Mindestsicherung eingetauscht gegen Transferkonto

Mindestsicherung eingetauscht gegen Transferkonto
Mindestsicherung eingetauscht gegen Transferkonto(c) REUTERS (HERWIG PRAMMER)
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Überraschender Deal bei der Regierungsklausur: Wie SPÖ und ÖVP ihre Prestigeprojekte durchbrachten. Die Mindestsicherung soll ab September in der Höhe von 744 Euro zwölfmal pro Jahr ausbezahlt werden.

Graz. Das Transferkonto ist tot“ (Sozialminister Rudolf Hundstorfer, SPÖ), „Das Transferkonto kommt, der Einstieg ist geschafft“ (Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka, ÖVP): Ganz uniform war die Bilanz der beiden Koalitionspartner in einem zentralen Punkt der Regierungsklausur am Dienstag in Graz dann doch nicht. Jedenfalls gab es einen Beschluss für die Mindestsicherung ab 1.September 2010 und eine Einigung, eine Arbeitsgruppe zur Erstellung einer „Transferdatenbank“ einzurichten. Die SPÖ brachte bei diesem Deal ihr Prestigevorhaben der einheitlichen Sozialhilfe von künftig 744Euro netto im Monat durch, die ÖVP hatte ihre Zustimmung aber an den Einstieg für ein Transferkonto, das alle staatlichen Zahlungen auflistet, geknüpft.

Das Ganze hing noch Montagabend am seidenen Faden. Die Titelgeschichte der „Presse“ vom Dienstag über das Bremsen der ÖVP bei der Mindestsicherung, weil das Finanzministerium 46 Millionen Euro nicht bedeckt sah, dürfte den Beschluss beschleunigt haben: Man wollte öffentliche Dissonanzen hintanhalten.

Bis zu 140 Millionen vom Bund

Man sei „besonders stolz, dass dieser aktive Beitrag zur Bekämpfung der Armut geschafft wurde“, lobten daher Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP) wortident die Mindestsicherung, die ab September in der Höhe von 744Euro zwölfmal pro Jahr ausbezahlt werden soll. Die Umsetzung verursacht höhere Kosten als die bisherige Sozialhilfe. 42 Millionen Euro, finanziert vom Finanz- und Sozialministerium, wird diese Maßnahme heuer kosten; danach sind für den Bund bis zu 140 Millionen pro Jahr an Mehrkosten vorgesehen.

Wie kommt es zu der Summe? 107 Millionen Euro sind für Verbesserungen bei der Notstandshilfe geplant. Reicht diese nicht, wird die Differenz auf 744Euro mit der Mindestsicherung aufgestockt. 22 Millionen Euro übernimmt der Bund an Ausfallshaftung für die Krankenversicherung, weil Bezieher auch eine E-Card erhalten. Bisher mussten sie in den Ländern jeweils Krankenscheine vorlegen. Zwei Millionen kosten Verbesserungen für Kinder von Beziehern von Mindestpensionen. Außerdem wurde schon beim Finanzausgleich 2007 mit den Ländern vereinbart, dass diese 50 Millionen der Mehrkosten tragen.

Weniger konkret ist das Thema „Transparenzdatenbank“ geblieben, in die sämtliche Geld- und Sachleistungen (Förderungen, Transferleistungen) einfließen sollen, die von Bund, Ländern und der EU an Personen, aber auch juristische Personen, also Unternehmen, ausbezahlt werden. Damit erhoffen sich die Koalitionsparteien, Doppelgleisigkeiten und Missbrauch verhindern zu können. Konkrete Details soll aber erst eine Arbeitsgruppe erstellen, auf deren Installierung man sich bei der Klausur geeinigt hat. Bis zum Inkrafttreten der Mindestsicherung, also im September, soll die Arbeitsgruppe „Grundlagen für ein Modell für die Darstellung der Leistungen sowohl in aggregierter als auch in individueller Form“ erarbeitet haben, heißt es im Regierungspapier. Mündlich haben Faymann und Pröll nach dem Ministerrat bezüglich konkreter Ergebnisse aber präventiv auf Jahresende vertröstet.

Dass das ÖVP-„Baby“ Sozialtransferkonto so schnell den SPÖ-Sanktus finden würde, löste bei der ÖVP satte Zufriedenheit aus. Davor hatte die SPÖ stets vor einer „Neiddebatte“ gewarnt. In kleinen Runden versuchte die SPÖ den Schwenk zu beschönigen: Man werde sehen, ob das finanzierbar sei. Zum Transfer müsste man auch jede vom Staat finanzierte Opern- und Bahnkarte rechnen. Davon will die ÖVP nichts wissen. Es gehe um mehr Transparenz, das müsse man nicht verkomplizieren. Pröll freut sich über eine „logische Weiterentwicklung“ des von ihm im Oktober aufs Tapet gebrachten Kontos.

AUF EINEN BLICK

Regierungsklausur. Zum Abschluss des zweitägigen Treffens von SPÖ und ÖVP in Graz wurde im Ministerrat die Mindestsicherung beschlossen. Diese löst ab 1.September 2010 die bisherige Sozialhilfe ab. Höhe: 744 Euro netto. Auszahlung: zwölfmal pro Jahr. Im Gegenzug wurde von den beiden Regierungsparteien die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Erstellung einer „Transferdatenbank“ für staatliche Leistungen und Zuschüsse vereinbart. Damit wird die ÖVP-Idee des „Transferkontos“ aufgegriffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2010)

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