Die Presse

Eine Zeitung spielt sich frei

Staatsvertrag
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Von der Besatzungszeit ins Onlinezeitalter. „Die Presse“ und die Zweite Republik.

Ab dem 15. April 1945 gab es wieder Zeitungen in Österreich, anfangs mit einem Propagandaprodukt der sowjetischen Besatzer, der „Österreichischen Zeitung“, ab dem 23. April erschien das „Neue Österreich“, ein „Organ der demokratischen Einigung“, das von den vier alliierten Besatzungsmächten bewilligt und überwacht wurde. Hier hieß es im Leitartikel bereits: „Es lebe die Republik Österreich!“ Seit August informierten die Parteien ihre Anhänger auch direkt, es gab die „Arbeiter-Zeitung“ wieder, für die ÖVP das „Kleine Volksblatt“, für die Kommunisten die „Volksstimme.“ Man konnte inserieren, die Journalisten mussten ihre Artikel so verpacken, dass jedermann sie verstand und der Alliierte Rat keinen Einspruch dagegen erhob.

Auch die ehemaligen Redaktionsmitglieder der „Neuen Freien Presse“ fanden zum Teil ihren Weg zurück nach Wien, an prominentester Stelle Ernst Molden, in den dreißiger Jahren stellvertretender Chefredakteur der NFP. Er glaubte fest daran, dass das Blatt in entsprechend veränderter Form in einer wiederauferstehenden Republik Österreich seinen Platz finden könnte. Ein idealistisches Projekt zweifellos: Wie sollte in dem Dreiparteienstaat, im vierfach besetzten Land, bei Verarmung und Demolierung der „bürgerlichen Gesellschaft“ eine Zeitung vom Format der NFP gesellschaftliche Resonanz finden? Moldens Startbedingungen waren denkbar schlecht. Ein Teil der alten Garde war in alle Winde zerstreut, durch die NS-Rassenpolitik war die geistige Elite Österreichs beträchtlich dezimiert worden, von herzlichen Einladungen an die jüdischen Redakteure war man im offiziellen Nachkriegsösterreich weit entfernt. Milan Dubrović, der als Journalist in der NS-Zeit weiterarbeitete, auf die Frage, ob sich die „Presse“ bemüht habe, ehemalige Journalisten der „Neuen Freien Presse“ aus dem Exil zurückzuholen: „Jene, die zurückkommen wollten, sind bzw. wären alle aufgenommen worden, aber es wollte eigentlich keiner mehr zurück.“

„Diese widerlichen Wanzen“

Täglich war Ernst Molden in der Stadt unterwegs, um Kontakte zu knüpfen, er sprach über die Möglichkeiten der Geldbeschaffung, etwa mit Friedrich von Maurig, Direktor der Schoellerbank, der später tatsächlich finanzielle Geburtshilfe für „Die Presse“ leistete, und dem nachmaligen VdU-Politiker Herbert Kraus, einem Kollegen vom „Südost-Echo“. Moldens Sohn Fritz nannte später weitere Namen von Industriebossen, die geholfen hatten: Franz Josef Mayer-Gunthof, der Direktor der Vöslauer Kammgarnfabrik, Hans Lauda, Vorstandsvorsitzender der Veitscher Magnesitwerke.  

Die Politiker waren schwer zu gewinnen für das Projekt. Für Julius Raab „waren wir widerliche Wanzen“, er glaubte, „wir bringen die neue Form der angelsächsischen Demokratie in dieses Land, weil wir frei geschrieben haben – das hat denen nicht gepasst“ (Fritz Molden). SPÖ-Innenminister Helmer bedauerte mit den Worten „mir haben nur für demokratische Parteien a Papier.“ Gegen Unabhängige, Konservativ-Liberale wusste man sich gut zu wehren, die geringen Papiervorräte sollten den eigenen Parteizeitungen zugute kommen, für andere war kein Papier da. Waren eben harte Zeiten. Zeitungen wurden in diesen Kreisen als Sprachrohre verstanden – nicht nur in der Besatzungszeit, das hielt sich in Österreich noch viele Jahre danach. Am 24. Mai versicherte ÖVP-Generalsekretär Hurdes, doch noch die von ihm geplante Zeitung zu fördern. Es war die Rede von einer „dem Niveau nach der ‚Neuen Freien Presse‘ entsprechenden, aber dem Geist nach in vielem von ihr verschiedenen, christlichen großen Tageszeitung, etwa der ‚Neuen Zürcher Zeitung‘ ähnlich, was Rang und inneres Format betrifft.“

Bald stellte sich heraus: Der Traditionsname „Neue Freie Presse“ blieb dem neuen Blatt verwehrt, der Zeitungstitel war 1938 zu einem NS-Verlag übergewechselt und galt daher jetzt als „Deutsches Eigentum“ und konnte von den Besatzungsmächten beansprucht werden. War der Verzicht schmerzlich? Otto Schulmeister, der damals zu Ernst Molden stieß, sagte dazu: „Eigentlich nicht, weil wir froh waren, überhaupt da zu sein.“ „Da“ war die Zeitung erstmals am 26. Jänner 1946. Kein Konkurrenzblatt meldete das, man hatte andere Sorgen und nahm wohl an, dass es sich hier um eine Eintagsfliege handelte.

