Die vielen Masken des Radovan K.

Karadžić gräbt die alte westeuropäische Diskussion über „westliche Medienlügen“ im Jugoslawien-Krieg aus.

Für welch spaßige Storys hatte er nicht gesorgt: Der kaltblütige Kriegsverbrecher als weißbärtiger Wunderheiler, der Esoterikgläubige mit Bioenergie von sexuellen Problemen und diversen Wehwehchen befreite. Der weltweit Gesuchte, der in der Maske des Doktor Dragan Dabić alle Welt narrte und – als besondere Einlage – in der Operettenstadt Wien für eine Verwechslungskomödie sorgte. Dort wurde nämlich ein echter serbischer Heiler von einigen Medien und der Polizei für den falschen Wunderheiler Dabić und damit für Radovan Karadžić gehalten.

Nun hat die internationale Medienwelt Karadžić erneut ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit gerückt; diesmal glücklicherweise, ohne Geschichten über sein Doppelleben als Doktor Dabić zum Besten zu geben. Jetzt wurde in der Berichterstattung Karadžić endgültig die Maske des kauzigen Wunderheilers vom Gesicht gerissen. Denn jetzt geht es um seine Verantwortung für Krieg, massenhaften Mord, Vergewaltigung, Vertreibung.

Radovan Karadžić verteidigt sich vor dem UN-Tribunal in Den Haag und zieht alle Register, um seine „istina“, seine Wahrheit, über den Bosnien-Krieg darzustellen. Er tut dies nicht ohne Geschick. Denn diese „Wahrheit“ ist nicht nur seine „Wahrheit“ und die vieler Serben. Er nützt auch Versatzstücke einer Diskussion, die schon in den Neunzigerjahren in intellektuellen westeuropäischen Zirkeln geführt wurde und zu der auch Peter Handke mit seiner „winterlichen Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina“ beitrug. Eine Diskussion darüber, ob während der Kriege in Exjugoslawien von westlichen Massenmedien einseitig berichtet und der serbischen Seite Unrecht getan worden sei.

„Bosnien: So logen Fernsehen und Presse uns an“, betitelte etwa Peter Brock im Jänner 1994 seinen mehrseitigen Beitrag für die „Weltwoche“. Er warf darin westlichen Reportern vor, nicht überprüfte Gerüchte über serbische Gräueltaten als Fakten dargestellt zu haben, warf den Medien vor, mit ihren „Nachrichten im vollen Kampfanzug“ selbst zur Kriegspartei geworden zu sein. Brock zog sich damit wütende Reaktionen vieler Journalistenkollegen zu. Sie hielten ihm vor, serbische Verbrechen zu verharmlosen und der Propaganda aus Pale und Belgrad auf den Leim zu gehen.

Brock hatte behauptet, das Bild eines ausgemergelten Mannes, das weltweit für Aufsehen gesorgt hatte, zeige keinen Muslim in einem serbischen Lager, sondern einen tuberkulosekranken Serben, der wegen Plünderung verhaftet worden sei. Auch Karadžić nahm nun in Den Haag auf diese Bilder Bezug. Wenn auch mit der Rechtfertigung, die Männer seien nicht Gefangene, sondern Flüchtlinge in einem Durchgangslager gewesen.

Die Diskussion über angeblich schlampende, böswillige Medien ist nicht die einzige Waffe in Karadžićs Verteidigungsstrategie. Er tut das, was Nationalisten gemeinhin tun, wenn man sie zur Rechenschaft zieht: Er versteckt sich hinter dem „Volk“. „Ich werde unsere Nation und ihre gerechte und heilige Sache verteidigen“, donnerte er. Auch wenn er nicht nur im Namen, sondern im Sinne vieler bosnischer Serben gehandelt haben mag: Vor Gericht muss sich Karadžić für seine persönliche Schuld verantworten. Die Individualisierung von Schuld als Mittel gegen Kollektivschuld – daran kann Karadžić kein Interesse haben. Denn dann fällt nicht nur seine Maske als Wunderheiler, sondern auch die Maske des selbstlosen Kämpfers für sein „Volk“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2010)

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