Rücktritt von Lebensversicherungen nun ein Fall für den EuGH

APA/dpa-Zentralbild/Jens Büttner
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Der Europäische Gerichtshof soll offene Rechtsfragen um das Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungen klären.

Der juristische und mittlerweile auch politische Streit um das lebenslange Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungen im Falle von Falschbelehrung ist beim Europäischen Gerichtshof gelandet. Das Landesgericht Salzburg hat zwei noch offene Rechtsfragen dem Luxemburger Höchstgericht zur Vorabentscheidung vorgelegt. Anwalt Michael Poduschka sieht das als positiv für die betroffenen Versicherungsnehmer.

Der Beschluss des Landesgerichts Salzburg, das als Berufungsgericht in einem Fall den EuGH angerufen hat, schiebe der Taktik der Versicherungskonzerne einen Riegel vor, so Poduschka unter Verweis auf "unzählige", bereits vorliegende Urteile zugunsten von Versicherungsnehmern.

Die Assekuranzen wollten die aus seiner Sicht klare Rechtsklage durch das "Werfen von juristischen Rauchbomben" oder die "Einbringung von einseitigen Gesetzesanträgen" vernebeln und so Kunden vom Rücktritt abhalten, so Poduschka zur APA. Diese Strategie werde aber nicht aufgehen, zumal die meisten Rechtsschutzversicherungen in der Zwischenzeit Klagen gegen die Lebensversicherungen deckten. Der Linzer Anwalt und sein Wiener Kollege Norbert Nowak vertreten bereits hunderte Lebensversicherte vor Gerichten.

Schon zweimal hätten die Versicherungen - erfolglos - versucht, ein Gesetz durchzuboxen, das die Rücktrittsmöglichkeit der Konsumenten rückwirkend de facto verhindert hätte. Ein dritter Versuch sei nun überflüssig, denn man müsse die Entscheidung des EuGH abwarten.

Die ÖVP/FPÖ-Regierung hatte die geplante Reform der Rücktrittsregelungen zuletzt im März auf das späte Frühjahr verschoben.

Zwei Fragen noch offen

Den Gang zum Obersten Gerichtshof (OGH), so Poduschka, hätten die Versicherungen bisher verhindert, indem sie die in Klagen geforderten Summen samt Zinsen und Kosten bezahlten - "damit man Zeit für die Erlassung eines Anlassgesetzes unter Hinweis auf fehlende höchstgerichtliche Entscheidungen zu Detailfragen hatte".

Um das zu unterbinden, habe das Landesgericht Salzburg den EuGH eingeschaltet. Zwei Fragen sind aus Sicht des Richters noch offen, diese legte er in dem am Freitag ausgefertigten Beschluss (22 R 80/18w) dem EuGH vor. Erstens will das Landesgericht wissen, ob es auch Falschbelehrung ist, wenn die Versicherung in ihrer Belehrung bestimmte Formvorschriften für den Rücktritt verlangt. Zweitens wird gefragt, ob man auch von einem Lebensversicherungsvertrag zurücktreten kann, der bereits vor dem Rücktritt gekündigt wurde.

Nach Meinung von Poduschka und auch vielen heimischen Gerichten ist die Rechtslage eigentlich schon klar. Aufgrund eines auf einer EU-Richtlinie basierenden EuGH-Erkenntnisses aus dem Jahr 2013 können Lebensversicherte, die bei Vertragsabschluss über ihr Rücktrittsrecht falsch oder gar nicht belehrt wurden, unbefristet von ihrem Vertrag zurücktreten. Das gilt laut Poduschka für zwischen 1997 und 2012 abgeschlossene Lebensversicherungen. Die Versicherten bekommen nicht nur ihr Kapital zur Gänze zurück, sondern auch 4 Prozent Zinsen jährlich ab dem Tag der Einzahlung, entschied in Österreich der Oberste Gerichtshof. "Da die Versicherungen bei den Belehrungen in vielen Fällen geschlampt haben, betrifft dies einen großen Teil der Versicherten", erklärt Poduschka. Die Assekuranzen stehen jedoch auf dem Standpunkt, dass noch ein paar Detailfragen offen seien.

Übrigens hat die ehemalige SPÖ-Justizministerin und EuGH-Richterin Maria Berger, auch Berichterstatterin des EuGH-Verfahrens zum Ursprungsfall Endress/Allianz aus dem Jahr 2013, kürzlich festgestellt, dass Versicherungsnehmer bei inkorrekter oder fehlender Belehrung ewig zurücktreten können. Das führte sie in einer Anfang Mai erschienenen, 16-seitigen Abhandlung für die Österreichische Juristenzeitung (ÖJZ) aus; den Beitrag hat sie gemeinsam mit dem Wiener Anwalt und ehemaligen EuGH-Referenten Gregor Maderbacher verfasst. Laut Berger und Maderbacher kann nur eine korrekte Belehrung durch die Versicherung den Lauf der 14- oder 30-tägigen Rücktrittsfrist auslösen.

Den Autoren zufolge sind nationale Gesetze, die das Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungsverträgen einschränken, nicht möglich. "Eine gesetzliche Regelung, die VN (Versicherungsnehmern, Anm.) die Ausübung ihres Rücktrittsrechts ... unmöglich macht oder übermäßig erschwert, ist unionsrechtswidrig." Nach einem Rücktritt seien grundsätzlich die geleisteten Prämien zu bezahlen, wobei die Zinsfrage den jeweiligen Staaten bzw. nationalen Gerichten überlassen bleibe.

(APA)

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