985 erlaubt, die Scheidung 1996. „Die Kirche nahm direkten Einfluss auf die Politik“, sagt Finbarr McLoughlin. Der gebürtige Ire ist Historiker am Institut für Zeitgeschichte an der Universität Wien. Priester hätten der Politik zeitweise die Gesetze diktiert. In der Atmosphäre der 1980er-Jahre kam es zu etlichen bewegenden Fällen: 1984 beispielsweise starb die erst 15-jährige Ann Lovett, nachdem sie allein in einer Höhle entbunden hatte. 2012 entfachte der Tod einer Inderin die Debatte erneut: Die 31-jährige Savita Halappanavar starb in der Uni-Klinik in Galway an einer Sepsis infolge einer Fehlgeburt. Eine Abtreibung war ihr zuvor verwehrt worden.

Missbrauchsskandale erschütterten Reputation

Auch zahlreiche Missbrauchsskandale erschütterten die Kirche in den letzten Jahren, die enorme Empörung hervorriefen und den Einfluss der Kirche schwächten. Auch deshalb hielt sich die Kirche in Bezug auf das Referendum eher zurück.

Trotz der sinkenden Zustimmung des Abtreibungsverbots sind nach wie vor 86,6 Prozent der Iren katholisch, 90 Prozent aller Grundschulen werden bis heute kirchlich verwaltet. Zwar deuten letzte Umfragen auf eine klare Tendenz zur Abschaffung des Abtreibungsverbots hin, viele Unentschlossene - Umfragen zufolge bis zu 25 Prozent - könnten das Ergebnis aber noch verändern. "Es ist offensichtlich geworden, wie tief die Emotionen auf beiden Seiten reichen", sagt die Diarmaid Ferriter, Historikerin am University College in Dublin. Im Falle einer Ablehnung würden weiterhin Tausende Frauen zu "Abtreibungstoursitinnen" werden. Nicht abzusehen ist, welche Konsequenzen der Brexit darauf haben könnte.

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