Gründung

Die Geburt des österreichischen Zeitungslesers

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1848. Flugblätter, Barrikaden, Freiheitskampf, fast jeden Tag eine neue Zeitung, am 3. Juli erstmals „Die Presse“. Was für ein Jahr!

Dass das Umsturzjahr 1848 auf dem Gebiet des Pressewesens am 1. Jänner mit dem Erscheinen der „Wiener Allgemeinen Damenzeitung für Frauenleben und Häuslichkeit“ begann, ist interessant, aber als Vorbote revolutionärer Umwälzungen darf man dies wohl nicht deuten. Schade, dass das Blatt nur so ein kurzes Leben hatte, es ging bereits Ende März wieder ein. Die Gründe sind nicht schwer zu erraten: In diesem Monat war plötzlich vieles anders, nicht nur in der Zeitungslandschaft. Mode, Häuslichkeit und Kunst schwanden vorübergehend aus dem Fokus der Aufmerksamkeit: Am 13. März war nämlich plötzlich Revolution ausgebrochen in Wien und sie setzte überraschend schnell ihre Forderungen durch. Studenten und Bürger hatten mit ihren Petitionen nach Pressefreiheit und Konstitution die Sitzung der niederösterreichischen Stände unterbrochen, Handwerker und Arbeiter strömten dazu, es kam zu anfeuernden Reden und Tumulten, das Militär wurde eingesetzt, es gab Tote und Verwundete. Es brannten Fabriken und Mauthäuser in den Vororten, jene, weil die Arbeiter die verhassten Maschinen zerstörten, diese, weil hier die Verzehrsteuer eingehoben wurde, die das Leben in der Stadt verteuerte.

Das Umsturzjahr 1848
Das Umsturzjahr 1848APA / Käfer

Was verband die Unmutigen auf der Straße? Die Arbeiter werden die Pressefreiheit nicht als primäres Anliegen gesehen, die Studenten wenig Ahnung gehabt haben vom Elend der Proletarier in den Textilmanufakturen der Vorstadt. Galt die Stoßrichtung etwa der Monarchie? Nein, das Volk sah zu seinem Kaiser auf. Am Thron saß seit 18 Jahren der Sohn vom „guten Kaiser Franz“, dem man nicht erst nach etlichen Misserfolgen, sondern schon vom ersten Tag an Regierungsunfähigkeit attestierte. Eine Unzahl volkstümlicher Anekdoten kursierte rund um Ferdinand den Gütigen, mal unterstellten sie ihm Trottelei, mal Bauernschläue. Doch keiner hat je behauptet, dass er wirklich regierte.

Finsterling in der Staatskanzlei

Also war doch der jahrzehntelange Drahtzieher und Finsterling in der österreichischen Staatskanzlei,  Clemens Fürst von Metternich, der Bad Guy, der den Hass auf sich zog? Seine sagenumwitterte Geheimpolizei mit ihrem omnipräsenten Spitzelwesen, ihren Zensurregeln und Überwachungsmethoden war also schuld, dass man am 13. März auf der Straße lauthals seinen Rücktritt forderte. Allgegenwärtiger Geheimdienst? 1848 wurden die Spitzel der Hofpolizeistelle entlassen und meldeten sich arbeitslos, insgesamt 27 an der Zahl. Da war die Fama wohl mächtiger als die Wirklichkeit. Auch die Zensur war nicht so schlagkräftig, dass sie eine völlige geistig-politische Bevormundung geschafft hätte. Sie war bürokratisch, schwerfällig und wurde wegen ihrer leichten Hintergehbarkeit verspottet. Metternich verteidigte sie mit dem Hinweis, Frechheiten würden die gute Sitte und den Anstand verderben, zugleich gab er augenzwinkernd zu, dass die Schreibtischleute in der Zensurstelle reichlich borniert waren.