Vier Chefredakteure:  Schulmeister, Dubrović, Molden, Chorherr (von links).
Vier Chefredakteure: Schulmeister, Dubrović, Molden, Chorherr (von links).Hofmeister

Auch das Wochenblatt, das unter dem traditionsreichen Namen von 1848, also als „Die Presse“, erschien, wies nicht einmal darauf hin, dass es sich als Nachfolgerin der „Neuen Freien Presse“ verstanden wissen wollte. Mit keinem Wort. Ernst Moldens Leitartikel in der Nummer 1 wäre eine Gelegenheit dazu gewesen, doch er schrieb über „Wir und die Weltpolitik.“ Es kann keine Rede davon sein, dass hier eine unmittelbare Nachfolgerin der „Neuen Freien Presse“ am Markt war. Trotzdem schimpfte man in Kreisen, die die Zeitung verhindern wollten, vom „Judenblatt‘l.“ Da entsprach es schon eher der historischen Wahrheit, dass (nach einer Untersuchung von Michaela Lindinger) 67,8 % der „Presse“-Journalisten der Anfangsjahre auch in der Zeit zwischen 1938 und 1945 ihren Beruf ausgeübt hatten.

„Durchhalten, durchhalten!“

„Für uns alle war es eine gute, harte Erziehung“, sagte Schulmeister. „Durchhalten, durchhalten, auch nein sagen können. Und wenn man uns erpressen will, dann die Öffentlichkeit zur Hilfe! Man wollte uns vergewaltigen, dass wir nach ihrer Pfeife tanzen. Ich glaube, da war auch ich schon ein Einpeitscher, dass wir uns das nicht gefallen ließen: Wir bleiben eine Zeitung, die nicht bloß schreibt, was ein paar Leute von ihr wollen. Und das war unser Erfolg, gewiss auch weil wir Glück hatten.“ Man will „zum Nutzen von Volk und Staat“ ein österreichisches und europäisches Blatt sein, niemandem als dieser selbstgestellten Aufgabe unterworfen. Das ließ in seinem ganzen Selbstbewusstsein im damaligen Wien aufhorchen. Von der ersten Nummer an weigerte sich die „Presse“, ein Lokalblatt zu sein. Die Menschen waren mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigt, fast trotzig setzte die „Presse“ ihre internationale Perspektive im Blatt durch, die Wirtschaft lag danieder, doch dem schon früher so genannten „Economist“ wird breiter Raum gewidmet, das liberale Bürgertum im Land  musste sich erst regenerieren, doch die Zeitung bot wie in den glorreichen früheren Zeiten ein Feuilleton an. Und: Die Parteien begannen, sich das Land aufzuteilen, aber die Zeitung legte Wert auf ihre Unabhängigkeit.

Im Unterschied zu anderen war man wegen der Papierkontingentierung eine Wochenzeitung, musste daher auf tagesaktuelle Berichterstattung verzichten. Berichte vom Nürnberger Prozess oder von den Geschehnissen in Wien fanden viel zu wenig Platz. Worauf man aber nicht verzichtete, war ein gründlicher Überblick über die internationale Politik. Zu den Freunden der Zeitung – dafür waren die Aktivitäten der Familie Molden im Widerstand verantwortlich – gehörte Außenminister Karl Gruber. Er schrieb gleich in der zweiten Ausgabe und danach immer wieder. Zu den natürlichen Gegnern zählten die Parteizeitungen, auch die Besatzungsmächte fanden keinen rechten Gefallen an dem Produkt. Einzelgänger waren unerwünscht. Die Leserschicht im Anfangsjahr? Sie ist kaum analysierbar, immerhin gab es eine. So begannen die Journalisten in ihrer Redaktion in der Wollzeile daran zu denken, die Wochen- in eine Tageszeitung umzuwandeln. Sie glaubten an eine neue Ära einer unabhängigen, bürgerlich-liberalen „Presse“.

