Ex-ÖVP-Chef Busek: Diskussion über neue Flüchtlingswelle ist Angstmacherei

Clemens Fabry
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"Die Wanderungsbewegungen, die da verkauft wurden, die gibt es nicht", kritisiert der Ex-ÖVP-Chef die Regierung. Er wirft Österreich eine "America First"-Haltung vor.

Der ehemalige Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa, Erhard Busek, zieht mit politischen Spekulationen über eine mögliche neue Flüchtlingswelle hart ins Gericht und sieht darin eine Gefährdung für den europäischen Zusammenhalt. In der angeblichen neuen Balkanroute sieht der mit der Westbalkanregion bestens vertraute 78-Jährige in erster Linie eine politische Vermarktungssache: "Wie kann ich den Eindruck erwecken, dass ich eine allfällige Belastung durch Flüchtlinge reduziere oder verändere. Diese Dinge muss man meistens sehr simpel machen. Daher war da relativ einfach: Balkanroute", sagte er im Rahmen einer Pressereise des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM), dessen Vorsitzender er ist.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sei es gelungen, die Komplexität der Materie zu umgehen und die sogenannte Balkanroute zu einem Standard zu machen. Dies habe den positiven Effekt gehabt, dass es zu einem besseren Informationsaustausch und zu mehr Kooperation von Staaten und Behörden geführt hat. Was allerdings jetzt, mit Albanien im Focus der Flüchtlingsthematik, eine Rolle spiele, sei die Fragestellung: "Wie kann ich wieder eine Angst erzeugen, wo ich signalisieren kann: Ich bin der, der das im Griff behält", analysiert Busek.

"In einem Punkt hat Orban Recht gehabt"

"Die Wanderungsbewegungen, die da verkauft wurden, die gibt es nicht. Es ist keine einzige Zahl genannt worden bisher. Das einzige, was der Innenminister (Herbert Kickl, FPÖ) irgendwo sagt, ist: Da und da sind die Meldungen gestiegen, aber die sind alle nicht so tragisch hoch."

Kritisch sieht Busek auch die innereuropäischen Grenzschutzmaßnahmen, insbesondere die Errichtung von Zäunen: "Dem allgemeinen europäischen Verständnis schadet es." Man versucht immer, die Belastung in einer Frage jemand anderem zuzuschieben. Das ist dieser Satz, den ich so liebe und der in Wien zuhause ist und der lautet: 'Ein jeder denkt an sich, nur ich denk' an mich.' Das ist so die Grundhaltung die hier existiert, in der Politik allgemein." Österreich sei hier nicht allein: "Das fängt mit 'America First' an und geht dann durch alle Regierungen durch."

Die in Österreich oft zu besonders schwarzen Schafen in punkto Europaverständnis gemachten Staaten Ungarn und Polen nimmt Busek teilweise in Schutz: "In einem Punkt hat der Orban Recht gehabt. Das was die EU nicht gemacht hat, und das gilt für alle EU-Regierungen unter Einschluss der österreichischen: Wir haben die Leute, die gekommen sind, nicht aufgeschrieben, sondern gesagt: 'Geht's weiter!' Es herrschte die Überzeugung: 'Des nehmen eh die Deutschen'. Das ist so in diese Richtung abgegangen. Nach den rechtlichen Regelungen der EU hätten die registriert werden müssen; quasi aufzuzeichnen wer da überhaupt kommt. Das ist unterblieben."

"Österreichische Parteien verlieren ihre Substanz"

Was auch übersehen werde, seien die innereuropäischen Wanderungen. Als Beispiel nennt Busek Polen: "Die Polen nehmen schon Flüchtlinge und zwar eine Menge Ukrainer. Ein bisschen ist das so, wie wenn ich denke: 'Wie kann ich Dinge, die ich nicht gemacht habe auf andere abschieben. Die sollen auch was nehmen'." Es herrsche keine rationale Diskussion, sondern es werde versucht, die Problematik emotional abzuhandeln.

Die jüngste Kritik an der heutigen Wertehaltung der ÖVP vonseiten namhafter Konservativer wie dem tschechischen Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg teilt Busek: Die ehemalige christlich-soziale Grundhaltung sei der ÖVP entschwunden Seine Partei habe dadurch Substanz verloren.

"Daher versucht sie sozusagen in andere Substanzen hineinzugehen. Das ist ein bisschen ein Nach-rechts-Rutschen. Dann die Nähe zur FPÖ, in das Prohibitive: Man muss etwas verbieten. Die positive Seite ist hier mit Sicherheit schwächer geworden. Man muss überhaupt dazu sagen, dass die traditionellen politischen Parteien in Österreich ihre ideelle Substanz verlieren. Die SPÖ hat das Pech, dass viele Dinge, die die Sozialdemokratie wollte, in Wirklichkeit geschehen und daher konsumiert sind. Daher gibt's auch keine Substanz."

(APA)

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