Wurde eine Schrift verboten, wurde sie in der Gesellschaft erst recht zum Thema. Auch Metternich wusste von „denen Zeitungsschreibern“ trotz aller Verachtung durchaus Gebrauch zu machen. Doch ein Organ der öffentlichen Meinung gab es vor der Revolution in Wien nicht, sondern nur Werkzeuge zur künstlichen Erzeugung einer öffentlichen Meinung. Ausländische Zeitungen waren unter der Hand erhältlich und wurden weitergegeben. Am 14. März, dem Tag nach Metternichs Sturz, boten die Buchhandlungen die verbotenen Werke zum Verkauf an, sie lagen bereits unter der Theke.

Dass man in den Zeitungen über das Alltagselend gar nichts lesen konnte, war nicht Schuld der Redakteure, sondern der bürokratischen Hemmnisse. Das Blatt drohte eingestellt zu werden, wenn es mehr schrieb als die Wiener Theaterneuigkeiten, seltsame vermischte Meldungen oder Society-Tratsch. Kein Wort daher über die Missernte im Jahr 1847, den besonders harten Winter danach, den Hunger, die Unruhen in Europa. Die Zeitungen taten so, als gebe es das alles nicht, keine Wohnungsnot, keine täglichen Diebstähle wegen des Hungers, kein Wort über die gesetzlichen Bestimmungen zur Kinderarbeit, die von den Fabriksherren ignoriert wurden. Die Journalisten muckten nicht auf, eher noch die Dichter. Sie hießen zum Beispiel Johann Nestroy und scherten sich nicht allzu viel um die Zensur. Sie fanden mit ihren Tricks durch das Gestrüpp der Reglements, in dem sich die Zeitungsschreiber elendiglich verfingen. In den Wiener Theatern wurde jede Anspielung auf die Freiheit beklatscht. Der Zensurkordon wurde brüchig und zum Ferment eines politischen Gärungsprozesses. Die Intelligenz begann sich zu regen. Selbst Franz Grillparzer, dem keiner Loyalität gegenüber dem Staatsganzen absprechen konnte, unterzeichnete eine Schriftstellerpetition, die die Handhabung der Zensur kritisierte.

Ein allergnädigstes Press-Gesetz

Und plötzlich brach das alles auf. Ein junger Arzt, Adolf Fischhof, war Teil der aufgeregten Menge am 13. März 1848 im Hof des Landhauses, er fühlte sich inspiriert, sich laut zu Wort zu melden, „Meine Herren!“, rief er, und wurde von Umstehenden auf die Schulter genommen. Seine Rede wurde legendär, sie enthielt den Schlüsselsatz: „Vor allem verlangen wir Pressefreiheit!“ Sei sie erst gewährt, ergebe sich alles andere von selbst. Eine Regierung, die vor dem Druck der öffentlichen Meinung zurückweicht und damit Blutvergießen unnötig macht, das erschien dem Redner als ideale Patentlösung. Die „Press-Freiheit“ galt als Ausgangspunkt für weitere Reformen. Der Wiener Gewerbeverein, Studenten und Bürger forderten in einer Massenpetition ausdrücklich die Aufhebung der Zensur.

So geben wir ihnen halt die Pressefreiheit! Kaiserliches Patent vom März 1848.
So geben wir ihnen halt die Pressefreiheit! Kaiserliches Patent vom März 1848. Wikimedia Commons

Das gelang auch: „Seine k. k. apostolische Majestät haben die Aufhebung der Censur und die alsbaldige Veröffentlichung eines Preßgesetzes allergnädigst zu beschließen geruht“ wurde am 14. März 1848 in Wien angeschlagen. Das schuf einige Unruhe, denn: Das Wort Press-Freiheit kam gar nicht vor. So wurde am Tag danach ein kaiserliches Patent nachgeschoben mit der eindeutigen Formulierung der Einführung der Pressefreiheit. Der Josefsplatz war von einer unübersehbaren Menschenmenge besetzt, man warf Hüte in die Luft, erinnerte daran, dass Josef II. einst an einem 13. März geboren worden war und verlas Kundmachungen. Ein guter Kletterer verpasste der Reiterstatue des Kaisers eine Standarte mit der Aufschrift „Press-Freiheit von 1780“. Nun, man hatte sich nur um ein Jahr geirrt, es war 1781, als Josef II., damals ohne äußeren Zwang, die Zensur lockerte: Er benötigte Zeitungen und Flugschriften als Mitstreiter seiner Reformen.

