Das Hoch-Amt

Sechs Chefredakteure, sechs Porträts

Günther Haller, fast 35 Jahre bei der „Presse“, wirft einen abgeklärten Blick zurück auf die Chefs seines Arbeitslebens.

APA

DER APOKALYPTIKER

Otto Schulmeister

Ab 1948 gab es wieder täglich eine "Presse." Einer wollte von Anfang an dabei sein: Otto Schulmeister, geboren 1916 in Wien. Er kam aus dem christlich- humanistischen Lager, seine nach eigenen Worten "verwirrte, langandauernde Jugend war mit einer politischen Entziehungskur" 1945 beendet. Er gehörte zu jenen Intellektuellen der Zweiten Republik, die durch das gesprochene und geschriebene Wort wirken wollten. 43 Jahre seines Lebens widmete er der "Presse", ab 1961 als Chefredakteur, 1976 bis 1989 als ihr Herausgeber. In dieser Zeit spielte er eine zentrale Rolle in der österreichischen Publizistik, durch seine Leitartikel, durch seine Bücher, durch seine Fernsehauftritte. Er galt als einer der gebildetsten Journalisten des Landes, wurde als lebenslanger Feind aller "linken" Strömungen eine Galionsfigur des Kalten Krieges und steuerte die Zeitung auf einen konservativen, amerikafreundlichen Kurs. Gelegentlich schickte er seine Redakteure zur Horizonterweiterung "in den Ostblock", um ihnen ahnungslose politische Schwadroniererei über die Schwächen der westlichen Demokratie abzugewöhnen. So war Schulmeister ein wesentlicher Proponent des Antikommunismus. Im Fernsehen machte sein polternder Empörungsgestus Furore, mit der er seine Aversion gegen kleingeistiges Denken ausdrückte. In den engen Grenzen seines Landes sah er sich als politisch Heimatloser, er warf dem politischen System vor, die Zukunft des Landes an die Wand zu fahren und damit der Jugend die Perspektive zu rauben. Die Diagnose, dass wir uns alle in einem großen Endspiel befinden, der apokalyptische Blick auf die Welt, der Vorwurf der konsumorientierten Identitätslosigkeit, verschafften ihm den Spottnamen "Kassandra vom Dienst" und "Retter des Abendlandes". Kalt ließ er keinen, selbst politische Gegner respektierten ihn.

Bruckberger

DER BILDUNGSBÜRGER

Thomas Chorherr

Ein Neuling war Schulmeisters Nachfolger 1976 nicht gerade. Thomas Chorherr, geboren 1932, wollte eigentlich Jurist, dann Diplomat werden und wurde zu dem Vollblutjournalisten der Zweiten Republik. Bis heute trägt er diese Berufsbezeichnung stolz wie sonst keiner: "Journalist". 1955 heuerte er bei der "Presse" als Lokalreporter an: Bis heute erinnert er sich genau an die Staatsvertragsunterzeichnung, das befreiende Wir-Erlebnis für die Österreicher, an die Heimkehrertransporte, die ihn zu Tränen rührten, auch an den ersten Opernball, über den er eine große Reportage schrieb. Er leitete das Blatt bis Ende Februar 1995, wurde so der längstdienende Chefredakteur. Mit Schulmeister hat er viel gemeinsam: Die Liebe zum humanistischen Bildungsgut, die gerne zur Schau gestellt wird, lateinische und griechische Zitate miteingeschlossen ("Ich bin ein Bildungsbürger"), das Bekenntnis zum Bürgerlichen als bewusste Lebensauffassung. Im Umgang mit seinen Redakteuren unterscheidet sich Chorherr von seinem polternden Vorgänger: Er kennt auch cholerische Anfälle, hat aber einen unverwüstlichen Optimismus als Antrieb, der ihn auch sein körperliches Handicap im Alter durchstehen lässt, er ist konziliant und humorvoll. Egal ob Leopold Figl, Julius Raab, Bruno Kreisky, Helmut Zilk, Hans Dichand oder Gerd Bacher: Chorherr war mit ihnen allen befreundet. So ist jedes von Chorherrs Büchern ein Zeitdokument zur Geschichte der Zweiten Republik. Zum 80. Geburtstag hat ein Kollege den noch immer schreibenden Chorherr einen "nachdenklichen, abgeklärten Publizisten" genannt. Dem ist zu widersprechen: Nachdenklich wird stimmen, abgeklärt ist der ewige Journalist bei weitem noch nicht: Wenn ihn etwas in den Zeitläufen ärgert, kann er mit seiner Wortgewalt noch immer ordentlich zuschlagen.

