Spanien: Die Stunde des Pedro Sánchez

Für seinen Abgang bekam Premier Mariano Rajoy im Parlament nur stehende Ovationen aus den eigenen Reihen.
Für seinen Abgang bekam Premier Mariano Rajoy im Parlament nur stehende Ovationen aus den eigenen Reihen. (c) APA/AFP/PIERRE-PHILIPPE MARCOU (PIERRE-PHILIPPE MARCOU)
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Der smarte Sozialistenchef löste per Misstrauensvotum die skandalgeschüttelte Minderheitsregierung Mariano Rajoys ab.

Madrid. Nach 20 Jahren in der Spitzenpolitik als Minister, Vizepremier und sechseinhalb Jahren als Regierungschef hat Mariano Rajoy ausgedient. Selbst im Wachsfigurenkabinett in Madrid war nach dem ersten erfolgreichen Misstrauensvotum in der spanischen Geschichte die Zeit des Konservativen abgelaufen. Zu Wochenbeginn weicht der knorrige Galizier dort seinem Nachfolger, dem Sozialistenchef Pedro Sánchez.

In der realen Welt war es schon Freitagmittag so weit. Im Parlament in Madrid hatte der 63-jährige Meistertaktiker auf einen letzen Winkelzug verzichtet – auf einen Rücktritt vor der Abstimmung, um so die die Suche nach einer parlamentarischen Mehrheit in die Länge zu ziehen. Rajoys Fortüne war nach fast zweijähriger Minderheitsregierung ausgeschöpft, besiegelt durch das Urteil des Obersten Gerichtshofs. Der Premier und seine Partei waren diskreditiert, und Sánchez nützte seine Chance.

Ein Wort des Bedauerns über die Korruptionsaffäre seiner konservativen Partei, die mehr als zwei Dutzend Politiker und schließlich ihn selbst zu Fall gebracht hatte, kam Rajoy jedoch nicht über die Lippen. Aus seiner Abschiedsrede sprach indessen Genugtuung: „Ich habe ein besseres Spanien hinterlassen, als ich es vorgefunden habe.“ Dies wünsche er auch seinem Nachfolger, dem vielfach bereits als Verlierer abgestempelten Sánchez.

Auf Rajoy könnten angesichts weiterer Korruptionsprozesse noch strafrechtliche Kalamitäten zukommen. Den Verdacht einer Mitwisserschaft konnte er bisher nicht ausräumen. Politisch steuert Spanien auf eine Zeit der Instabilität zu. Denn auch Spaniens neue sozialistische Regierung, die von der linksalternativen Protestpartei Podemos gestützt wird, steht auf schwachen Füßen. Die Mehrheit für den Machtwechsel kam nur zustande, weil die separatistischen Parteien aus Katalonien gegen Rajoy stimmten. Sie werden Gegenleistungen einfordern, was neue Konflikte befürchten lässt.

Podemos gegen den Sparkurs der EU

Der 46-jährige Ökonom Sánchez gilt als dezidierter Pro-Europäer, zumal er zum Teil in Brüssel studiert hat. Podemos hat sich indes gegen den EU-Sparkurs ausgesprochen, was Konfliktpotenzial birgt. Vor allem in der immer noch ungelösten Katalonienkrise wird Sánchez beweisen müssen, dass er einen neuen Gesprächs- und Verhandlungsstil pflegt. Ob er es ernst meint mit seinem Angebot, Brücken zum abdriftenden Katalonien zu bauen, wird sich schnell herausstellen. Der dialogfreudige Sozialdemokrat hat sich bisher konzilianter im Ton gezeigt, und ihm trauen die spanischen Medien mehr Flexibilität zu als dem sturen Rajoy. Doch auch Sánchez präsentierte sich letztlich als eiserner Verfechter der Einheit.

Offiziell strebt die neue Regierung eine Zusammenlegung der EU-Wahl mit den Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr an. Baldige Neuwahlen sind indes nicht ausgeschlossen – und damit auch eine politische Kräfteverschiebung. In den aktuellen Umfragen liegt die liberale Partei Ciudadanos (Bürger) im Aufwind, während die Sozialisten eher Einbußen zu erwarten haben. Bereits bei der letzten Wahl im Jahr 2016 mussten sie Federn lassen und landeten bei nur knapp 23 Prozent. Dies war auch der Grund, warum Sánchez die Forderung nach sofortiger Neuwahl ablehnte.

Knapp sechs Wochen ist es erst her, dass Spaniens neuer Regierungschef bei der Kür von Andrea Nahles zur SPD-Chefin in Wiesbaden in einem Grußwort der heftig gebeutelten europäischen Sozialdemokratie Mut zusprach. Wie ein kleines Wunder mutet nun sein Aufstieg an. Den smarten Sozialistenchef – oft als „Pedro, der Schöne“ verhöhnt – zeichnen zwei Qualitäten aus: sein Charisma, das sich in einer bemerkenswerten rhetorischen Gewandtheit widerspiegelt. Und sein politischer Instinkt, der ihm nun signalisierte, dass dies das richtige Timing wäre für den Sturz Rajoys.

Vor vier Jahren hatte es der Hinterbänkler und Basketballfan als Nobody geschafft, die Spitze einer Partei zu erobern, die mit Felipe González und José Luis Zapatero zwei prägende Premierminister gestellt hatte. Bei der Basis kamen sein Charme und sein Sonnyboy-Image an, bei den Parteibaronen weniger. Zumal er den verkrusteten Parteiapparat reformieren und die Sozialisten auf einen progressiveren Kurs trimmen wollte. Nach der Wahlschlappe 2016 schickte ihn der Parteivorstand in die Wüste. Doch schon ein halbes Jahr später gelang ihm ein spektakuläres Comeback: Via Mitgliedervotum kehrte er als Parteichef zurück und suchte sogleich die Zusammenarbeit mit Podemos. Nun muss Pedro Sánchez aber auch einmal eine Wahl gewinnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2018)

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