Regierung am Galgen

Nun konnte der bewegteste und turbulenteste Abschnitt der österreichischen, der Wiener Pressegeschichte beginnen. Wurde die Publizistik des Vormärz verglichen mit einem „künstlich eingedämmten Mühlgraben“, entwickelte sie sich nun zu einem „ungestüm dahinrasenden Wildbach, der einer heftigen Wetterstunde seinen Ursprung verdankt, heute jeder Grenze spottet und morgen wieder – verronnen ist“ (Ernst Viktor Zenker). Die Aufhebung der Zensur wurde mit der totalen Presse- und Meinungsfreiheit gleichgesetzt, und man begann dies ausgiebig zu nützen, wobei die zügellose Praxis den Sinn des neuen Gesetzes zu großzügig auslegte. Schmähungen und Beleidigungen des Landesfürsten, seiner Familie, der Verwaltung und der Beamten, natürlich auch der Religion waren nicht erlaubt, wie man am 1. April kundmachte. Schon ab dem 19. März erschienen die Blätter der neuen, der zensurfreien Ära. Nach einer Statistik von 1877 gab es 1848 in Wien insgesamt 217 verschiedene Presseerzeugnisse, ihr Hauptcharakteristikum: die Kurzlebigkeit. 34 Zeitungen waren „Eintagsfliegen“, weitere 26 stellten binnen einer Woche ihr Erscheinen ein. Nur 13 Zeitungen überlebten das Revolutionsjahr, nur eine der Neugründungen hat sich bis heute gehalten.

Am meisten diskutiert wurden die freisinnigen und radikalen Publikationen, von manchen mussten bis zu 15.000 Exemplare pro Tag gedruckt werden. „An unseren lieben Mitbürger – auch Kaiser genannt!“, las man da – eine unerhörte Wortmeldung. Oder ein Bildtext zu einer Zeichnung, die die Regierung am Galgen zeigte: „Das Ministerium hat die höchste Stelle der Volkstümlichkeit erreicht.“ An der Spitze der Extremen standen die „Constitution“, der „Freimüthige“, der „Studenten-Courier“, der „Radicale“, der „Wiener Krakeeler“ und das Spott- und Karikaturenblatt „Wiener Charivari“. Sie setzten sich für einen völligen politischen Umsturz ein, aber auch sie konnten die mehrheitlich positive Einstellung zur Monarchie nicht übertönen.

Der erste Zeitungskrieg

An einem Strang zogen die Zeitungen wahrlich nicht. Der Zeitungskrieg der radikalen Journalistik versus die schwarz-gelben kaisertreuen Publikationen hielt die Leser in Atem. Sie polemisierten in Wort und Bild gegeneinander, mit beißender und überzogener Kritik. Die Emanzipationsbestrebungen der Frauen im Sommer 1848 wurden mit derben Zerrbildern dargestellt, Frauen auf den Barrikaden, Frauen, die in die Nationalgarde eintreten wollten – ihnen wurde stets ein erotisches Motiv, nämlich die Nähe zu den jugendlichen Studenten, unterstellt. Die liberale Presse wollte Fortschritt, Reformen, erlaubte sich aber auch Kritik an den Eskapaden der Revolutionäre.