Drei aus der Redaktion stammten noch von der alten „Neuen Freien Presse“, Ernst Molden, Richard Charmatz, Eugen Kahn, dazugestoßen waren Milan Dubrović, Heinz Marchhart, Heinrich Kralik, Emanuel Häusler vom alten „Neuen Wiener Tagblatt“, dazu Hans Mauthe, Arnold Wasserbauer, Oskar Stanglauer, Walter Urbanek, Rudolf Holzer, Rudolf Weys, Erwin Mittag, Josef Lamprecht, Benno Fleischmann, Otto Schulmeister, Kurt Jeschko und Fritz Molden.

Totschweigen der NS-Zeit

Auch Ernst Benedikt, der ehemalige Eigentümer und Herausgeber der NFP, der nach Stockholm emigriert war und dort zum erfolgreichen Maler avancierte, wurde nun Schweden-Korrespondent der Zeitung. Chefredakteur Milan Dubrović: „Für seine Berichte hatten wir ihm besonders hohe Honorare gezahlt. Da er formell Besitzansprüche an die ‚Presse‘ hatte, einigte man sich darauf, dass er kommt, wenn es bei uns besser ist.“ In der Tat kam Ernst Benedikt als 80-jähriger Mann 1962 nach Wien, von Besitzansprüchen konnte natürlich keine Rede sein, die „Presse“ hatte mit der NFP rechtlich nichts zu tun. Ansonsten arbeitete kein Jude mehr im ehemaligen „Judenblatt.“

Die Themen der Zeitung waren der Wiederaufbau, Oper und Burgtheater, der Weg zum Staatsvertrag, alles, nur nicht die Zeit des Nationalsozialismus. Der Journalist Kurt Frischler: „Wir jungen Journalisten kümmerten uns – seltsamerweise, muss ich heute sagen – überhaupt nicht um die politische Vergangenheit unserer Kollegen. Mir ist keine Debatte bekannt, die zwischen ‚ehemaligen Nazis‘ und Kollegen entstanden wäre.“ Es gab so viele andere Themen, man stocherte nicht in kaum verheilten Wunden und stellte keine unangenehmen Fragen. Die Zeitung war da im Mainstream.  

Wiens „Fleet Street“  lag in den 1950er-Jahren am Fleischmarkt
Wiens „Fleet Street“ lag in den 1950er-Jahren am FleischmarktPresse Archiv

Fritz Molden rettete die „Presse“ nach dem frühen Tod des Vaters 1953. Da war die Zeitung bereits fünf Jahre lang eine wirkliche Tageszeitung, seit dem Oktober 1948. Hundert Jahre nach der Gründung der ersten „Presse“ also. Ein geschäftlicher Erfolg? Finanziell schleuderte die „Presse“ so dahin. „Wir waren oft nicht sicher, ob wir monatlich das Gehalt bekommen.“ (Milan Dubrović) Als Wochenzeitung erging es ihr nicht gar so schlecht, da war sie fast ausschließlich Abonnementzeitung, die schwierigen Zeiten kamen erst, als sie als Tageszeitung zu erscheinen begann (gleichzeitig wurde die Wochenausgabe beibehalten, als „Wochen-Presse“). Nun war man auch auf den Trafikverkauf angewiesen. Berichtete die Zeitung über russische Übergriffe in der Bestatzungszone, trauten sich die Trafiken im russischen Sektor nicht mehr, sie zu verkaufen.

Fast pleite

Bis Ende 1949 war das Kapital aufgebraucht, man hatte nur 13.000 bis 14.000 Stück pro Tag verkauft. Fritz Molden rettete die Zeitung, man sagte später „mit CIA-Geldern“, er stellte das richtig: „Ich habe mir von amerikanischen Freunden Geld geborgt, das kam über die Schweiz herein. 1,2 Millionen Schilling, viel Geld in Österreich, lächerlich wenig in Dollar. Fünf Leute waren das, auf jeden kamen 10.000 Dollar. Einer davon war mein damaliger Schwiegervater Allan Dulles.“ Die CIA war damals erst im Gründungsstadium. Mit diesem Geld übernahm Fritz Molden 1950 die Verlagsleitung, die „Presse“ erfing sich, zum maßlosen Erstaunen der Geldgeber konnte Molden die Schulden begleichen.

