16. Architekturbiennale in Venedig: Der Zwang der Freiräume

Verspielt und intellektuell vielschichtig: Die „Freiräume“ im Österreich-Pavillon.
Verspielt und intellektuell vielschichtig: Die „Freiräume“ im Österreich-Pavillon.(c) imago/ZUMA Press (Giacomo Cosua)
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Erstmals ist es mehreren Teams, darunter Stefan Sagmeister, gelungen, die kalte Eleganz des österreichischen Pavillons aufzulösen – in Denkräume.

Geblendet und verunsichert bleibt man am Eingang stehen. Ein riesiges Holzgerüst versperrt den Weg, lange Tücher blockieren den Blick in den Seitentrakt und der verspiegelte Boden widerspricht vehement unserer gewohnten Raumerfahrung. Wo uns sonst klare Anordnungen vorgeben, was wir wie anschauen sollen, herrscht jetzt fast anarchistische Freiheit: Sollen wir erst die vielen Treppen hinaufgehen, nachsehen, was dort oben ist? Die spiegelnde und gekrümmte Fläche erkunden, die außen beginnt, den Innenraum erobert und den Hinterhof ausfüllt? Als „Sphäre“ bezeichnet das Büro LAAC diese runde Fläche, die im exakten Maßstab von 1:50.000 zur Erde steht. Oder wollen wir uns in den Seitenräumen auf die Sofas legen und uns in den beiden Videos von Sagmeister & Walsh dem Fluss der bunten Perlen hingeben?

Seit Jahrzehnten arbeiten sich Künstler und Architekten an diesem Pavillon ab. Jetzt ist es tatsächlich gelungen: Die strenge Symmetrie, die kalte Eleganz, die gnadenlose Funktionalität des österreichischen Pavillons ist gebrochen und durch einen in alle Richtungen befreiten Raum ersetzt. Von „Denkräumen“ spricht die Kuratorin Verena Konrad. Die Direktorin des Vorarlberger Architekturinstituts lud die zwei Architektenteams LAAC, Henke Schreieck und Stefan Sagmeisters Designbüro ein, Räume abseits funktionaler und ökonomischer Zwänge zu schaffen. Es sollten Räume entstehen, die emotional erfahrbar sind und sich nicht konkurrenzieren, sondern in einer „Kultur der Kooperation“ im Austausch stehen. Es sind Freiräume in jeder Hinsicht, die ineinanderwirken und damit das heurige Thema der 16. Architekturbiennale in eine spannungsvolle Form bringen – auch das ist eine gewaltige Leistung. Denn ganz offensichtlich ist „Free Space“ als thematische Vorgabe dieser Biennale eine Überforderung für einige der 63 Länderpavillons. Freiraum sei ein Zeichen einer „höheren Zivilisation des Lebens“, erklärte Biennale-Präsident Paolo Baratta, er sei Ausdruck von Großzügigkeit – aber wie lässt sich das in gebaute Materialisationen übersetzen?

Tee am Dach des britischen Pavillons

Während im österreichischen Pavillon darauf mit einer verspielten, intellektuell vielschichtigen Präsentation geantwortet wurde, lassen andere Länder ihre Räume nahezu leer. In Australien ist nur eine Art Steppenlandschaft, in Belgien eine riesige blaue Arena aufgebaut. Der britische Pavillon ist gleich komplett leer und führt uns stattdessen über ein riesiges Baugerüst auf eine herrliche Sonnenterrasse oben auf dem Dach. Ab 4 Uhr wird Tee serviert. Andere überfordern uns mit einer Überfülle an Informationen, die wie in Frankreich zu unendlichen Räumen oder in Holland zur Zukunft der Arbeit sicherlich spannend, lehrreich und beeindruckend sind, aber ein mehrstündiges Studieren erfordern, was als Normalbesucher kaum zu leisten ist. Ob sich da die Buchform nicht besser anbietet?

Manchmal sind die Themen spannend, etwa Architekturzeichnungen in Japan – aber was hat das mit „Freiraum“ zu tun? Und wo sind die Visionen von Freiräumen, die Forderungen nach unreguliertem Raum, wo sind die Überschreitungen und Abweichungen, wo wird das Thema politisch interpretiert? Die Finnen finden ihren Freiraum in Bibliotheken und im Schweizer Pavillon verirren wir uns in einem Labyrinth steriler Innenräume, die mal überdimensional groß, dann wieder irritierend klein sind.

Erstaunlicherweise greifen nur wenige Länder die politische Dimension des Begriffs auf, wenn etwa in Deutschland auf großen Infotafeln die Auswirkungen der Grenzmauer erklärt werden, der lange Weg zurück zur Normalität, die Prozesse der Verwandlungen von Grenzorten. Dazu laufen Videos mit kurzen Statements von Menschen in Zypern, Korea, Palästina/Israel, Mexiko über ihr Leben mit Grenzmauern. Hoch spannend ist der Beitrag Uruguays, der mit einer reduzierten Installation aus Licht und Videoeinspielungen ein Gefängnis vorstellt, das wie ein Dorf angelegt ist. „Wir nennen es Gated Community“, sagt ein Gefangener, „in der sich jeder grüßt und keiner reinkommt, der nervt.“ Ein Gefängnis als Freiraum – ein provokanter Vorschlag, davon hätte man auf dieser Biennale gern mehr gesehen. Aber zum Freiraum gehört offenbar auch die Freiheit, nicht unbequem und nicht kritisch zu sein, sondern „geistige Räume“ zu schaffen, in denen „die Spannungen bestehen bleiben und Widersprüche Raum haben“, wie es Konrad für den österreichischen Beitrag im Gespräch treffend formulierte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2018)

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