"Der Zeitgeist ist, dass Leistung nicht mehr in ist"

Evi Hartmann
Evi HartmannUni Erlangen
  • Drucken

Eine Pseudo-Elite hat sich breit gemacht. Sie ist gut ausgebildet, aber nicht leistungsbereit, sagt die deutsche Universitätsprofessorin Evi Hartmann in ihrem neusten Buch „Ihr kriegt den Arsch nicht hoch“.

„Ihr kriegt den Arsch nicht hoch: Über eine Elite ohne Ambition“ lautet der Titel Ihres jüngsten Buches. Welche Wahrnehmungen veranlassten Sie zu dieser Aussage?

Evi Hartmann: Im Alltag habe ich mich zu oft darüber geärgert, dass immer dieselben anpacken. Viele andere hingegen schieben eine ruhige Kugel, schmücken sich aber nachher mit den Ergebnissen. Diese Pseudo-Elite, nervt nicht nur mich, sondern sie fällt auch in der Wirtschaft negativ auf.

Wen meinen Sie mit Pseudo-Elite?

Ich reduziere meine Aussage nicht auf die Generation Y. Meine Beobachtungen habe ich vielmehr im Berufsleben gemacht, etwa bei Projekten mit Drittmittelgebern. Aber natürlich gibt es auch Uni-Absolventen, die nicht leistungsbereit sind, obwohl sie die besten Voraussetzungen haben.

Wie definieren Sie Elite?

Ich definiere den Begriff „Elite“ anders, als er bisher im sozioökonomischen Kontext benutzt wurde. Wenn ich von Elite spreche, meine ich die Leistungselite. Sie ist nicht auf irgendwelche Schichten und Gesellschaften reduziert. Ich trenne auch nicht zwischen Leistung im Privaten oder im Beruf, sondern verstehe Leistung übergreifend. Es geht darum, ob die Bereitschaft besteht, eine gewisse Extraanstrengung auf sich zu nehmen, die manchmal nötig ist, um das Optimum zu erreichen.

»Im Berufsleben stellen diese Leute jedoch Ansprüche, die exorbitant hoch sind, aber nicht mit Leistung kompensiert werden.«

Evi Hartmann

Zur Elite gehören demnach jene, die sich mehr als andere abverlangen.

Ja, diese Menschen erkennen die Herausforderungen, nehmen sie als Chance an und haben Spaß dabei, das Tüpfelchen mehr zu leisten. Ganz im Unterschied zur Pseudo-Elite. Das sind Menschen, die posen, statt zu performen, obwohl sie das durchaus könnten. Sie haben oft eine gute Ausbildung, interessante Praktika gemacht und waren im Ausland. Im Berufsleben stellen diese Leute jedoch Ansprüche, die exorbitant hoch sind, aber nicht mit Leistung kompensiert werden.

Wer ein Studium gut meistert, dem kann man wohl nicht jede Ambition absprechen.

Das stimmt. Aber auch an der Uni gibt es bei Projektarbeiten Studenten, die sich an Leistungsträger anhängen, selbst aber bloß mitschwimmen und sich durchlavieren.

Sollte an den Universitäten demnach Leistung nur individuell überprüft werden?

Nein. Gruppenarbeiten sind wichtig. Leistungsträger sollten dort lernen, sich durchzusetzen und selbstbewusster ihre Leistung transparent machen.

Haben Sie eine Erklärung, weshalb die Leistungsbereitschaft abgenommen haben soll?

Der Zeitgeist ist, dass Leistung nicht mehr in ist. Das fängt schon früh an. In der Schule werden die Leistungsträger als Streber in die Ecke gestellt. Sich anzustrengen ist mehr negativ als positiv besetzt.

Welche Rolle spielen Eltern und Lehrer für die Entwicklung des Leistungsethos?