Gestützt auf die breite Volksbewegung hatte das Bürgertum in den drei Märztagen der Regierung einiges abgetrotzt, es war aber nicht bereit, die Konsequenzen der Revolution weiterzutragen und mit den alten Mächten zu brechen. Es stellte sich immer mehr ein Unbehagen ein, in die Volksbewegung der Revolution hineingedrängt worden zu sein und sich mit ungewollten Partnern, dem Proletariat, verbündet zu haben. Die populären Hans-Jörgelbriefe vertraten diesen Wunsch nach baldiger Rückkehr zu Ruhe und Ordnung: „Die Leut solln wohl bedenken, dass wir in drei Tagen an die äußerste Gränze gelangt sein, für dös andere Nazionen Jahre und Jahre lang gekämpft und Ströme von Bürgerblut vergossen hab’n. Wir stehn an der äußersten Gränze, ein Schritt weiter und wir kummen in das Reich des Entsetzens, in die Anarchie.“

„Was Händ hat, dös schreibt …“, sagte man nun. Viele, zu viele fühlten sich zum Verfassen von Flugschriften berufen. Über Nacht war durch die neue Pressefreiheit und das Verschwinden des Zensurwesens die Herstellung gedruckter Informationen mit aktuellem Inhalt möglich geworden, auch die Gründung und Herstellung einer Zeitung. „Hunderte von Weibern der untersten Volksklasse angehörig, verbreiteten die Produkte des Geistes und der Presse, durch alle Stadt- und Vorstadttheile, ja sogar bis in die Provinzen. In ganzen waren diese Flugblätter sehr theuer, diese Weiber verkauften sogar die Plakate der Behörden um theures Geld“, klagte Revolutionschronist Friedrich Unterreiter über die Straßenkolportage, den sogenannten „Kleinhandel der Literatur“, die „Gassenliteratur.“ Die Kolporteurinnen waren zumeist Obstverkäuferinnen, die keinen Verkaufsstand besaßen, sondern auf dem Straßenpflaster saßen, neben sich die Obstkörbe. Sie wurden „Fratschlerinnen“ genannt, ihre Tonlage: schlagfertig-wienerisch bis hin zu derb-ordinär. Im Lauf des Jahres wurden sie immer verächtlicher gezeichnet und mit ihnen die Blätter mit ihrem „radikalen“ und „wühlerischen“ Inhalt. „Das Volk soll solche Schriften zurückweisen“, mahnte der Schriftsteller Ignaz Franz Castelli.

Die Zeitung im Obstkorb

Nochmals Zeitzeuge Unterreiter: „Am Graben und am Stephansplatze saßen der Reihe nach zwanzig und vierzig Weiber und boten schreiend ihre geistreiche (?) Waare feil. Das waren die reichen Weiber, denn sie führten alle neuen Artikel zugleich und legten auf Bänken und in breiten Obstkörben diese Blätter zur Schau. Eine geringere, d. h. ärmere Klasse dieser, hausirte von Gasse zu Gasse, durchstrich ihre Waare anpreisend Gast- und Kaffeehäuser, ja sogar in die Verkaufsgewölbe und Wohnungen boten sie ihre Verkaufsartikel. Es war für Wien ganz neu, und Alles kaufte, selbst solche die zu materiell als je etwas zu lesen, kauften und begannen zu lesen und sich mit der neuen Zeit zu verständigen. Mägde betrogen am Markt ihre Herrschaft, um täglich etwas Neues zu lesen zu haben. Die neuesten Blätter am Vormittage wurden Roccocco durch die neu gebornen Nachmittags und Abends.“

Obstverkäuferinnen fanden ein Nebengeschäft.
Obstverkäuferinnen fanden ein Nebengeschäft. austria-forum.org

