CeBit: Programmierte Begeisterung

CeBit Programmierte Begeisterung
CeBit Programmierte Begeisterung(c) APN (JOERG SARBACH)
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Mit 3-D-Fernsehern, Sicherheit und Smartphones kämpft die größte „Digitalmesse“ CeBIT gegen sinkendes Interesse. Die Branche übt sich in Zweckoptimismus.

Hannover. SmartSchank, die „intelligente Theke“, ist entweder falsch programmiert oder typisch deutsch: Das von der Technischen Universität Clausthal entwickelte System „dosiert akribisch genau, kein Tropfen wird hier künftig zu viel ausgeschenkt“. Zum Leidwesen aller Biertrinker soll der Getränkeverlust „um bis zu acht Prozent minimiert werden können“.

Das elektronische Schanksystem ist eine der vielen Entwicklungen, die seit Dienstag auf der CeBIT in Hannover zur Schau gestellt werden. Der Biersparmeister gehört ebenso zu den Highlights der immer noch weltgrößten Digitalmesse wie die „telemedizinische Diagnostik“, die auch nach überzogenem Bierkonsum zu empfehlen ist. Auf der „Waage“ der BodyTel Europe GmbH wird nicht nur das Gewicht gemessen, sondern auch Blutdruck und Blutzucker – und an die elektronische Gesundheitsakte weitergeleitet.

Natürlich sind die beiden Beispiele nicht die Massenmagnete auf der CeBIT, die trotz ihrer Business-Orientierung weiterhin tausende Endverbraucher und „Prospektsammler“ anzieht. Ohrenbetäubender Motorenlärm lockt die Gamer zum Autorennspiel in Halle23, in der Chiphersteller Intel seine „Extreme Masters“, die inoffizielle WM, abhält. Stände mit neuesten Handys – dank Apples iPhone fast nur noch mit berührungsempfindlichem Display – sind ebenso beliebt wie die Bemalungsaktion jener Autos mit Dachkamera, die für Googles Anwendung „Streetview“ durch die Städte gefahren sind. Action ist gefragt, auch an den vielen Stellen, an denen dreidimensionales Fernsehen gezeigt oder besser angekündigt wird. 3-D ist seit gut 15 Jahren im Kommen – noch immer überwiegen die Fragen. Wie sie Hans-Jörg Bullinger, Präsident der deutschen Forschungsgesellschaft Fraunhofer, formuliert: „Wie viel Aufwand kostet es, 3-D ohne Brille zu realisieren?“ Viele Hersteller zeigen in Hannover TV-Geräte für 3-D, die auch mit der Fraunhofer-Brille „herausragende“ Bilder produzieren – sie wissen, was sie dem beginnenden Hype schulden. Aber ohne Sehbehelf geht nichts.

„Bis 2015 hundertmal mehr Daten“

Breiten Raum nimmt in Hannover der Komplex Sicherheit ein, der den Messeschwerpunkt „Connected Worlds“ begleitet. Kein Wunder, denn digitale Angriffe werden laut des deutschen Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) immer professioneller. „Die Hacker sind schneller als die Administratoren“, sagt BSI-Präsident Michael Hange. „Es nützt nichts, Sicherheitstechnologien zu entwickeln, wenn die Sensibilität für die Probleme nicht da ist.“ Die Gefahr steige durch die Verbreitung von Smartphones. Je mehr sich die Handys Computern angleichen, desto anfälliger werden sie. Besonders dann, wenn kleine Programme („Apps“) heruntergeladen und installiert werden.

Und die Vernetzung schreitet munter fort. Netzwerklieferant Nokia Siemens Networks (NSN) kündigt an, dass die vierte Mobilfunkgeneration (LTE) in Deutschland noch heuer starte. Die Übertragungsraten sollen die der Glasfasernetze um das Doppelte übersteigen. Durch die Verbreitung des mobilen Internets stehe weltweit eine Explosion des Datenaufkommens bevor. Bis 2015 werde sich der Datenverkehr gegenüber heuer verhundertfachen – auf jährlich 23 Exabytes, etwa hundert Millionen gut sortierter Festplatten, deren Inhalt durch die Welt gejagt wird.

Angesichts derartiger Visionen müssen die Business-Angebote auch auf der CeBIT etwas zurücktreten. Nur hier und da gelingt es Anbietern, den Nutzen ihrer Anwendungen plastisch darzustellen. Etwa, wenn die Software AG mit dem Softwarehaus IDS Scheer dem Navigationsspezialisten Tom-Tom zeigt, wie digitale Welten intelligent miteinander verbunden werden, um den CO2-Ausstoß einer Fahrzeugflotte zu reduzieren.

IDS Scheer wird deshalb besonders aufmerksam „gehört“, weil der Firmengründer von sich reden macht: August-Wilhelm Scheer nutzt die „Befreiung“ vom Tagesgeschäft, um als Präsident der Branchenlobby Bitkom Stimmung zu machen. 59Prozent der Bitkom-Mitglieder erwarteten im ersten Quartal ein Umsatzplus. „Der Investitionsstau bei IT-Lösungen für Unternehmen löst sich allmählich auf.“ Die Nachfrage der privaten Verbraucher sei immer noch gut. Stark gefragt sind Smartphones, mobile Computer und Flachbildfernseher.

Besonders deutlich wurde der neu erwachte (Zweck-)Optimismus beim Auftritt des neuen Chefgespanns des deutschen Softwareriesen SAP: Der Däne Jim Hagemann Snabe und der Amerikaner Bill McDermott verkündeten drei Erfolgskriterien, denen kaum Neuigkeitswert vorgeworfen werden kann – Innovation, Wachstum und Marge.

auf einen Blick

Trotz des Ausstellerschwunds gilt die deutsche CeBIT immer noch als die weltweit größte „Digitalmesse“. Mit 3-D-Fernsehen, Smartphones und viel Action versucht die Branche in Hannover, das Interesse der Besucher wieder anzukurbeln. Bahnbrechende Neuerungen bleiben aber aus.

Beim Blick in die Zukunft dominiert der (Zweck-)Optimismus. Firmen investieren wieder in IT, Konsumenten hätten damit nie aufgehört, meint die Branchenlobby Bitkom.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2010)

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