Die Einstellung zur Leistung wird im Elternhaus geprägt, aber auch in der Schule, auf der Uni und natürlich im Arbeitsleben. Diese Haltung, auf die bessere Leistung anderer mit Neid zu reagieren, entsteht jedoch häufig sehr früh. Statt zu fragen: „Was hätte ich besser machen können?“, heißt es, „Wieso hat der Mitschüler eine bessere Note als ich?“ Man ist häufig nicht einmal bereit anzuerkennen, dass der andere mehr getan hat als man selbst.

Sie sagten, mangelnde Leistungsbereitschaft entspricht dem Zeitgast. Geht es uns zu gut?

Wir wachsen sicherlich mit einem höheren Wohlstand auf als unsere Eltern oder Großeltern. Wir haben es heute viel bequemer. Dennoch denke ich, dass vor allem das Vorbild der Eltern eine Auswirkung hat.

Wie war das bei Ihnen?

Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater hat gearbeitet, es gab die klassische Rollenverteilung. Für mich war mein Vater mit seiner Leistungseinstellung, und Arbeitsmoral das bessere Vorbild. Darum finde ich es extrem wichtig, den eigenen Kindern mitzugeben, dass Arbeit etwas Positives sein kann. Wenn wir sehen, dass Arbeit der Selbstbestätigung dient, sind wir am Ende auch die glücklicheren Menschen.

»Diese Work-Life-Balance-Debatte ärgert mich. Das ist die falsche Diskussion. «

Evi Hartmann

Da werden viele entgegnen: „Nein, nicht Arbeit, sondern Work-Life-Balance macht Menschen glücklich.

Wenn ich die Arbeit so schlimm finde, klar kommt es dann zu Burnouts, klar gibt es dann die Leute, die in der Früh ins Büro kommen und nur darauf warten, um 16 Uhr nach Hause gehen zu können. Das können wir doch nicht fördern! Ich sage: Leben = Arbeit + x. Wie groß Arbeit und x ist, muss jeder selbst bestimmen. Aber ein Leben ohne Arbeit gibt es nicht.

Ist Work-Life-Balance also nur ein Pseudonym für Faulheit?

In vielen Fällen ja. Es ist verkehrt, Arbeit dem Leben gegenüber zu stellen. Arbeit muss als Teil des Lebens begriffen werden, der Spaß macht. Derzeit wird der ganze Fokus auf die Freizeit und deren Gestaltung gelegt. Das sieht man auch bei Jobverhandlungen. Vielen Bewerbern geht es vor allem darum, ob der Arbeitgeber ihnen eine Mitgliedschaft im Fitness-Club zahlt und welche sonstigen Vergünstigungen es für die Freizeit gibt. Keiner fragt, was er zu leisten hat, um den Job erfolgreich zu machen. Statt sich nach den möglichen Freizeitaktivitäten zu erkundigen, sollte man sich doch damit beschäftigen, welche Arbeit zu tun ist und ob man darin seine Erfüllung finden kann.

Wobei es niemandem angekreidet werden sollte, wenn er selbstbewusst verhandelt.

Schon, nur alles mit Maß und Ziel. Mir fehlt der Ansatz: Erst leisten und dann über Belohnung und sonstige Vergütungen reden.

Was ist dagegen einzuwenden, wenn für manche Arbeit nicht das Wichtigste im Leben ist?

Das ist völlig in Ordnung. Das muss jeder für sich entscheiden. Das Leben ist eine Summe aus verschiedenen Komponenten. Wenn sich jemand lieber in einem Verein oder einer gemeinnützigen Initiative engagiert und nur nebenbei arbeitet, ist das auch okay. Darum geht es im Prinzip nicht.

Sondern?

Es geht darum, Leistung wieder als etwas Positives zu sehen. Die Technik bietet uns heute so viel Möglichkeiten, die uns das Arbeiten erleichtert. Ich habe vier Kinder. Wenn eines krank ist, kann ich von zu Hause arbeiten oder spät abends, wenn die Kinder schlafen. Das sind Optionen, die es früher nicht gab. Wir sollten sie nutzen.

