Vorratsdaten: Wenn Datensammeln zur Gefahr wird

Vorratsdaten Wenn Datensammeln Gefahr
Vorratsdaten Wenn Datensammeln Gefahr(c) AP (Thomas Kienzle)
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Das deutsche Vorratsdaten-Urteil zeigt, dass Politiker nicht Terroristen, sondern Bürger als Bedrohung wahrnehmen. Kommunikationsdaten Unschuldiger werden so gespeichert, als wären sie Schwerverbrecher.

Genau genommen macht das Grundsatzurteil des deutschen Verfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung niemanden glücklich: Polizei und Staatsschützer beklagen, dass ihnen vorläufig ein wichtiges Werkzeug zur Kriminalitätsbekämpfung und Terrorprävention genommen wurde. Und die Kritiker nehmen zähneknirschend zur Kenntnis, dass selbst die obersten Hüter der bürgerlichen Freiheit nichts dagegen haben, Kommunikationsdaten Unschuldiger so zu speichern, als wären sie Schwerverbrecher. Kritisiert haben die Richter in Purpur nämlich nur den deutschen Gesetzgeber, der eine ihrer Ansicht nach korrekte EU-Richtlinie verfassungswidrig umgesetzt hat.

Die interessantesten Passagen des Urteils stehen zwischen den Zeilen und sind auf die Umsetzungspraxis der EU-Vorgabe in allen anderen Mitgliedsländern anwendbar. So hegen die Richter große Zweifel an der Missbrauchssicherheit der gespeicherten Daten, weisen darauf hin, welch gewaltige Informationsfülle in den endlosen Kolonnen aus Nullen und Einsern eigentlich steckt. Wer weiß, wie man sie liest, kann damit alles Mögliche anfangen.

Vereinfacht gesagt sieht die unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September 2001 entstandene Richtlinie vor, jene Informationen zu speichern, die Auskunft darüber geben, wer wann von wo aus und mit wem telefoniert oder via Internet und E-Mail kommuniziert hat. Auch wenn Gespräche oder Textpassagen selbst nicht aufgezeichnet werden, lassen sich so präzise Kommunikations-, Bewegungs- und damit Persönlichkeitsprofile erstellen. Wer regelmäßig bei der Aidshilfe anruft, könnte krank, wer bei der Schuldnerberatung anläutet, pleite sein. Geschieht das von einem Mobiltelefon aus, gibt es die passenden Standortdaten auf den Meter genau dazu. Alles wird nachvollziehbar, und das rückwirkend für mehrere Monate.


All die Daten stehen natürlich nicht jedermann zur Verfügung. Der gestern in Wiener Neustadt eröffnete Prozess gegen 13 Tierschützer zeigt aber, dass es schon reichen würde, wenn diese Daten quasi als Nebenprodukt Gegenstand von Ermittlungen würden. In dem viel beachteten Verfahren wird den Angeklagten vorgeworfen, Mitglieder einer kriminellen Organisation zu sein. Dreh- und Angelpunkt ist der Verein gegen Tierfabriken (VgT) mit seinem Obmann Martin Balluch. Was aber würde geschehen, wenn Ermittler bei der Auswertung von Telefondaten auf Personen stießen, die regelmäßig und in guter Absicht bei der Spendenhotline des VgT angerufen haben? Drohen harmlosen Tierfreunden dann Anklagen wegen Finanzierung einer kriminellen Organisation?

Zugegeben: All das sind Gedankenspiele, die in der aufgeheizten Debatte um steigende Kriminalitätsraten und zunehmende Terrorismusgefahr in der breiten Öffentlichkeit nicht gut ankommen. Und viele sogenannte Datenschützer müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, unter dem Banner falsch verstandener Liberalität in Wahrheit die Verfolgung von Verbrechern zu behindern. Dabei tut man den meisten von ihnen Unrecht. Tatsache nämlich ist, dass eine effiziente Strafverfolgung mithilfe der Auswertung von Telekommunikationsdaten auch ohne Vorratsdatenspeicherung funktioniert. Fahnder müssen sich nur die Mühe machen, nach Verdachtsmomenten zu suchen. Jeder halbwegs an erfolgreichen Ermittlungen interessierte Richter wird dann die nötigen Überwachungsmaßnahmen genehmigen.

Die Vorratsdatenspeicherung hingegen könnte Polizisten und Staatsanwälte dazu verleiten, Kopfarbeit zu unterlassen und nur noch auf Anlässe zur Datenöffnung zu warten. Irgendetwas findet sich dort immer.

Im schlimmsten Fall funktioniert das dann so: Stellen Sie sich vor, jedes Gespräch, jeder Gesprächspartner und jeder Ihrer Briefe werden vorsorglich vermerkt. Irgendwann haben Sie mit einem wie Martin Balluch zu tun, einer Person, die irgendwem– aus welchen Gründen auch immer – verdächtig ist. Und dann kommt dieser Irgendwer und dreht Ihnen im Namen des Gesetzes einen Strick daraus, nur weil die Datenbank weiß, dass Sie mit ihm Kontakt hatten.

Das Problem der Vorratsdatenspeicherung ist, dass jene, die wirklich etwas im Schilde führen, genügend Wege und Mittel haben, um der Speicherwut zu entkommen. Im Netz hängen bleiben die, die aufgrund mangelnder technischer Fähigkeiten und unglücklicher Zufälle in Erklärungsnotstand geraten. Das lässt nur einen Schluss zu: Politiker, die derartige Gesetze beschließen, fürchten sich nicht vor Terroristen, sondern vor den eigenen Bürgern.


andreas.wetz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2010)

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