Trotz des Geldmangels bemühte sich die „Presse“ darum, Friedrich Torberg die Rückkehr aus dem Exil nach Wien zu finanzieren. Milan Dubrović: „Das war sehr mühsam, wir haben damals in der ‚Presse‘ auch kein Geld gehabt. Die einzige Geldquelle war die Schoellerbank. Um Torberg möglichst bald zurückzukriegen, haben wir einige Inserate der ‚Air France‘ eingeschaltet, die dafür Freikarten für Torberg ausstellte. So kam er dann 1951 nach Wien.“ Sein erster Weg führt ihn natürlich ins Kaffeehaus, dort, im „Herrenhof“, inszenierte Dubrović einen großen Empfang für ihn und der Ober begrüßte ihn, als wäre er erst am Tag zuvor dagewesen: „Guten Morgen, Herr Torberg, ‚Die Presse‘ und einen kleinen Schwarzen wie immer?“

Obwohl die „Presse“ noch jung an Jahren war, bezog sie Mitte der fünfziger Jahre bereits das dritte Domizil. Begonnen hatte es in der Wollzeile 11, in Räumen oberhalb der Firma Morawa, die nächste Station ist die Universitätsstraße 5 gewesen, das Haus hieß Palais Reitzes, es entstammte wie der alte Zeitungspalast in der Fichtegasse der Ringstraßenära und wirkte durch seine hohen Schleiflacktüren und großen Zimmer geradezu nobel und hochherrschaftlich. Von hier ging es am 1. Oktober 1956 in die „Fleetstreet“, wie man damals sagte, gemeint war die frühere Steyrermühl-Druckerei in einem Jugendstilgebäude am Fleischmarkt Nummer 5, das schon vor und während des Krieges als Verlagshaus gedient hatte und in dem nun Fritz Molden sein Zeitungsimperium aufbaute.

Thomas Chorherr, „frisch gefangen“ bei der „Presse“, erinnert sich an dieses sein erstes „Pressehaus“: „Es waren vorerst drei Dinge, die den jungen Reporter faszinierten: Im Haus war auch die Setzerei untergebracht, im Erdgeschoß die riesige Druckmaschine, und die Manuskripte wurden per Rohrpost zum Setzen geschickt. Auch die Auslieferung der Zeitungen erfolgte damals vom Fleischmarkt aus – eine Arbeitsweise, die heute unvorstellbar wäre; das Verkehrschaos würde den gesamten ersten Bezirk lahmlegen.“ Nach Blattschluss trafen sich die Kollegen aus den Redaktionen von „Kronen Zeitung“, „Bildtelegraph“, „Express“, „Presse“ und „Wochen-Presse“ im Stambul, einem Espresso vis-à-vis.

Der junge Zeitungslord

Molden gelang es damals, die Dominanz der beiden Großparteien ÖVP und SPÖ im Druckereibereich zu brechen, doch die parteipolitischen Interventionen vor allem durch ÖVP-Bundeskanzler Julius Raab machten ihm zu schaffen: „Raab wollte mit allen Mitteln den Aufdeckungsjournalismus Moldens (so im Zusammenhang mit der Affäre Fritz Polcar und Parteispenden des Stahlbankrotteurs Haselgruber) unterbinden“ (Oliver Rathkolb) und drohte ihm mit der Verweigerung von Krediten durch ÖVP-nahe Banken. Zunehmend geriet Molden so in finanzielle Schwierigkeiten. 

Am Höhepunkt seiner Verlegerkarriere war Fritz Molden damals, mit 34 Jahren, der wichtigste und größte Zeitungsherausgeber des Landes, seine Zeitungen sollen kurzfristig einen Marktanteil von 28 Prozent gehalten haben. Er war zu dieser Zeit auch politisch engagiert und trat für die Autonomiebewegung in Südtirol ein, bis zum Jahr 1960 verhandelte er als Mitglied des Politischen Komitees des Befreiungsausschusses Südtirol mit Österreichern und Amerikanern. Als der Befreiungskampf von rechtsradikalen Kräften vereinnahmt wurde, beendete Molden sein Engagement. 1965 musste er die „Presse“ abgeben, Eigentümer wurde die „Presse Verlagsgesellschaft m. b. H.“ Ein Wiener Rechtsanwalt erwarb im Auftrag der Bundeswirtschaftskammer 80 Prozent der Anteile. Im Mai 1970 verkaufte Molden dann auch das Pressehaus in der Muthgasse.

„Hochrangige Quelle“

Sein Platz in der Qualitätspresse Österreichs war drei Jahrzehnte lang unumstritten: Otto Schulmeister, Chefredakteur der „Presse“ von 1961–1976, beeinflusste als publizistische Leitfigur den öffentlichen Diskurs, das strahlte weit über die Auflagenreichweite seiner Zeitung hinaus. Zugleich war er wegen seiner Biografie eine der umstrittensten Personen in diesem Land: Aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft und seiner Tätigkeit als Wehrmachtspropagandist in NS-Zeitungen schien ihm 1945 der Einstieg in den Journalismus verwehrt. Dokumentiert ist, dass er noch 1944 im Belgrader „Donaukurier“ Parolen für den Endsieg ausgegeben hatte, gemeinsam mit der späteren stellvertretenden „Presse“-Chefredakteurin Ilse Leitenberger. Dennoch wurde er 1946 bei der „Presse“-Neugründung als außenpolitischer Redakteur angestellt. 2009 deckte der Historiker Siegfried Beer, der bereits Fritz Molden als bezahlten Agenten zu enttarnen versucht hatte, CIA-Kontakte Otto Schulmeisters auf, zumindest hatte seit 1949 ein CIA-Akt über Schulmeister bestanden, in dem er als „hochrangige Quelle“ bezeichnet wurde.