Fabry

DER AUFRÜHRER

Michael Maier

Chorherr diente der "Presse" lange, Michael Maier nur kurz, im März 1995 wurde er Chefredakteur, bereits zehn Monate später lockte ihn die deutsche Medienszene über die Grenzen. Dass einem 36-jähriger Kärntner das Traditionsblatt anvertraut wurde, löste anfangs Befremden aus, er war erst zwei Jahre zuvor von der "Kärntner Kirchenzeitung" nach Wien zur "Presse" gekommen und für das Medienressort verantwortlich. Doch bald entdeckte man in dem unkonventionellen Macher den brillanten Schreiber, der die "Presse" in Stil und Inhalt zu modernisieren begann. Mag sein, dass die Medienkenner ihm mehr Rosen streuten als das bürgerliche Stammpublikum der Zeitung. Doch Maier ließ ihm nicht viel Zeit, sich an den Wirbelwind, der die Redaktion durchlüftete, zu gewöhnen. Hielt er die Verhältnisse in dem Land nicht mehr aus? Sein letzter Leitartikel weist darauf hin: "Es scheint in Österreich immer noch nicht selbstverständlich, dass Journalisten eine von gesellschaftlichen 'Verpflichtungen' unabhängige Aufgabe wahrzunehmen haben." Vielleicht sei dieses Land zu klein für eine ausgeprägte Medienkultur, eine, in der Mut, Charakter und Widerstand maßgebliche Parameter sein sollten, aber es nach Maier nicht sind. Aufregung verursachte dann sein nachgereichter Essay im Spectrum der "Presse" vom 5. Jänner 1996.Titel: "Wo das Messer am besten sitzt." In Wien natürlich, in der Stadt der Intrigenwirtschaft und Hofschranzen. "Dass man in Wien ohne Prahlerei und Blendwerk nicht weit kommt, habe ich auch in meiner Zeit als Chefredakteur dieser Zeitung oft und oft erlebt. Mein Name und dieser Job sind ja eigentlich unvereinbar. Was heißt überhaupt Job! Es ist ein Amt, ein Hochamt nachgerade, Chefredakteur der 'Presse' zu sein." Michael Maier ging nach Deutschland und machte dort Karriere als Medienmanager. Nach Österreich hat es ihn nicht mehr gezogen.

Bruckberger

DER PERFEKTIONIST

Andreas Unterberger

Kann es sein, dass jemand schon in der Schulzeit weiß, wo er hinwill, nämlich an die Spitze der "Presse"? Bei Andreas Unterberger ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen. Er lebte einen großen Teil seines Lebens für diese Zeitung, jeden Tag, bis spät in die Nacht hinein. Unterberger war ein "Presse"-Produkt, und die Zeitung wurde sein Produkt. Als Mittelschüler war die "Presse" seine "Leibzeitung", nach dem Studium ging er in die Lehrredaktion, es begann eine "monogame Karriere" (Gerd Bacher) für diese Zeitung, als Leiter der Außenpolitik, 1995 bis 2004 als Chefredakteur. Er war ein Schulmeister- Fan, diese Tradition trug er fort, als einer, der diese Zeitung als unverzichtbare Institution sah, ihr zu dienen: eine patriotische Verantwortung. Wenn er in einer Rede sagte, dass er die Zeitung liebte, nahm man ihm das ab. Im persönlichen Umgang durfte man ihm seinen skeptischen Grant nicht übelnehmen. Es war nicht so gemeint, er mochte seine Leute. Natürlich wurde wenig gelobt, aber viel getadelt. Unterberger führte die Redaktion wie ein Abt sein Kloster, der Strenge verlangte, Sachlichkeit und Disziplin. Ein großes und breitgefächertes Faktenwissen, wie er selbst es besaß, erwartete er auch von den anderen. Ironie und Pointengeilheit verachtete er. Er hasste den "Einser-Schmäh" à la Thomas Bernhard: Wer das Land als dümmlich oder faschistoid bezeichne, promoviere zum Intellektuellen. Als wir damals zur "Lichtermeer"- Demonstration gingen, strafte er unsere Euphorie mit einer nüchternen Gegenanalyse ab. Seine Kommentare wurden im Lauf der Jahre immer schärfer, als es gegen die EUSanktionen ging, gegen den amtierenden Bundespräsidenten, für die Möglichkeit einer schwarz-blauen Regierung. Doch als "Chronist der Wende" bezeichnet zu werden, ärgerte ihn. Er sah sich nicht als Bannerträger für ein Lager außer dem der "Presse."

