Warum Michael Häupls Stärken nicht so stark und seine Schwächen nicht so schwach waren. Und was Häupl in 25 Jahren nicht gelungen ist.
Michael Häupl steht unter dem Kronleuchter, die Hände lässig neben den Hosentaschen und schaut sinnierend in die Luft. Erst beim Kameraklicken blickt er auf – ach ja, ein Fotograf.
Szenenwechsel: Michael Ludwigs Blick fixiert die Kamera, ein dynamischer Ausfallschritt nach vorn, beide Daumen nach oben. Das Kameraklicken ist ihm vertraut. Schließlich hat er seit einiger Zeit stets eigene Fotografen dabei.
Die beiden Szenen machen deutlich, was man an Häupl vermissen wird. Und warum gerade Ludwig sein Nachfolger geworden ist. Denn so sympathisch Häupls Nonchalance sein konnte, so wirkte sie auch wie eine undurchlässige Membran der Macht. Ein rotes Schulterzucken gegenüber der Kritik, gegenüber allen. Auch die SPÖ-Rathaus-Familie werkte recht unbekümmert vom Außen – oder dem Chef – vor sich hin. Über Probleme sprach man, wie in Familien üblich, ungern und gegen Dritte hielt man zusammen.
So etwas schafft Distanz. Zum Wähler und zu Teilen der Funktionäre. Im Nachhinein war es für Ludwig ein Vorteil, dass er nicht als Kandidat Häupls galt. Sonst hätte er die leise Anti-Establishment-Sehnsucht nicht nutzen können. Wenn die Wiener ÖVP übrigens Witze reißt, dass jemand, der Teil der Regierung war, sich als Neustart verkauft, sollte sie überlegen, bevor sie lacht. Schließlich hat Sebastian Kurz – bei dem Ludwig die eine oder andere Strategieanleihe nimmt – nichts anderes getan. Wenn auch nicht unerfolgreich. Apropos Erfolg: Wenn zuletzt die Häupl-Ära durchdekliniert wurde – vom Wachstum der Stadt über die EU-Erweiterung zur rot-grünen Premiere –, dann wurde jeweils eine Stärke und eine Schwäche Häupls besonders betont. Dabei ist gar nicht sicher ist, ob die Stärke so stark und die Schwäche so schwach ist.
Als Atout wird Häupl zugebilligt, dass er als menschlicher Kitt die Partei zusammenhalten und überall Stimmen fischen konnte. Zu verdanken ist das dem Talent zur Projektionsfläche. Wenn Häupl einst sagte, er werde einem türkischen Vater die „Ohrwascheln abreißen“, wenn der seine Tochter nicht zur Schule schickt, verstanden alle, was er meinte. Und doch auch nicht. Denn ein Sager ist keine Richtungs-Debatte. Und so eine Unschärfe-Strategie hat ein Ablaufdatum. Es war fast erreicht.
Als Schwäche Häupls gelten hingegen Versäumnisse bei der Integration. Dass nicht hingeschaut wurde bei Problemen, aus Furcht, bei der FPÖ anzustreifen. Dass Wähler und Funktionäre mit ihrer Realität allein gelassen wurden. Das stimmt. Es stimmt aber auch, wenn die SPÖ auf das Paradoxon hinweist, dass jene, die sich aufregen, dass Migranten nicht Deutsch können, stets gegen Deutschkurse waren. Die Flüchtlingskrise hat die Stadt auch ohne viel Tamtam gemanagt und als Häupl einmal aktiv Asyl im Wahlkampf thematisierte, war das ein Erfolg. 2015 hat er die Grünen abgeräumt. Freilich: Ein anderes Rezept als den Grünen Stimmen abzunehmen, hat er gegen die FPÖ nie gefunden. Und auch nie einen anderen Frame, wie Kontextualisierung modern heißt, in der Migrations/Asylfrage.
Die SPÖ war immer eins: die Negation der FPÖ. Wenn Ludwig nun ein neues Rezept finden will, ist das keine kleine Aufgabe. Die erste Ingredienz ist bekannt: Wien-Patriotismus – die SPÖ als „Schutzmacht“, das rote Wien ist für alle da, aber nicht mehr für jeden (gleich). So etwas hätte Häupl, der spöttelnd fragt, vor wem die Wiener beschützt werden müssen, nie gesagt. Der Ton wird also anders, doch trotzdem bleibt vieles gleich: Auch Ludwig wird den Gemeindebau (für dessen Neuauflage er nicht war) und „das gallische rote Wiener Dorf“ gegen Türkis-Blau verteidigen. Häupls Gegenentwurf war einst Rot-Grün. Was jener Ludwigs sein wird, wissen wir spätestens 2020.
Werden Journalisten dann noch immer Häupls Aperçus nachweinen? Wähler sind unsentimentaler: Erwin Pröll vermissen laut Hajek-Umfrage zwei Drittel der Niederösterreicher (eher) nicht, 43 Prozent gar nicht. Nicht charmant. Aber den Polit-Pensionären Häupl und Pröll fällt dazu sicher etwas Lustiges ein. Auch wenn es keiner mehr notiert.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2018)