Die umstrittene EU-Regelung zur Speicherung von Telefon- und Internetdaten wurde am Dienstag vom deutschen Höchstgericht als Verstoß gegen das Grundgesetz abgelehnt. Die Daten sind unverzüglich zu löschen.
Das deutsche Verfassungsgericht hat am Dienstag die umstrittene Vorratsdatenspeicherung als verfassungswidrig erklärt. Eine EU-Richtlinie verpflichtet Mitgliedstaaten seit 2008 Internet- und Telefon-Verbindungsdaten sechs Monate lang zu speichern und auf Anfrage von Polizei und Geheimdiensten zur Verfügung zu stellen. Bisher wurde die umstrittene Regelung nur von wenigen Ländern umgesetzt - auch Österreich wartet noch.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied, dass die Vorratsdatenspeicherung in der derzeitigen Form gegen die Verfassung verstößt. Sie ist nach dem Urteil mit dem Telekommunikationsgeheimnis unvereinbar. Alle bisher gespeicherten Daten müssen deshalb umgehend gelöscht werden, entschied das Gericht. Das Urteil beschreibt aber sehr detailliert, wie eine verfassungsgemäße Regelung aussehen könnte. Beobachter fürchten jetzt, dass bald eine neues Gesetz auf Basis dieses Urteils die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen könnte. Deutschlands Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will aber erste eine Prüfung der EU-Richtlinie durch Kommissarin Viviane Reding abwarten.
Nach dem Gesetz werden in Deutschland seit 2008 Verbindungsdaten aus der Telefon-, Mail- und Internetnutzung sowie Handy-Standortdaten sechs Monate lang gespeichert. Abrufbar sind sie für Zwecke der Strafverfolgung sowie der Gefahrenabwehr.
Das Verfassungsgericht hatte bereits im März 2008 angeordnet, dass die Daten nur zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten verwendet werden dürfen.
Datensammlung gegen den Terror
Im Vorfeld der Urteilsverkündung hat sich der Vorsitzende des Innenausschusses im deutschen Bundestag, Wolfgang Bosbach, für die Speicherung ausgesprochen. Die Datensammlung sei notwendig für die Terrorbekämpfung, sagte der CDU-Politiker in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung. "Sollte das Gericht das Gesetz verwerfen, werden viele Täter nicht mehr überführt werden können. Die Terrorhelfer sind hochkommunikativ und konspirativ, wir brauchen den Datenzugriff."
Zahlreiche Schlupflöcher
Der Obmann der österreichischen ARGE Daten, Hans Zeger, hält die Vorratsdatenspeicherung ungeeignet für die Terrorbekämpfung. Das Gesetz böte zu viele Schlupflöcher, die von Terroristen einfach ausgenutzt werden können, meint er. So sind etwa kleine Provider von der Speicherpflicht ausgenommen. Auch mit Wertkarten und offenen WLAN-Netzen ließe sich eine Speicherung vermeiden.
Österreich wartet mit der Umsetzung
Österreich hat die Richtline zur Vorratsdatenspeicherung bisher noch nicht umgesetzt. Die zuständige Ministerin, Doris Bures (SPÖ), will das bis Mitte 2010 ändern. Das deutsche Urteil sieht sie als Bestätigung für ihren restriktiven Zugang zu der Materie. Zunächst möchte man aber ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in einem Verfahren gegen Rumänien abwarten. Rumäniens Höchstgericht hat die Vorratsdatenspeicherung im Dezember für verfassungswidrig erklärt. Es sieht in der verdachtsunabhängigen Speicherung einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. Das Karlsruher Urteil könnte hier weiteren Stoff für Diskussionen bringen. EU-Justizkommissarin Viviane Reding hat angekündigt, die Richtlinie einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Die Ergebnisse sollen im Herbst präsentiert werden.
Datenschutzrat will restriktive Umsetzung
Der Vorsitzende des österreichischen Datenschutzrats, Johann Maier, schießt sich nach dem Urteil auf das Innenministerium ein: Da das deutsche Höchstgericht im Bereich der Strafverfolgung einen Datenzugriff nur bei Vorliegen eines begründeten Verdachts einer schweren Straftat zulässt, müssten weitergehende Forderungen aus dem Justiz- und dem Innenministerium abgelehnt werden. "Die Bekämpfung von Kleinkriminalität und die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen durch die Unterhaltungsindustrie und private Rechteinhaber fallen jedenfalls nicht darunter", so Maier.
Widerstand in Schweden
Schweden hat sich aufgrund der Nichtumsetzung der EU-Richtlinie bereits eine Rüge des EuGH eingehandelt. Dem ungehorsamen Land wurden die Verfahrenskosten aufgebürdet. Von einer Strafe wurde aber abgesehen. Interessanterweise war es ausgerechnet Schweden, das 2006 innerhalb der EU eine Initiative zur Vorratsdatenspeicherung angeregt hatte.
EU-Richtlinie Vorratsdatenspeicherung
Seit März 2006 schreibt die EU-Richtlinie 2006/24/EG die systematische Speicherung von Telefon- und Internetdaten vor. Provider müssen EU-weit Verbindungsdaten zwischen 6 und 24 Monate lang auf Vorrat speichern. Das soll bei der Terror- und Verbrechensbekämpfung helfen.
Gespeichert wird bei Telefongesprächen Rufnummer, Name und Anschrift der Teilnehmer sowie Zeitpunkt und Dauer eines Gesprächs. Bei der Internetnutzung gehören die Benutzerkennung und IP-Adresse dazu.
(Ag./Red. )