Euroskeptiker am Ruder in Rom

Nun ist es doch soweit: Nach langem Hin und Her vereidigte am Freitag Staatspräsident Mattarella (rechts) die Koalition zwischen „Grillini“ und Lega, Premier wird Giuseppe Conte (links).
Nun ist es doch soweit: Nach langem Hin und Her vereidigte am Freitag Staatspräsident Mattarella (rechts) die Koalition zwischen „Grillini“ und Lega, Premier wird Giuseppe Conte (links). (c) APA/AFP/Italian Presidency/- (-)
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Die Koalition zwischen „Grillini“ und Lega wurde vereidigt: Wirtschaftsminister ist ein Deutschland-Kritiker, für EU-Fragen ist ein Eurogegner zuständig.

Rom. Freitagnachmittag war es endlich soweit: Nach dem zermürbenden Hin und Her der letzten Tage und Monate wurde Italiens populistische Regierung von Staatspräsident Sergio Mattarella vereidigt. Neuer Ministerpräsident ist Giuseppe Conte, ein politischer Quereinsteiger, der den meisten Italienern bis vor einer Woche unbekannt war. Der Weg zur Regierung war frei geworden, nachdem der zwischenzeitlich mit einer Übergangsregierung beauftragte Technokrat Carlo Cottarelli am Donnerstag den Regierungsauftrag an Mattarella zurückgegeben hatte.

Salvini und Di Maio am Steuer

Lega-Chef Matteo Salvini und Fünf-Sterne-Vorsitzender Luigi Di Maio – und nicht Premier Conte – dürften die wahren Protagonisten der neuen Regierung werden. Salvini ist Vizepremier und Innenminister. Di Maio reservierte gleich drei Ämter für sich: Er ist Vizepremier sowie Minister für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung. Er ist also für die Umsetzung der geschätzt 20 Mrd. Euro teuren Sozialhilfepakete verantwortlich, die Maßnahmen wie Grundeinkommen, Umkehr der Pensionsreform oder Investitionen in Innovation vorsieht. Das Geld soll vor allem in den ärmeren Süden gehen.

Für das zweite kostspielige Ausgabenpaket der Populistenregierung ist der römische Wirtschaftsprofessor Giovanni Tria, 70, in der Rolle des neuen Finanz- und Wirtschaftsministers am Start. Er soll eine radikale Steuerreform mit zwei Pauschalsteuersätzen von je 15 und 20 Prozent durchsetzen. Dies war die Forderung der ausländerfeindlichen Lega, die damit Wähler im wirtschaftlich starken Norden gewonnen hat. Ihre Kosten belaufen sich nach Schätzungen auf 80 Mrd Euro. Im Regierungsvertrag wird nicht erklärt, woher das Geld kommen soll.

Giovanni Tria gilt als weniger euroskeptisch als sein designierter Vorgänger, Paolo Savona, der am Sonntag die Regierungsbildung verhindert hatte. Mattarella sah in ihm eine Gefahr für die Stabilität Italiens und der EU. Tria stammt aus dem liberal-konservativen Lager um Silvio Berlusconi. Er stimmte aber Savonas Europositionen öffentlich zu und kritisierte wiederholt den deutschen Handelsbilanzüberschuss in der EU.

Der 81-jährige Ökonom Savona wird zwar nicht für die Finanzen zuständig sein, dafür aber Minister für Europäische Angelegenheiten. Die im Regierungsvertrag vorgesehenen Reformen der EU-Verträge, der Umbau des EU-Stabilitätspaktes und der Bankenunion sowie mehr Macht für das EU-Parlament – das wird in Zukunft ein entschlossener Eurogegner für Italien aushandeln. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens Italiens neuer Chefdiplomat, Enzo Moavero Milanesi, eine gemäßigtere Linie auf der internationalen Bühne fahren wird.

Schon kommende Woche wird vielleicht auch schon Lega-Chef Salvini an den EU-Verhandlungstischen sitzen, wenn die EU-Innenminister über den Entwurf eines neuen EU-Asylrechts diskutieren. Salvini will die Einwanderung stoppen und Ausländer ohne Asylrecht aus dem Land werfen. Vor der Rückführung sollen die geschätzt 600.000 Ausländer in Abschiebezentren interniert werden. Er kündigte bereits an, fünf Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe streichen zu wollen.

Internetfirma kontrolliert PR

Regierungssprecher wird vermutlich Rocco Casalino, ein Ingenieur, der vor 20 Jahren an der TV-Realityshow „Grande Fratello“ (Big Brother) teilnahm. Der Mann hinter dem virtuellen Kommunikations-, Wahl- und Kontrollapparat der Fünf-Sterne-Bewegung und der Onlineplattform Rousseau ist der Mailänder Internetunternehmer Davide Casaleggio. Normalerweise müssen Fünf-Sterne-Politiker Interviews und Aussagen von diesen beiden Instanzen autorisieren lassen.

Di Maio selbst hatte sich mit verbalen Kapriolen Anfang dieser Woche hervorgetan. Er hatte den Staatspräsidenten, Sergio Mattarella, frontal angegriffen. Mattarella hatte die Regierungsbildung im ersten Anlauf mit einem Veto gestoppt, das ihm verfassungsrechtlich zusteht. Der Fünf-Sterne-Vorsitzende forderte daraufhin die Amtsenthebung des Staatschefs. Damit zog er sich den Zorn und die Empörung halb Italiens zu. Der respektlose und entfesselte Ton, mit dem die Politiker von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega den Präsidenten schon in den Wochen davor immer wieder attackiert hatten, entfesselte schließlich auch die Benutzer im Internet. Morddrohungen gingen an Mattarella. Dass der Präsident Di Maio trotzdem eine zweite Chance gab, macht ihn nun für viele Italiener zu einem Helden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2018)

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