1965 wurde mit dem Rundfunk-Volksbegehren ein medialer Umschwung eingeleitet. Allmählich ging das bunte österreichische Journalistenleben der Nachkriegsjahre zu Ende. Schulmeister war noch übrig von der heroischen Zeit der Anfänge, doch für die Jüngeren waren nostalgische Reminiszenzen wie „Damals am Fleischmarkt“ entbehrlich, man thronte ab 1963 am Donaukanal im „Pressehaus“ in der Muthgasse, im 14. Stock, und eine neue Generation begann das Handwerk zu erlernen. Gewisse Grundeinstellungen waren bei der „Presse“ über die Jahrzehnte gleich geblieben: Sie litt unter knappen ökonomischen Bedingungen, leistete sich aber trotzdem eine im Vergleich zu den Konkurrenzzeitungen umfangreiche Kulturberichterstattung, ließ nicht ab von der Pflege eines für die damalige Zeit großen Wirtschaftsressorts und eines ansehnlichen Korrespondentennetzes. Und in der Auswahl der Redakteure zeigte sie eine ideologische Spannbreite, die ihr kein Außenstehender zutraute. Ein leitender Redakteur wurde von der „Volksstimme“ abgeworben. Die Zeiten von 1861 und 1862 mit Marx lassen grüßen!

Der Medienkanzler

Im redaktionellen Alltag hielt sich Schulmeister an die Devise: „Eine Redaktion ohne Intrigen ist wie ein Theater ohne Schauspieler.“ Er bezog Lustgewinn aus Kontroverse und Diskurs: „Eine politische Kultur lebt davon, dass man mit Temperament, Intelligenz und Erfahrung einem anderen widerspricht.“ So hielt er es auch noch als er Herausgeber wurde und Thomas Chorherr auf den Chefredakteurssessel folgte. Hatte er es bereits leichter? Figls und Raabs Nachfolger lernten, mit der „Presse“ zu leben. Die Zeitumstände hatten sich verändert, und die Bundeskanzler Alfons Gorbach und Josef Klaus hatten erkannt: Der „Transport“ ihrer Politik war nur über Journalisten möglich. Doch immer noch beschränkten sich die Kontakte zwischen der „Presse“-Redaktion und den Kanzlern auf Audienzen für die Chefredaktion.

Die Medienrevolution, die Bruno Kreisky einleitete, war fast ein „Kulturschock.“ Er verwöhnte die „bürgerlichen Redaktionen“ geradezu, Exklusivmeldungen wurden verstreut, Kritik von der „Presse“ steckte der SPÖ-Kanzler souverän weg. Viele Journalisten gingen ihm auf den Leim, drängten sich zum Pressefoyer am Dienstag ins Bundeskanzleramt. Denn es war klar, dass sie für die Zeitung des nächsten Tages einen „Aufmacher“ präsentieren konnten, mit saftigen Kreisky-Zitaten.

Fast ein Kulturschock:  Bruno Kreisky sprach mit den Journalisten wie kein Kanzler zuvor.
Fast ein Kulturschock: Bruno Kreisky sprach mit den Journalisten wie kein Kanzler zuvor.Votava / Imagno / Picturedesk

Im November 1974 erhielt die „Presse“ ein Redaktionsstatut, ausgehandelt zwischen Eigentümer und Redaktion. Die grundsätzliche Haltung der Zeitung, „in Unabhängigkeit von den politischen Parteien bürgerlich-liberale Auffassungen auf gehobenem Niveau“ zu vertreten, wurde hier fixiert, kein Redakteur darf gezwungen werden, den Standespflichten, seinem Gewissen oder den Grundsätzen seiner Zeitung zuwiderzuhandeln. Zum ersten Mal wurde 1976 mit Thomas Chorherr ein Chefredakteur in geheimer Wahl gewählt, nicht ernannt. Er stand für Kontinuität, blieb viele Jahre in diesem Amt. Viel hat er mit Schulmeister gemeinsam, vor allem eine Abneigung gegen Opportunismus und ein Bekenntnis zu einer konservativ-bürgerlichen Lebensauffassung. Zugleich hat Chorherr im Alltag einen unverwüstlichen, mit Humor gewürzten Optimismus als Antrieb, die Situation auf dem enger werdenden Qualitätssegment im österreichischen Zeitungsmarkt zu bewältigen.