So viel Verrohung, Missgriffe und Untergriffe also im Zeitungswesen der Zeit, dabei hatte doch die Forderung nach der Pressefreiheit eines intendiert: Die Erzieherrolle in der Bildung einer öffentlichen Meinung. Doch es dauerte, bis sich die Journalistik ihrer politischen Aufgabe bewusst wurde. Der Wandel vollzog sich im April 1848. Die „Allgemeine Oesterreichische Zeitung“ von Ernst von Schwarzer sammelte einige gute und seriöse Journalisten in ihren Reihen, sie engagierten sich sozialpolitisch, vertraten ein demokratisch-sozialistisches Programm, sprachen für die Arbeiter, die sich nicht artikulieren konnten und empfahlen unentwegt Mittel und Wege zur Besserung der materiellen Lage und sozialen Gleichstellung der Arbeiter. Sie zwangen dadurch die regierungstreuen Blätter, auch die Arbeits- und Arbeiterverhältnisse anzuschneiden. Selbstverständlich schrieben diese zum Teil berühmten Schriftsteller und Publizisten unentgeltlich, bezahlt wurden nur die zahlreichen Auslandskorrespondenten. Ein anderer Teil der Presse, der sich gerne der „loyale“ nannte, konnte seine Schadenfreude über den Stimmungswandel im Bürgertum, das sich geschockt zeigte über die Abreise des Kaisers aus Wien, nicht ganz verbergen, und zog gegen die verhassten Zugeständnisse im März und Mai zu Felde.

Es kam der Sommer 1848, Siegesjubel und Wutgeschrei der politischen Lager standen einander gegenüber, Strömung und Gegenströmung der Revolution, und die Journalistik wucherte, aber nicht mehr so wie im März. Die Schreib- und Leseepidemie von damals wurde ein nüchternes Geschäft, aus der amateurhaften Leidenschaft eine Profession. Die Zeitung „Gerad’aus“ wurde nicht wie anfangs durch Kolporteure verbreitet, sondern mit einem Karren als wandelndes Büro, das durch die Straßen zog und zu einem Spottpreis von einem Kreuzer verkauft wurde. Das Manöver glückte, der „Gerad’aus“ war bald ein populäres Blatt mit einer Auflage von 15.000 Exemplaren.

Der ehrgeizige Selfmademan

Am 3. Juli kam zu den die neue Freiheit wahrlich nützenden Journalen noch eines auf den Markt, eines, das die Taufe schon vor der Geburt erlebt hatte. „Die Presse“ hatte nämlich einen Vorläufer in Frankreich, „La Presse“ hieß das 1836 gegründete Blatt, es war politisch gesehen konservativ, aber progressiv in Produktion, Vertrieb und der optimalen Ausnützung des Inseratengeschäfts. Ein fester Abonnentenstamm verhalf dem Gründer, Émile de Girardin, zu Unabhängigkeit von den politischen Parteien. Hier erschienen als Vorabdruck mehrere Romane von Honoré de Balzac, hier publizierten Victor Hugo und Alexandre Dumas, Eugène Scribe und Théophile Gautier, und in der Redaktion saß auch eine Frau, Delphine de Girardin, die Ehefrau des Gründers. Ein Weltblatt aus Paris.

August Zang, der geborene Verleger
August Zang, der geborene VerlegerPresse Archiv

August Zang, ein Wiener Selfmademan, den es nach Paris verschlagen hatte und der dort eine Bäckerei führte, las das Blatt gerne. Er besaß eigentlich selbst keine feste politische Haltung, doch was er bewunderte: Girardin war durch seine Zeitung zu Geld und gesellschaftlichem Prestige gekommen, er hatte Zugang zu den erlauchtesten Kreisen der Stadt, seine Frau unterhielt einen Salon. Geld besaß Zang durch seine Bäckerei, aber die Sache mit dem Prestige fehlte in seiner Biografie. Er hatte nun keine ruhige Minute mehr: Wie macht man eine Zeitung, wie wird sie gedruckt, wie vermarktet? Das alles interessierte ihn jetzt genauso brennend wie zehn Jahre zuvor die Einrichtung der Backstuben. Als im März 1848 die Nachrichten von den revolutionären Ereignissen in Wien auch nach Paris drangen, bereitete Zang seine Rückkehr nach Wien vor. Er hatte große Pläne. So wie Girardin in Paris wollte er der König der Presseszene in Wien werden. Es ging ihm um nicht mehr und nicht weniger, als die erfolgreichste Zeitung Wiens zu machen – und es gelang. Er benannte seine Zeitungsgründung nach dem französischen Vorbild und stellte Leopold Landsteiner als Chefredakteur an, einen welterfahrenen, distinguierten Journalisten, der ebenfalls lange in Frankreich gelebt hatte und als einer der wenigen in Wien imstande war, eine Zeitung auch ordentlich zu redigieren. Nicht zuletzt galt er als „ehrenwerther politischer Charakter, eine Eigenschaft, die fast allen hiesigen Journalisten abgeht“.

