Demonstrative Harmonie mit leisen Misstönen

Die Bundesregierung flog gestern zur Vorbereitung des EU-Ratsvorsitzes nach Brüssel.
Die Bundesregierung flog gestern zur Vorbereitung des EU-Ratsvorsitzes nach Brüssel.(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Brücken bauen, Außengrenzen schützen, Haushalt einfrieren: Die Bundesregierung bemühte sich in Brüssel um Einvernehmen. Doch Konfliktpotenzial ist bereits zu erkennen.

Brüssel. 66 Seiten ist das offizielle Programm des österreichischen Ratsvorsitzes lang, doch bei ihren beiden Pressekonferenzen im Laufe ihres Brüsselbesuches am Mittwoch machte die Bundesregierung klar, dass dieses Aufgabenheft hinter zwei Hauptziele zurücktritt: die Sicherung der Außengrenzen der Union, und die Einfrierung des Unionshaushaltes für die Jahre 2021 bis 2027 bei einem Prozent der Wirtschaftsleistung der nach dem Brexit verbleibenden 27 Mitgliedstaaten.

„Ein Prozent war es bisher, ein Prozent soll es bleiben“, sagte Europaminister Gernot Blümel. „Wir werden ab dem 1. Juli gefordert sein, neue Wege zu gehen. Das Flüchtlingsthema hat schon zu viele Gräben erzeugt“, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz. „Uns schwebt eine Stärkung von Frontex vor, sowohl finanziell als auch personell, und zügiger als bisher vorgesehen.“ Vizekanzler Heinz-Christian Strache fügte hinzu, dass der Außengrenzschutz „uns besonders wichtig“ sei und es sichergestellt werden müsse, „dass es keine illegale Zuwanderung nach Europa gibt.“

Verwirrung um Migrantenzentren

Im Anschluss an eine gemeinsame Arbeitssitzung mit den 27 Kommissaren unter Präsident Jean-Claude Juncker betonten sowohl Kurz als auch der Kommissionsvorsitzende das fruchtbare Einvernehmen. „Was ich heute erlebt habe, war besonders intensiv“, sagte Juncker unter Verweis darauf, dass er sich schon mit vielen Ratspräsidentschaften derart ausgetauscht habe. „Mein Eindruck ist, dass die österreichische Bundesregierung und die Europäische Kommission in den Substanzfragen Hand in Hand gehen.“ Und er fügte hinzu: „Für mich ist der Schutz der Außengrenzen wichtiger als alle anderen Themen.“ Kurz betonte, dass es in dieser Frage „mittlerweile Einigkeit“ zwischen Kommission und den Mitgliedstaaten gebe.

Doch schon jetzt lässt dieses voraussichtlich wichtigste Thema der sechsmonatigen österreichischen EU-Präsidentschaft einige Konflikte erwarten. Denn mitten in die Vorstellung des laut Kurz über Monate ausgearbeiteten Präsidentschaftsprogrammes fielen Meldungen darüber, dass der Kanzler in enger Abstimmung mit Innenminister Herbert Kickl und einer kleinen Gruppe anderer Regierungen an einem Plan arbeite, außerhalb der EU Zentren für die Unterbringung von abgewiesenen Asylwerbern zu gründen. Der Kanzler bemühte sich auf Nachfrage darum zu betonen, dass dies „kein Projekt des österreichischen Ratsvorsitzes, sondern einer kleinen Gruppe von Staaten“ sei. Welche dies sind, sagte er nicht. Dänemark ist jedenfalls dabei, Ministerpräsident Lars Lökke Rasmussen hatte am Dienstag als erster über dieses Programm gesprochen.

Innerhalb der türkisblauen Regierungsmannschaft scheint dieser Vorstoß noch nicht sehr vertieft besprochen worden zu sein. Vizekanzler Strache sprach zum Beispiel vor dem Treffen mit der Kommission davon, „Aufnahmezentren außerhalb der EU einzurichten“. In diesen sollten Asylwerber künftig ihre Anträge vorab stellen – mit der völkerrechtlich problematischen Sanktion, „dass der Anspruch andernfalls verlustig geht.“

Lager für abgewiesene Asylwerber – oder Zentren zur Beantragung von Asyl? Und wieso ist so eine wichtige Frage nicht Teil der offiziellen Vorhaben, welche die Bundesregierung in Abstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Europaparlament in Gesetzesform zu gießen versucht?

Entwicklungshilfe als Sanktionsmittel

Diese Fragen blieben bei den kurzen Pressekonferenzen der Regierung ebenso ungeklärt, wie ein potenziell brisanter Vorschlag, der sich im Präsidentschaftsprogramm auf Seite 22 findet. Dort wird eine Verknüpfung zwischen Entwicklungshilfe und dem Migrationsproblem geschaffen und „die verstärkte Koppelung an die Bereitschaft von Drittstaaten zur Kooperation bei der Rücknahme abgelehnter Asylwerber angestrebt.“ Sprich: wer seine illegal nach Europa eingereisten Staatsangehörigen nicht zurücknimmt und somit deren Abschiebung verhindert, soll weniger Entwicklungshilfe von der EU bekommen. Es wird in Brüssel bereits über eine Novelle des Visakodex verhandelt, welche vorsähe, dass es für derart unkooperative Regierungen weniger EU-Visa gäbe. Die Drohung einer Senkung der Entwicklungshilfe ist bisher ein Tabuthema.

Die demonstrative Einigkeit zwischen Wien und Brüssel (beziehungsweise den anderen Regierungen) dürfte auch in der Frage des mehrjährigen Finanzrahmens Risse bekommen. Zwar sind einige andere Nettozahlerstaaten wie die Niederlande oder Finnland in Österreichs Lager. Dem stehen jedoch die Nettoempfänger im Süden und Osten gegenüber, die angesichts der verstärkt zu finanzierenden Aufgaben Sicherheit, Migration und Grenzschutz keine Abstriche bei der Agrar- und Kohäsionspolitik zulassen wollen. „Wir wollen einen Beitrag leisten, damit die Spannungen in Europa weniger werden“, sagte Kurz. Ab 1. Juli wird sich bewahrheiten, ob dies glückt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2018)

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