Österreichische Lösung

Unter ihm vollzieht die „Presse“ die bis dahin größte technische Umwälzung ihrer Geschichte: Den Sprung ins elektronische Zeitalter, den Umstieg vom Bleisatz auf Lichtsatz hatte sie schon hinter sich, 1985 baute sie ein Redaktionssystem auf, in dem vom Schreiben und Redigieren bis zum Umbruch der kompletten Seite alles auf dem Computerbildschirm geschieht. Auch in der Eigentümerstruktur tut sich etwas. Trotz des zunehmenden Einsatzes von deutschem Kapital im österreichischen Medienmarkt gelingt eine österreichische Lösung: 1991 übernimmt der Grazer Styria-Verlag 51 Prozent der Anteile der Presse-Verlagsgesellschaft m. b. H. und sorgt damit für wirtschaftliche Stabilität.

Chefredakteur-Ringelspiel

Das Ringelspiel auf dem Sessel des „Presse“-Chefredakteurs dreht sich 1995 besonders rasant. Thomas Chorherr tritt nach 19-jähriger Amtszeit aus gesundheitlichen Gründen als Chefredakteur ab. Sein Nachfolger ist eine Überraschung: Michael Maier, der Wiener Stammleserschaft weitgehend unbekannt und daher kritisch beäugt, stammt aus Kärnten, ein Jurist mit zusätzlich abgeschlossenem Musikstudium (er entspannt sich beim Orgelspiel in Wiener Kirchen), ein Blattmacher von hohen Graden. Und doch nicht recht glücklich in Wien. Bei seinem frühen Abgang nach nur zehn Monaten wird das deutlich: In einem viel Wirbel verursachenden Beitrag im Spectrum („Wien – oder: Wo das Messer am besten sitzt“), einer Thomas-Bernhard’schen-Tirade, beschreibt er seinen Frust im „Hochamt“ des „Presse“-Chefredakteurs. Er habe sich nicht an Taktik, Kalkül und Berechnung verkaufen wollen und die Wiener „Gemütlichkeit“ habe sich überhaupt als die abscheulichste Form der Brutalität erweisen. Na, dann eben nicht.

Bundespräsident Thomas Klestil (M.), Wolfgang Schüssel und FPOE-Parteiobmann Jörg Haider am 3. Februar 2000
Bundespräsident Thomas Klestil (M.), Wolfgang Schüssel und FPOE-Parteiobmann Jörg Haider am 3. Februar 2000APA/Schneider Harald

Maier macht Karriere bei deutschen Medien, wo bekanntlich die Messer nicht so locker sitzen, sein Nachfolger wird Andreas Unterberger, langgedientes Redaktionsmitglied, einer, der schon als Schüler die „Presse“ täglich aufgesogen hat und für den es nach dem Studium wohl kaum eine andere denkbare Lebensperspektive gegeben hat, als genau auf diesem Sessel zu landen. Man sagt ihm eine besondere Affinität zum konservativen Stammleserpublikum der Zeitung nach. Er profiliert sich als Chronist der Wende 2000, tritt für Schwarz-Blau als legitime Regierungsvariante ein, die Lähmung der Politik durch Rot-Schwarz in den Jahren zuvor ist ihm ein Gräuel. Und er versteht es, die Reichweite und Auflage der „Presse“ in die Höhe zu treiben.

Zwischen Tradition und Innovation

Eine halbe Stunde pro Monat (!) waren die amerikanischen Internet-Nutzer im Jahr 1996 online. Vor allem verbrachte man seine Zeit damals mit Warten. Es dauerte 30 Sekunden, bis eine Website vollständig geladen war. „Die Presse“ hatte damals einen Rückstand aufzuholen, der Konkurrent „Standard“ war bereits im Netz vertreten. Am 21. September 1996 erschien die erste Internetausgabe der „Presse“. Peter Krotky, der Initiator der Online-Ausgabe, hat sein Ziel nach viel Überzeugungsarbeit endlich erreicht. Er blieb bis 1999 die einzige Person, die im gesamten Unternehmen mit den Internet-Aktivitäten des Verlags befasst war.

