Leitartikel

Sehr schön, und jetzt bitte die große Gesundheitsreform

++ ++ REFORM DER SOZIALVERSICHERUNG / ALLGEMEINE UNFALLVERSICHERUNGSANSTALT (AUVA)
++ ++ REFORM DER SOZIALVERSICHERUNG / ALLGEMEINE UNFALLVERSICHERUNGSANSTALT (AUVA)(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Der Kassenumbau wird doch mehr als ein kleines Reförmchen. Das macht Hoffnung, dass auch das Spitalswesen effizienter gemacht werden könnte.

Wird die Sozialversicherungsreform so umgesetzt wie gestern von den Regierungsspitzen angekündigt, dann ist es deutlich mehr als das befürchtete, durch Länder und Sozialpartner verwässerte Reförmchen geworden. Dann beweist die Regierung Handlungswillen und -vermögen, wie man es seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat.

Natürlich wäre es noch ambitionierter gegangen: Drei Kassen (eine für Unselbstständige, eine für Selbstständige und eine Pensionsversicherungsanstalt für alle) hätten vollauf genügt. Dass den Beamten und den Eisenbahnern wieder Extrawürste gebraten werden, ist eindeutig ein Schönheitsfehler im neuen System. Aber die Reduzierung der Sozialversicherungsträger von 21 auf fünf ist schon einmal eine wichtige Maßnahme zur Entbürokratisierung dieses aufgeblähten Versicherungssystems.

Wenn, ja wenn die Österreichische Gesundheitskasse, die über die neun Gebietskrankenkassen gestülpt werden soll, tatsächlich auch in der Realität so funktionieren wird, wie von Vizekanzler Strache gestern angekündigt: nicht nur als zahnlose Holding, die über weiterhin weitgehend unabhängige Länderkassen geschoben wird und aus dem Faktor neun den Faktor zehn macht, sondern als echte österreichweite Organisation mit Budget- und Personalhoheit, die ihre zu Filialen degradierten früher selbstständigen Länderkassen an der kurzen Leine hält.

Diese Gesundheitskasse ist nämlich Kernpunkt der ganzen Reformgeschichte: Sie wird mehr als sieben Millionen Versicherte haben. Wenn irgendwo die großen strukturellen und organisatorischen Effizienzpotenziale liegen, dann hier. Wenn es hier tatsächlich (der Gesetzestext liegt ja noch nicht vor) gelingt, aus neun Landesversicherungssystemen ein Bundesversicherungssystem zu machen, dann ist den Reformern hier etwas Großes gelungen. Warten wir ab.

Kurz und gut: Wir haben jetzt in diesem Bereich eine Reform, über die die Republik Jahrzehnte diskutiert, die sich wegen der komplizierten realen Machtverhältnisse im Land aber bisher niemand zugetraut hat. Das ist ein gutes Signal für die weiteren, längst überfälligen und im Wahlkampf auch schon versprochenen Umbauten: Hier sind Leute am Werk, die das, was sie ankündigen, auch umsetzen. Haben wir schon länger nicht mehr erlebt.

Natürlich werden wir uns die (in vielen Punkten noch ungeklärte) Umsetzung genauer anschauen. Schon aus den Erfahrungen der Vergangenheit heraus. Beispielsweise beim angekündigten Personalabbau durch Nichtnachbesetzung von Pensionierungen. Da würden wir uns wünschen, dass das seriös abläuft. Und nicht in einer neuen Form von „betriebsbedingten Frühpensionierungen“, wie sie uns von Schwarz-Blau I noch in unliebsamer Erinnerung sind.

Krankenversichert zu sein wird künftig also wesentlich unbürokratischer ablaufen. Das beginnt schon beim Wegfall des derzeitigen Bürokratiemonsters Mehrfachversicherung. Ob das reichlich ambitionierte Einsparungsziel von 200 Millionen Euro im Jahr (so ist die angekündigte Einsparung einer Milliarde bis 2023 wohl gemeint) realistisch ist, wird man sehen. Dass damit, wie die Gesundheitsministerin gestern gesagt hat, das Problem der Gangbetten in den Spitälern, der langen Wartezeiten in den Ambulanzen und der grassierenden Zweiklassenmedizin gelöst wird, ist allerdings nicht zu erwarten.

Das hängt nämlich stark mit der Organisation der Spitäler zusammen, in denen – wie könnte es anders sein – die Länder eine eher unrühmliche Rolle spielen. Die Krankenkassenreform kann also wohl nur ein erster Schritt zu einer großen Gesundheitsreform sein, die auch diesen, von teuren Parallelstrukturen nur so wimmelnden Sektor auf Vordermann bringt. Hier liegen die wirklich großen Effizienzpotenziale und Einsparungen begraben.

Eine erfolgreiche Kassenreform wäre ein schöner Probegalopp für diese ebenso längst überfällige Gesundheitsreform. Hoffen wir, dass die gestern angekündigten Maßnahmen bis zur Gesetzwerdung im Herbst nicht mehr wesentlich verwässert werden.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2018)

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