Eine Spekulation mit Erfolg

Zangs größte und erfolgreichste Spekulation konnte beginnen. Er beschloss, ohne sich zunächst in der Öffentlichkeit ideologisch festzulegen, seine Zeitung in dem zwischen Radikalismus und Reaktion eingekeilten konservativ-liberalen Lager anzusiedeln, das kein Sprachrohr besaß. Zang und Landsteiner waren keiner Partei und keinem Lager verpflichtet, sie standen kühl und unbeeindruckt über den rasch wechselnden Strömungen. Doch Zang musste sich neben einer ideologischen Platzierung zwischen den Flügeln noch einiges einfallen lassen, um zu überleben. Er musste in Niveau und Professionalität die Konkurrenz überragen, herauskommen musste die erste Zeitung großen Stils in Österreich.

Zang wurde natürlich sofort angefeindet, nicht mit antisemitischen Pamphleten, die damals stark verbreitet waren – Zang war nicht jüdisch –, sondern wegen seiner Geschäftstüchtigkeit. Denn er beherrschte die Mittel, eine Zeitung zu etablieren, in kürzester Zeit auf vollendete Weise. „Die Presse“ hatte bald 15.000 Leser, obwohl die gehobene Sprache und seriöse Aufmachung viele überforderte. Man sah sich sogar gezwungen, das hohe Sprachniveau zu rechtfertigen. Nicht Blasiertheit, sondern eine pädagogische Tendenz sei der Grund: „Der Volksfreund zeigt sich nicht darin, dass er die literarischen Handschuhe auszieht, sich Schwielen an die Feder schreibt, die zu exponierenden Begriffe in den vulgärsten Ausdrücken hinstellt.“ Angesprochen werden sollten Leser, die die hemdsärmelige und plumpe Art, wie die ideologischen Konflikte in der Revolutionspublizistik ausgetragen wurden, satt hatten und gewillt waren, sich auf das Experiment „Presse“ einzulassen.

Wenn die konservative Linie Gewinn brachte, war das dem unideologisch denkenden Zang auch recht. So betonten seine Redakteure schon am Anfang Aspekte der wirtschaftlichen Freiheit und traten bereits früh für einen ökonomischen Liberalismus ein. Der Hauptvorwurf von radikalrepublikanischer Seite folgte auf dem Fuß: „Die Presse“ sei schwarz-gelb, reaktionär und kriecherisch und werde durch geheime Geldquellen von Regierungsseite am Leben gehalten: „Hütet Euch! Kauft ja nicht das Tageblatt ‚Die Presse‘ “, warnte ein Flugblatt Mitte Juli: „Dieses Blatt hat nicht die Absicht, das Volk zu belehren, nein, es will die Sache der Reaction verfechten, es ist und will schwarzgelb sein … Würdige Bewohner Wiens! Lasst Euch durch das große Format dieser Zeitung nicht verlocken, sie zu kaufen! Dieses ist kein Blatt für Euch, kein Blatt zur Aufklärung des Volkes. Es ist eine Censur! Ihre Basis ist Reaction, und ihr infernalischer aristokratischer Gestank dampft aus dem Riesenkreuzer-Folio.“ Eine wahre Hassorgie also. Manche Wiener Kaffeehäuser wagten es gar nicht, „Die Presse“ aufzulegen.