Am 3. Juli 1998 feiert die „Presse“ den 150. Jahrestag ihrer Gründung im Revolutionsjahr 1848, die traditionsbewusste Zeitung lässt keine Gelegenheit aus, daran zu erinnern. Es gibt eine kulturgeschichtliche Ausstellung im Wien Museum und einen dicken Schmöker über die 150-jährige Geschichte. Höhepunkt ist ein Festakt im Schloss Belvedere in Wien. Julius Kainz und Andreas Unterberger begrüßen Prominenz aus Politik, Medien, Kultur und Wirtschaft, die der alten Dame Glückwünsche bringen, nicht immer ohne Ironie wie bei Robert Menasses Festrede auf „das alte Flaggschiff der österreichischen Printmedien.“ Im Dezember 1999 erwirbt die Styria Verlagsgesellschaft, schon seit 1991 zu 51 Prozent Mehrheitseigentümer der „Presse“, auch den Minderheitsanteil. Damit ist die Verlagsgesellschaft zu hundert Prozent im Eigentum der Styria Medien AG.

Bereits seit 2002 waren die „Presse“-Leser durch die Umstellung der Blattarchitektur auf Layout-Reformen vorbereitet worden. Man muss da behutsam vorgehen: Deutlich anders aussehen, aber für die angestammten Leser wiedererkennbar bleiben, heißt die Devise. Nun gelingt diese Gratwanderung zwischen Tradition und Innovation ganz gut. Kaum jemanden stört es, dass das Format der Zeitung – bedingt durch neue Druckmaschinen – 2003 kaum merklich auf das halbe Rheinische Format reduziert wird. Aber jeder registriert sofort: Die neue durchgehend vierfarbige „Presse“ wirkt leichtfüßiger, luftiger, mondäner, jünger, sie erinnert in der übersichtlichen Gestaltung der Seiten stark an eine Wochenzeitung. Die Anpassung an das Rezeptionsverhalten der Internet-User ist offenkundig: Navigations- und Infoelemente erlauben den schnellen Überblick, die Anordnung der sechs Bücher von der aktuellen Politik bis zum neuen, eher reflektierenden Feuilletonteil informiert rasch und strukturiert über das Tagesgeschehen für den eiligen Leser. Lieblingskind der Zeitung ist das neue Feuilleton, in deutschen Edelpostillen durchaus üblich, aber hierorts bisher einzigartig, eine tägliche Bühne, ein intellektuelles Diskussionsforum für Themen aus Politik, Kunst, Kultur und Wissenschaft. Nicht selten taucht das Hauptthema des politischen Teils im Feuilleton noch einmal auf, in neuer, manchmal auch schräger Beleuchtung.

Alt und Neu stoßen 2004 in der „Presse“ aufeinander. Mit Andreas Unterberger und Michael Fleischhacker, der für den Relaunch verantwortlich zeichnete, steht ein kontrastreiches, spannungsgeladenes Führungsduo an der Spitze, das konservative Bewahrungshaltung und experimentierfreudige Provokationslust in Balance zu halten vermag. Solange es gut geht, entsteht daraus produktive Dynamik. Styria-Chef Horst Pirker will im Marktsegment junger und liberaler Leserschichten stärker punkten, also fällt im Sommer seine Entscheidung gegen Unterberger.

Verzahnung von Print und Online

Ab 2007 setzt die Presse auf eine verstärkte Verzahnung von Print und Online, beide werden als Komplementärmedien gesehen: Online bringt die schnelle Nachricht, Print wird noch mehr als bisher zum Erklärmedium. Hinter dem Konzept steht eine grundsätzliche Problematik für den Print-Journalismus: Sollen die Grundnachrichten den schnelleren Medien wie dem Internet überlassen werden, das Printprodukt sich auf die Hintergrundberichterstattung konzentrieren? Online-Produkte sind im interaktiven Kontakt mit dem Leser, bei Schnelligkeit, Originaldokumenten, Kleinanzeigen den behäbigeren Printmedien überlegen. In der Tradition von Qualitätszeitungen ist aber der Vollständigkeitsanspruch verankert, ohne sie wird man News-Häppchen aus dem Internet nicht wirklich verstehen. Eine spannende Diskussion. Ist sie schon entschieden?

Längst vergangene Zeit: Die selbstbewussten Setzer und Metteure
Längst vergangene Zeit: Die selbstbewussten Setzer und MetteurePresse Archiv

Möglich wird die Neuorganisation intern durch die Übersiedlung in die Hainburgerstraße im 3. Wiener Bezirk und die Gründung eines Newsrooms. Nach Wollzeile, Universitätsstraße, Fleischmarkt, Pressehaus Muthgasse, Marriott am Pakring ist es das sechste Domizil. „Die Presse“ plakatiert landauf landab Michael Fleischhacker als Testimonial für ihre aktuelle Kampagne. Die Werbesprüche dürften von ihm persönlich sein: „Auf uns kann man sich weiterhin nicht verlassen. Wenn Sie damit rechnen, dass wir so schreiben, wie Sie denken, dass wir schreiben, sollten Sie uns vielleicht wieder einmal lesen.“