N. Helling

DER ÜBERFLIEGER

Michael Fleischhacker

Wo er hinkam, war er der Jüngste: Mit 21 in der "Kleinen Zeitung", mit 35 als Chefredakteur der "Presse". Acht Jahre lang war sein Talent zum Blattmachen unübersehbar, überhaupt gilt für die ganze Person: Unauffälligkeit ist nicht seine Stärke, wo er auftaucht, ist er präsent, hyperpräsent. Was sein Vorgänger bei der "Presse" nicht mochte, diesen Grundton des Spöttischen und eine mit Zynismus durchtränkte Aggressionsbereitschaft, er praktizierte es mit Leidenschaft. Die Leitung der Zeitung legte er an wie ein spannendes Spiel. Für die Verjüngung des Blattes wurde er gerufen, das zog er nun durch, arbeitswütig, neugierig, vielseitig, offen nach allen Seiten. Manchem erging es wie dem Hasen im Märchen vom Hasen und dem Igel: Bei der Verfertigung von Gedanken glaubte man sich am Ziel angekommen, doch fle war schon längst dort. Meist wurde der Spott durch Witz besiegt. Vielleicht war er überzeugt, dass Teamarbeit nicht der richtige Weg zum Erfolg ist, wenn einer an der Spitze steht, der alles besser kann. Schließlich war er Langstreckenläufer, nicht Fußballer. Doch er lernte dazu. Was der Zeitung guttat: Kreativität ist Fleischhackers hervorstechende Eigenschaft neben seiner enormen Sprachgewandtheit, als Begriffserfinder und Satzzuspitzer ist er schwer zu übertreffen, am besten ist er dann, wenn heiliger Zorn ihn packt. Dann reichen die verbalen Eruptionen in seinen Leitartikeln an Thomas Bernhard heran, dann konnte er Blitze schleudern wie Gottvater Zeus, sah er sich doch ohnehin immer auf der anderen Seite des Establishments. Das ist für Journalisten ohnehin ein guter Ort, sogar wenn sie an der Spitze der "Presse" stehen. Die Zweite Republik erklärte Fleischhacker schon einmal für beendet, auch die Printmedien sagte er tot. Andreas Khol rechnete zu Fleischhackers 40er mit dem bald einsetzenden Abschleifprozess. Da kann er lange warten.

D. Novotny

DER PROFI

Rainer Nowak

Irgendwann haben wir alle aufgehört mitzuzählen, wie oft Rainer Nowak mit seinem "Presse"-Team die Auszeichnung "Redaktion des Jahres" erhielt, wie oft er selbst damit geschmückt wurde. Kein Wunder, könnte man sagen. Jemand, der aus einer Vollblut-Journalistenfamilie kommt, trägt das in den Genen. Doch bekanntlich will man gerade in solchen Familien dem Nachwuchs diesen Wunschberuf Journalismus ausreden. Doch nicht Journalist zu werden, das war nicht durchzusetzen – zumal er Anneliese Rohrer als Ressortchefin kennenlernte: "Sie war meine große Lehrerin. Und wer unter ihr gelernt hat, der hat Blut geleckt." 2012 trat der 1972 in Innsbruck geborene Nowak die Nachfolge Fleischhackers an. Vorher hatte der Vielschreiber fast alle Ressorts durchlaufen und wurde einer der Väter der Erfolgsgeschichte "Presse am Sonntag", ganz nebenbei entdeckte er als sein Hobby die Gastrokritik. Nowaks Medienpräsenz ist unübersehbar, am Wahlabend, bei Diskussionen, er bespielt alle Kanäle. Im Nationalratswahljahr 2017 amüsiert der brillante Formulierer die Leser täglich mit einem Frühmorgens- Newsletter. Es wird ein Riesenerfolg. "Die Presse" wird unter ihm breit aufgestellt, er treibt die digitale Evolution des Mediums voran, unter ihm werden alle digitalen Dienste überarbeitet und ein Bezahl-Modell für handverlesene Premium-Artikel in der Onlineausgabe gewagt, mit dem viele neue Digitalabonnenten gewonnen werden. Das Papier wird nicht vergessen: Er begründet die Magazinreihe "Geschichte" und eine Buchedition im Molden-Verlag. Die "radikale Boulevardisierung" und die "Verrohung bei den sozialen Medien" sind ihm ein Gräuel. Nowak agiert in bewusster Distanz zu allen Parteien, seine Unabhängigkeit ist unbestritten. Zeitungskrise? "Wir müssen unseren Job machen." Sich von niemandem vereinnahmen zu lassen, sei auch eine Form von Eitelkeit. Und darin kann man ihm nichts beibringen.

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