Journal der Demokratie

August Zang musste mit Vorwürfen dieser Art rechnen und den Verdacht der Reaktion abwehren. Er nannte seine Zeitung daher ein „Journal der reinen Demokratie“, stellte auf jede Titelseite das Motto „Gleiches Recht für Alle“ und verkündete programmatisch im ersten Leitartikel: „Wir sind Demokraten im eigentlichen Sinn des Wortes, wir lieben das Volk, aber wir achten es auch, wir sind der Überzeugung, dass die große Pflicht der Presse darin besteht, die Geister in das öffentliche Leben einzuführen, dem Bürger des erneuerten Staates unparteiisch strenge die Wahrheit zu zeigen und zu sagen, und durch Belehrung aller Klassen eine Art geistiger Gleichheit anzustreben, ohne welche die Gleichheit vor dem Gesetze, dieser heiligste Grundsatz unserer Zeit, fast immer Täuschung wird.“

Vision eines Zeichners von 1848: Wie man 100 Jahre später Zeitung lesen werde
Vision eines Zeichners von 1848: Wie man 100 Jahre später Zeitung lesen werdeAustrian Archives / Imago / Picture Desk

Für die Gegner Zangs war es vom ersten Tag an klar, dass ihm die Zeitung nicht Herzenssache, sondern „purblankes Geschäft“ war. „Meine Zeitung ist ein Kramladen, ich verkaufe Publizität“, soll er gesagt haben. Freilich war der kommerzielle Erfolg der „Presse“ nicht vorhersehbar. Aber es gab da einige Tricks: Zang bot zu einem sensationell niedrigen Verkaufspreis von einem Kreuzer eine Zeitung im Folioformat mit jeweils drei Spalten auf jeder der vier Seiten, unerhört günstige Abonnementbedingungen mit Hauszustellung und eine seriös-konservative Aufmachung ohne Konzessionen gegenüber der marktschreierischen Konkurrenz. Auf die Höhe der Auflage war man freilich auf Gedeih und Verderb angewiesen. Zudem schreckte Zang auch vor gnadenloser Ausbeutung seiner Mitarbeiter nicht zurück.

Zang begann in den Kreisen der „haute Finance“ zu verkehren und pflegte vertrauten Umgang mit Vertretern der Regierung. Man versuchte sicher, ihn zu kaufen, aber das hatte er nicht nötig: Die Zeitung warf Gewinne ab, weil er sie wie einen modernen Industriebetrieb führte, in dem kein überflüssiger Aufwand das Budget belasten sollte. In positivem Gegensatz zum Geschäftsinteresse stand seine Förderung des Feuilletons. Er erwies sich auch in diesem Zusammenhang als epochemachend, als er das Feuilleton nicht mehr wie üblich im Blattinneren unterbrachte, sondern es auf die Titelseite stellte, „unter dem Strich“, wie man sagte, also im unteren Teil der Titelseite. Er gewann dafür einen beachtlichen Mitarbeiterstab aus der jüdischen Intelligenz Wiens, Eduard Bauernschmid, Max Friedländer, Eduard Hanslick, Heinrich Landesmann, der das erste Feuilleton unter dem Pseudonym Hieronymus Lorm schrieb und programmatisch den Anspruch dieses Genres zu fassen suchte.