Es spricht einiges dafür, dass das Jahr 2009 neben 1848 einer der Ankerpunkte der „Presse“-Geschichte ist. Der Verlag hat das Krisengerede satt, krempelt die Ärmel hoch und reagiert antizyklisch-offensiv: Ohne Scheu vor den ominösen Iden des März präsentiert man just am 15. Österreichs erste Qualitätssonntagszeitung. „Die Presse am Sonntag“ ist geboren. Das Baby entwickelt sich gut. Die Leser merken mit jeder Ausgabe mehr, wie hier eine bewährte Zeitungsidee in eine Wochenzeitung transferiert und mit Lesevergnügen angereichert wird. Eine Erfolgsgeschichte. Die Sonntagsausgabe wird der Liebling der Leser, neben dem schon traditionellen Schaufenster mit seiner einzigartigen Mischung aus Lifestyle, Kultur und Programm und dem gedankenschweren Spectrum. Das Wagnis, im Krisenjahr 2009 mit einem neuen Produkt auf den Markt zu gehen, hat sich gelohnt. Die Auflage steigt kontinuierlich, die Chefredakteure Rainer Nowak und Christian Ultsch verfolgen ein einfach klingendes Konzept: Geschichten über Menschen erzählen.

Krise und digitaler Neustart

Begonnen hat die Geschichte der Zeitung mit der  Revolution im Jahr 1848, der Sturmwind der Wirtschaftskrise, der 2012 auch durch die Räume der „Presse“ in der Hainburger Straße fegt, ist nicht von schlechten Eltern. Management und Chefredaktion wechseln. Ein neuer Geschäftsführer verordnet eine Schlankheitskur, Fleischhacker, der die Zeitung von einer rein wirtschaftsliberalen zu einer auch gesellschaftsliberalen Adresse für Querdenker und Wechselwähler gemacht hat, geht. Ihm folgt Innenpolitik-Ressortleiter Rainer Nowak, der seine Qualitäten als Blattmacher mit der Sonntagszeitung gezeigt hat.

Sein Credo als neuer Chef: Sich von keiner Partei vereinnahmen lassen, aber klar Partei ergreifen. Das wird von den Lesern in Zeiten der zunehmenden Polarisierungstendenzen in der Gesellschaft geschätzt. Als Politikanalytiker ist Nowak omnipräsent. Intern verdonnert er seine Redakteure dazu, möglichst viele Kanäle zu bespielen.

Unter ihm wird das Medium „Presse“ auf dem digitalen Markt breit aufgestellt. Der Redaktionsablauf wird den digitalen Erfordernissen angepasst, die Redaktion arbeitet nun nicht mehr auf einen Produktionsschluss (18 Uhr) hin, sondern informiert ihre Leser und User (fast) rund um die Uhr mit exklusiven Inhalten.

Dafür zeigen sich sämtliche Plattformen seit Anfang 2017 in einem neuen Design mit moderner Technologie im Hintergrund. Sämtliche Online-Inhalte waren bis dahin kostenlos gewesen, das wurde ab dem 30. Jänner 2017 mit der Einführung von Premium-Inhalten geändert. Handverlesene Texte, in denen besonders viel Energie, Zeit, Expertise und Rechercheaufwand stecken, werden als „premium“ definiert: Man kann den Inhalt in dieser Weise sonst nirgends lesen. Das Modell der tiefgründigen Analyse wird also von der Zeitung übernommen und nicht verdrängt durch den Bedarf nach möglichst schneller Information rund um die Uhr.

Die Magazinreihe „Die Presse“-Geschichte, gegründet im Jahr des Ringstraßenjubiläums 2015, wird ein Erfolg, neun Bände erscheinen innerhalb von drei Jahren. Vier bis fünf Bücher, von Journalisten der „Presse“ verfasst, erscheinen pro Jahr im Molden-Verlag. Er gehört zum Styria-Buchverlag und erinnert an einen nicht ganz unbekannten Ahnherrn der „Presse.“

Keiner kann sich erinnern, dass Nowak je das Wort „Zeitungskrise“ in einer Redaktionskonferenz zugelassen hätte.

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Die Zeitung des alten Österreich. „Die Presse“ war eine Gründung von 1848, aus ihr entstand die „Neue Freie Presse“, die die Mutterzeitung bald überstrahlte. Sie wurde die Zeitung der bürgerlich-liberalen Elite des Landes.
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Das Hoch-Amt

Sechs Chefredakteure, sechs Porträts

Günther Haller, fast 35 Jahre bei der „Presse“, wirft einen abgeklärten Blick zurück auf die Chefs seines Arbeitslebens.

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