Deutschland: Das Jahr, das Merkel wieder einholt

Kurze Innenpolitik-Auszeit: Kanzlerin Merkel besuchte die Nationalmannschaft.
Kurze Innenpolitik-Auszeit: Kanzlerin Merkel besuchte die Nationalmannschaft. (c) REUTERS (HANDOUT)
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Wer ist für die chaotischen Zustände im Asylamt verantwortlich? Die Opposition scheint schon eine Antwort gefunden zu haben: eine, die für Merkel gefährlich werden könnte.

Berlin. Angela Merkel muss ein sehr entspanntes Verhältnis zu Südtirol haben. Seit Jahren verbringt die deutsche Kanzlerin ihren Sommerurlaub im Vinschgau, um in den Alpen wandern zu gehen. Politisch ist die Beziehung zu Landeshauptmann Arno Kompatscher friktionsfrei: Beide führen eine christlich-soziale Volkspartei an, und beide fordern in der Flüchtlingspolitik Solidarität und einen europäischen Gedanken ein.

Auch am Wochenende reiste die Kanzlerin zu einem Wohlfühltermin an: Sie besuchte „Jogis Jungs“, wie die deutsche Nationalmannschaft rund um Joachim Löw genannt wird, auf ihrem Trainingscamp in Eppan. Nach zwei Stunden und einem gemeinsamen Abendessen musste Merkel aber wieder zurück nach Berlin. Und damit in die deutsche Innenpolitik, die sich erneut um ein Thema zu drehen scheint: die Flüchtlingspolitik.

Seit Wochen weitet sich ein möglicher Korruptionsskandal im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) aus. Er begann in Bremen und wurde im April bekannt: Die Staatsanwaltschaft teilte mit, dass sie gegen die ehemalige Leiterin der dortigen Bamf-Stelle ermittle. Die damalige Mitarbeiterin soll bis ins Jahr 2016 mehr als 1200 Asylanträge ohne rechtliche Grundlage bewilligt haben. Die Vorwürfe sollen einigen Führungspersonen im Bamf möglicherweise aber schon länger bekannt gewesen sein. Nun stellt man sich in Deutschland die Frage: Wer ist für die Vorgänge verantwortlich? Die Opposition scheint bereits eine Antwort gefunden zu haben. Sie heißt Merkel. Das heikle Jahr 2015 und die Folgen rücken einmal mehr in den Fokus.

Antrag auf einen U-Ausschuss

Zumindest will das die FDP. Parteichef Christian Lindner legte seine genauen Pläne für eine Aufklärungsarbeit vor. Er will im Bundestag einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Laut dem Antrag, den er am Montag in Berlin verteilte, soll sich das Gremium „ein Gesamtbild darüber verschaffen, welche Gründe und Rahmenbedingungen“ zu den Vorkommnissen in Bremen geführt hätten. Auch die Rolle der damaligen Regierung soll ausgeleuchtet werden – mit Angela Merkel als Auskunftsperson. Für die Kanzlerin wäre das gefährlich: Immerhin versucht sie nicht nur, sich aus der Debatte um den Bamf-Skandal herauszuhalten, sondern die Ereignisse in der Flüchtlingskrise möglichst in der Vergangenheit zu lassen.

Welche Strategie bei den Liberalen dahintersteckt, formulierte Lindner am Montag selbst aus: Die FDP will sich als Partei mit einer „weltoffenen, aber klar geregelten Einwanderungspolitik“ positionieren. Damit könnte sie der CDU und CSU Stimmen wegnehmen. Etabliert sie sich außerdem als Aufdeckerpartei, könnte man bei der Wählergruppe der Grünen punkten. Doch auch für die FDP lauert eine Gefahr im Untersuchungsausschuss – die AfD. Die rechte Partei will das Gremium vor allem vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Herbst nutzen, um auf ihre Anti-Flüchtlingskampagne aufmerksam zu machen.

FDP kann nicht ohne AfD

Auf die Frage, was nun die Pläne der FDP von jenen der Alternative für Deutschland unterscheide, reagierte Lindner am Montag empört: Die AfD sei nur auf Eskalation aus, „wenn man ihr aber das Monopol auf Kritik einräumt, macht man diese Partei wichtiger, als sie ist“. Lindner will also eigentlich gar nicht mit der AfD, kann aber auch nicht ohne sie: Denn für einen Untersuchungsausschuss braucht die Oppositionspartei die Unterstützung von zwei weiteren Fraktionen. Während die Linke bereits abgesagt hat, geben sich die Grünen noch skeptisch. Bis Donnerstag sollen sie umgestimmt werden, denn dann will die FDP den Antrag im Bundestag einbringen.

Bis dahin wird ein internes Papier des früheren Bamf-Chefs Frank-Jürgen Weise diskutiert. Laut „Bild am Sonntag“ machte er 2017 in einer internen Bilanz die Bundesregierung für die Missstände in der Behörde verantwortlich. Die Mitarbeiter seien überlastet gewesen. Auch mit der Kanzlerin habe er darüber gesprochen.

Zwei Monate noch, dann reist Merkel wieder nach Südtirol.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2018)

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