Drei Großprojekte drängen sich zwischen die Palais und barocke Mauern.
Noch ist Österreich mit zehn Stätten auf der Unesco-Welterbeliste vertreten, so wie das Schloss von Versailles, die Altstadt von Florenz oder die Pyramiden von Gizeh. Alle sind meisterhafte Zeugnisse vergangener Kulturen und ihre Zerstörung wäre ein „Verlust für die ganze Menschheit“ (Unesco).
Vor Jahrzehnten hat sich die Republik um den Vertrag bemüht, mit gutem Grund: Wer eine Wiege mitteleuropäischer Kunst und Kultur sehen möchte, kommt am heutigen Zwerg Österreich nicht vorbei. Die Auszeichnung ist nicht nur eine Ehre, sie hat auch handfeste, kommerzielle Auswirkungen auf Touristenströme.
Seit 2001 ist auch das historische Zentrum von Wien ein Punkt auf der Unesco-Landkarte. Die Kernzone, knapp zwei Prozent des gesamten Stadtgebietes, erstreckt sich über den ersten Bezirk mit einem Ausläufer zur barocken Gartenanlage Palais Schwarzenberg–Belvedere–Garten der Salesianerinnen. Grund für die Aufnahme war, dass „drei Hauptperioden europäischer Kultur und politischer Entwicklung – Mittelalter, Barock und Gründerzeit – in außergewöhnlicher Form dargestellt werden“. Nirgendwo sonst auf der Welt kann man einen solchen Schatz sehen. Seit Jahrhunderten wurde er von Generation zu Generation weitergereicht.
Auftrag nicht angekommen
Die Auszeichnung Welterbe verpflichtet, die Kostbarkeit für kommende Generationen zu erhalten. Dieser Auftrag scheint bisher bei der Stadtverwaltung aber nicht angekommen zu sein. Schon 2002 wurde das Projekt Wien Mitte als störender Eingriff in das historische Ensemble kritisiert. Damals redete man sich darauf aus, dass sich die Verhandlungen mit der Unesco und der Genehmigungsprozess für das Projekt überschnitten hätten. Ein Rechtsanspruch des Bauträgers auf Realisierung bestünde bereits. Inzwischen sind 15 Jahre vergangen. Zeit genug, um die nötigen Rechtsinstrumente und Strukturen zur Pflege des Welterbes zu implementieren.
Zivilgesellschaft revoltiert
Aber Wien ist anders. Mittlerweile drängen sich drei Großprojekte zwischen Gründerzeitpalais und barocke Mauern: Das Hochhaus am Heumarkt, ein Bürogebäude am Karlsplatz und eine Großgastronomie mit Brauerei im Schwarzenbergpark.
Überall ist die gleiche Problematik zu erkennen: In den Genehmigungsprozessen werden Investoreninteressen über den Erhalt des kulturellen Erbes gestellt. Bauliche Auflagen? – Gibt es vielleicht, aber diese nehmen wir nicht so genau. Rechtzeitige Einholung von Expertenmeinungen, möglicherweise noch, bevor der Investor in der Baugrube steht? – Niemand zuständig. Im Juli 2017 wurde Wiens historisches Zentrum sogar auf die Rote Liste der Unesco (wo ansonsten vor allem Kulturgüter in Kriegsgebieten stehen) gesetzt.
Inzwischen revoltiert die Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs, Bürgerinitiativen und Vereine widmen sich dem Kampf für den Erhalt des historischen Wien. Dabei geht es meist nicht darum, ein Projekt prinzipiell zu verhindern, sondern den Schatz, den wir für nachfolgende Generationen bewahren sollten, vor irreversibler Zerstörung zu schützen. Auf der ganzen Welt ist es möglich, dass Neues entsteht, ohne Altes zu verheeren. Die Römer können das, auch die Pariser und die Berliner. Die ganz hohe Kunst der Architektur vermag sogar, das eine oder andere Alte durch Neues zu veredeln.
Aber bisher nicht bei uns. Im Juli 2018, bei der nächsten Sitzung der Unesco-Kommission in Bahrain, droht dem historischen Wien deshalb die Aberkennung des Welterbe-Status.
Maria Wachter-Bodenstein (* 1959 in San Francisco) ist Journalistin und
PR-Expertin in Wien.
E-Mails an: debatte@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2018)