Die ständige Erreichbarkeit hat auch dazu geführt, dass Privat- und Berufsleben nicht mehr abgrenzbar sind. Die Arbeit endet quasi nie. Ist das gut?

Ich sehe das als Chance und für mich ist das keine Belastung, weil mir meine Arbeit Spaß macht. Jene, die ihre Arbeit nur machen, um ihr Gehalt am Konto zu sehen, die wollen das Übel Arbeit möglichst schnell aus ihrem Kopf kriegen.

Hören Sie von Ihren Kindern nie den Vorwurf: „Mama, Du hast zu wenig Zeit für uns“?

Natürlich höre ich so etwas schon auch. Aber ich höre auch oft, dass meine Kinder auf mich und meine Arbeit stolz sind. Aber von der Schule kommt immer wieder Druck, etwa wenn es wieder eine Schulveranstaltung gibt, die mit Kaffee und Kuchen unterstützt werden muss. Da gibt es Hausfrauen, die in ihrer Funktion aufgehen. Das ist schön. Aber meine Kinder hören bei solchen Gelegenheiten manchmal: „Deine Mutter hat mal wieder nichts gemacht“ oder „Deine Mutter hat die Muffins nur gekauft.“

Was sagen Sie Ihren Kindern dann?

Ich sage Ihnen, dass man auch in solchen Situationen bei sich bleiben muss. Das eine ist nicht schlechter als das andere. Jeder erbringt auf seine Weise Leistung. Die Hausfrau, indem sie Kuchen bäckt und ich, indem ich mich im Job mehr einbringe. Da sollte es deutlich mehr Toleranz geben.

Wie motivieren Sie Ihre Studenten, mehr Leistung zu erbringen?

Indem ich ihnen vermittle, dass der Fokus auf der Leistung und nicht auf dem Ergebnis liegt. Das ist wie im Sport. Jemand, der hart trainiert, kann auch Pech haben und auf der Strecke ein paar Sekunden verlieren. Dennoch muss man jede Anstrengung hervorheben und belohnen. Und wir müssen verhindern, dass andere mit Neid oder Missgunst reagieren. Auch Leistungsträger trifft hier eine Aufgabe: Sie müssen zu ihren Leistungen stehen und auch immer wieder Lob von ihren Chefs einfordern.

Gibt es Studien, die belegen, dass sich geringe Leistungsbereitschaft in Europa oder einzelnen Ländern volkswirtschaftlich auswirkt?

Es ist mir keine bekannt. Kein Wunder, denn wer gibt schon zu, dass er Pseudo-Elite ist?

Fürchten Sie manchmal, dass Sie sich am Ende Ihres Lebens sagen: „Ich hätte weniger arbeiten und mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen sollen?“

Diese Frage habe ich mir immer wieder gestellt. Ich habe das Gefühl, dass ich mit meinen Kindern sehr viel schöne Zeit erlebe, und wir eine Balance haben, die für alle gut ist. Wichtig ist, sich seiner Entscheidung sicher zu sein. Die eigene Unsicherheit gibt man immer an die Kinder weiter.

Nur ist man sich halt nicht in jeder Phase seines Lebens seiner Entscheidungen sicher.

Natürlich gibt es Phasen im Job, in denen es extrem stressig ist und man die Kinder vernachlässigt. Aber das gehört zum Leben. Ich versuche das mit meinen Kindern zu besprechen und erkläre ihnen, dass alle zusammenhalten müssen. Ab einem gewissen Alter geht das und es stärkt die Kinder auch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

89 Prozent der befragten Studenten wollen einmal einen Beruf ausüben, in dem ihnen ein Konkurrenzkampf erspart bleibt.
Österreich

Kein Stress: Wie wir künftig arbeiten wollen

An der Universität Wien wurden Studenten gefragt, wie sie sich ihren Traumjob vorstellen. Sie würden am liebsten 30 Stunden pro Woche arbeiten, aber dennoch gut verdienen. Mehr als ein Posten im mittleren Management ist für viele nicht erstrebenswert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.