Gastkommentar

Wer zu spät kommt, den bestraft eben Donald Trump

EU und USA sollten zweiten Anlauf für ein Freihandelsabkommen nehmen.

Die aktuellen Debatten um die von US-Präsident Donald Trump verhängten Strafzölle zeigen nur allzu deutlich, dass die Europäer mit ihrem Widerstand gegen TTIP eine Riesenchance verpasst haben. Die am Kern der Probleme vorbeiführenden Debatten rund um Chlorhühner und Co., vorwiegend in Österreich und Deutschland, haben einen rechtzeitigen Abschluss in der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama verhindert.

Wie sich jetzt zeigt, würden bereits abgeschlossene Handelsabkommen Sicherheit und Stabilität bieten. Auch die Trump-Regierung hätte im Vergleich zur EU keine Nachteile, weil Zölle auf beiden Seiten des Atlantiks abgeschafft wären. Stattdessen haben wir nun protektionistische Tendenzen, sogar von Handelskrieg ist die Rede.

Grundsätzlich bringt Freihandel den beteiligten Ländern langfristig durch niedrigere Preise und Produktivitätssteigerungen immer Wohlstandsgewinne. Kurzfristig kann es zwar sowohl Verlierer als auch Gewinner geben, die aber gerade durch Europas Sozialmodell abgefedert werden können.

Zahlreiche Studien zeigen, dass der Freihandel eine wesentliche Quelle unseres Wohlstands ist. Eine Studie von Ralph Ossa aus dem Jahre 2012 errechnet für Österreich im Vergleich zur Autarkie eine Realeinkommenssteigerung durch Freihandel in Höhe von 103,4 Prozent. Würde sich Österreich komplett abschotten, würde die Hälfte unseres Wohlstands verschwinden.

Angleichung von Standards

Bei der neuesten Generation von Freihandelsverträgen geht es nicht nur um Zölle, sondern vor allem um die Angleichung von Standards und Regulierungen. Mittlerweile ist klar, dass die amerikanischen Standards zwar anders, aber nicht unbedingt niedriger sind. Und selbst dort, wo die USA geringere Standards aufweisen, können Verhandlungen auch eine Angleichung auf das höhere Niveau ermöglichen.

Reizthema Schiedsgerichte

Wie groß die Handelsgewinne sind, hängt natürlich von der konkreten Ausgestaltung des Abkommens ab. Das BIP pro Kopf wäre – je nach Beschlusslage und verwendetem Szenario – permanent um 0,5 bis vier Prozent höher. Häufig werden die Vorteile, die sich nach einer Anpassungsperiode von zehn Jahren erstmals voll materialisieren, auf den Anpassungszeitraum verteilt und als jährliche Wachstumsrate ausgegeben. Diese Vorgangsweise vernachlässigt jedoch das permanent höhere Einkommensniveau.

Selbstverständlich muss das Thema Schiedsgerichte sorgfältig verhandelt werden, bevor man einem Abkommen zustimmt. Die ökonomischen Vorteile würden aber auch bei einem Abkommen ohne Schiedsgerichte allein durch die Abschaffung von Zöllen und Angleichungen von Regulierungen spürbar werden.

Daher unser Plädoyer für einen zweiten Anlauf zum Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen EU und USA. Gerade die EU sollte mit ihrem Protektionismusvorwurf an die USA vorsichtig sein, zumal sie derzeit höhere Zölle einhebt als die Amerikaner, um bestimmte Industrien zu schützen. Dadurch werden die Interessen der Unternehmen über jene der Konsumenten gestellt.

Zudem wird die latente Freihandelsfeindlichkeit der EU bei der Diskussion um einen harten Brexit, bei den Russland-Sanktionen sowie bei den Handelshemmnissen gegenüber Entwicklungsländern in Afrika sichtbar. All dies spricht dafür, dass die EU keine Opferrolle einnehmen soll, sondern die Europäer ihre eigenen Standpunkte überdenken müssen.

Philipp Novak und Philipp Krabb sind Ökonomen am Economica-Institut für Wirtschaftsforschung in Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2018)

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