Die Wirtschaft soll inserieren

Natürlich sei „Die Presse“ unter allen Journalen besonders geeignet, „eine wirksame Publizität ins Leben zu rufen“, wegen des großen Leserkreises „in den wohlhabenden, konsumierenden Schichten der Gesellschaft“, so hörte die Zeitung nicht auf zu trommeln. Beim Keilen von Inseraten zeigte man eine Mischung von geschäftsmäßiger Nüchternheit und marktschreierischer Aufdringlichkeit. Man machte die Wirtschaftstreibenden darauf aufmerksam, dass in England, Frankreich und den USA bereits Millionen in „Ankündigungen“ investiert werden. Auch in Österreich sei es, wenn die Revolution sich beruhigt habe, dringend angebracht, „alle Mittel zur Wiederbelebung des Geschäfts in Anwendung zu bringen“, so die ehrlich um die Wirtschaft besorgte Zeitung. Und sie brachte ein bemerkenswertes Beispiel von elastischer Anzeigenpolitik hervor: Wie sehr sei doch, so der redaktionelle Artikel, die Brennholzkalamität und die Holzverteuerung in der Wienerstadt zu beklagen. Es sei viel zu wenig bekannt, dass die städtische Gasanstalt zu billigem Preis mit Koks Abhilfe leisten könne. Die zweispaltigen Koksinserate in der Folge waren schwer zu übersehen.

Ab dem Spätsommer 1848 erlahmten die revolutionären Kräfte zusehends, das alte Regierungslager erstarkte, das Gründungsfieber der Zeitungen kam zum Erliegen. Die antirevolutionären Kräfte sammelten sich. Im Karikaturenblatt „Wiener Charivari“ erschien am 5. September 1848 eine Abbildung, auf der Journalisten eine riesige Tafel in die Höhe halten mit der Aufschrift „Strafe für Pressfrechheit“. Einige von ihnen hatten bereits die Hände erhoben. Ihnen gegenüber feuerte eine Gruppe Soldaten in militärischer Formation eine Salve ab. Der prophetische Bildtext: „Schießt sie todt, die Hunde, es sind Journalisten!“ Nach der Niederschlagung der Revolution durch die kaiserlichen Truppen unter tatkräftiger Unterstützung kroatischer Hilfsverbände war Wien in doppeltem Wortsinn „entsetzt.“ Sämtliche Zeitungen mit Ausnahme der offiziellen „Wiener Zeitung“ wurden ab sofort suspendiert, viele jüdische Publizisten gingen ins Exil. Am 23. November wurden die Journalisten Julius A. Becher und Hermann Jellinek wegen Hochverrats, Majestätsbeleidigung und öffentlicher Aufreizung im Stadtgraben Wiens erschossen. Es waren die ersten Journalisten Österreichs, die durch Rachejustiz ihr Leben verloren.

„Die Presse“ verboten

Auch die „Presse“, deren Ton immer kühner, ironischer und selbstbewusster geworden war, hatte sich Feinde geschaffen. Sie wurde am 29. Oktober 1848 vorübergehend verboten und am 8. Dezember gänzlich eingestellt. Sie übersiedelte zu Weihnachten 1849 nach Brünn, das außerhalb des Verbotsrayons lag, und erschien dort ab 27. Dezember (fast) täglich wieder, ein außerordentliches Bravourstück. Doch die Schikanen machten ihr zu schaffen, erst ab September 1851 erschien sie wieder in Wien. Trotz der geistigen Knebelung durch den Neoabsolutismus wurde sie das einflussreichste Journal der Monarchie. Bis die „Neue Freie Presse“ auf den Markt kam. Öffentliche Meinung und Presse bildeten fortan eine untrennbare Symbiose, zumindest im städtischen Raum. Das Revolutionsjahr hatte den Durchbruch zu einem modernen österreichischen Tageszeitungswesen gebracht, mit einem ausgeprägten politischen Selbstverständnis und Rollenbewusstsein von Zeitungsherausgebern und Journalisten. Die Verbesserungen in Zeitungsproduktion und -vertrieb machten es erstmals jenen Menschen, für die zuvor eine Zeitung unerschwinglich gewesen wäre, möglich, sich über das aktuelle Tagesgeschehen auf dem Laufenden zu halten.

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