Die Verwandlung des Dominic Thiem

Dominic Thiem erreichte in Paris erstmals das Finale eines Grand-Slam-Turniers.
Dominic Thiem erreichte in Paris erstmals das Finale eines Grand-Slam-Turniers.(c) APA/AFP/OLIVIER MORIN
  • Drucken

Erst eine radikale Umstellung im Spiel des damals 12-jährigen Dominic Thiem machte aus einem Nichtverlierertyp einen Siegertyp.

Paris/Wien. Dominic Thiem ist bei den diesjährigen French Open (Finale bei Redaktionsschluss noch im Gange) in neue Sphären vorgestoßen. Nach zwei Halbfinalniederlagen in den beiden Jahren zuvor ist dem Niederösterreicher schon mit dem Einzug in das Finale von Roland Garros Historisches gelungen. Erstmals seit 23 Jahren, als Thomas Muster mit einem Sieg über den US-Amerikaner Michael Chang in Paris triumphierte, zog ein Österreicher wieder in das Endspiel eines der vier großen Grand-Slam-Turniere ein.

Dass ihm dieser Coup auf Sand und nicht auf den Hartplätzen von Melbourne und New York oder gar dem Rasen von Wimbledon gelang, ist keineswegs überraschend. Thiem, der am 3. September 1993 in Wiener Neustadt geboren wurde, hat den Großteil seiner Jugend auf den Ascheplätzen der Südstadt verbracht. Sand, das betonte der Rechtshänder in der Vergangenheit immer wieder, sei sein „natürlichster Belag“. Wenn im April die Sandplatzsaison in Europa startet, dann beginnt für Thiem die „schönste Zeit des Jahres“. Monte Carlo, Barcelona, Madrid, Rom, natürlich die French Open und auch das Heimturnier in Kitzbühel: Das Aushängeschild des heimischen Tennissports liebt diese Turniere, weil sein Spiel auf dem langsamsten aller Beläge am besten zur Geltung kommt.


In den Genen. Der breiten Öffentlichkeit erstmals bekannt wurde Dominic Thiem im Oktober 2011, als der damals 18-Jährige in der ersten Runde des Wiener Stadthalltenturniers auf Rückkehrer Thomas Muster traf. Vor 7500 begeisterten Zuschauern setzten sich Gegenwart und Zukunft gegen Vergangenheit durch, der Weltranglisten-1890. Thiem gewann mit 6:2 und 6:3.

Die Liebe für den Tennissport wurde dem Gewinner von zehn ATP-Turnieren (acht davon auf Sand) in die Wiege gelegt. Sowohl Vater Wolfgang als auch Mutter Karin sind ausgebildete Tennislehrer, Wolfgang ist seit vielen Jahren in der Akademie von Günter Bresnik, einem angesehenen Coach, der seit mehr als 30 Jahren fester Bestandteil der Profitour ist, beschäftigt. Bresnik hat schon viele Größen trainiert, seinen Anweisungen folgten Boris Becker, Henri Leconte, Patrick McEnroe oder Horst Skoff. Als Thiem noch keine zwölf Jahre alt war, begann der vierfache Familienvater, ihn regelmäßig zu trainieren – und stellte das Spiel des Burschen völlig um.

Thiem war im Jugendbereich zwar höchst erfolgreich, die Art und Weise, wie er seine Siege einfuhr, gefiel Bresnik aber ganz und gar nicht. Thiem spielte Mondbälle, stand weit hinter der Grundlinie, agierte passiv, wartete auf die Fehler seines Gegners, die irgendwann passierten. „Ab jetzt machen wir's gescheit“, erklärte Bresnik, der ein natürliches Ablaufdatum im bis dahin so erfolgreichen Spiel des Elfjährigen sah und es radikal umkrempelte. „Volle Post!“, lautete das Motto fortan.

Thiem sollte jeden Ball mit ganzer Kraft schlagen, die Offensive suchen – Mondbälle oder Stopps waren verboten. Und: Aus einer beidhändigen Rückhand, die er stundenlang fehlerlos über das Netz spielen konnte, wurde kurzerhand eine einhändige, eine gewaltige Umstellung. Thiem drosch den Ball überall hin, nur nicht ins Feld. Er verlor gegen Spieler, die er davor noch problemlos geschlagen hatte, zwei Jahre hagelte es fast ausschließlich Niederlagen.


Ein Siegertyp. Es dauerte mehr als drei Jahre, bis Thiem seine Schläge richtig einsetzen konnte und österreichweit wieder zur Nummer eins in seiner Altersklasse aufstieg. Rückblickend war Bresniks Umstellung nichts anderes als eine gewinnbringende Investition in die Zukunft, wohl wissend, welches Risiko er damit eingegangen war. Thiem hätte die Freude am Spiel verlieren können, den Glauben an die eigenen Stärken, ja sogar an die Qualitäten seines Trainers. Die Basis der Zusammenarbeit aber blieb stets vollstes, ja regelrecht blindes Vertrauen. Bresnik war es gelungen, aus einem Nichtverlierertyp einen Siegertyp zu formen.

Mittlerweile ist Dominic Thiem seit exakt zwei Jahren fester Bestandteil der Top Ten der Weltrangliste. Sein Erfolg ist das Produkt jahrelanger und konsequenter Arbeit. Mit nur 24 Jahren ist er jetzt schon der nach Muster zweiterfolgreichste österreichische Tennisspieler.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bilder des Tages SPORT Rafael Nadal Esp posant avec le trophee du vainqueur des Internationaux d
Tennis

Nadal und Federer: Eine ungebrochene Regentschaft

Die vergangenen sechs Grand-Slam-Titel teilten sich Rafael Nadal und Roger Federer untereinander auf. Nadal sagte in Paris: "Mein Körper fühlt sich wie 40 Jahre an."
Rafael Nadal ESP et Dominic Thiem AUT CELEBRITES Finale Dames Roland Garros 2018 09 06 201
Tennis

Keine Wachablösung: Thiem unterliegt im Finale Nadal

Der Niederösterreicher verliert im Finale von Paris gegen den nunmehr elfmaligen French-Open-Sieger Rafael Nadal in drei Sätzen. Thiem zeigte eine couragierte Vorstellung.
TOPSHOT-TENNIS-FRA-OPEN-MEN-FINAL
Aufschlag

Dominic Thiem: In der Pole Position für die Nadal-Nachfolge

Am Court Philippe Chatrier gelten immer noch andere Gesetze. Ein Sieg von Dominic Thiem bei den French Open in Paris sollte aber nur aufgeschoben sein.
Aufschlag beim Finale der French Open: Dominic Thiem fordert Rafael Nadal und spielt um den ersten Sieg eines Österreichs seit Thomas Muster 1995.
Tennis

French-Open-Finale: Der Nadal-Code

Der 24-jährige Niederösterreicher Dominic Thiem fordert in seinem ersten French-Open-Finale den zehnfachen Champion Rafael Nadal. Eine Anleitung zum großen Coup.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.