US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Staatschef, Kim Jong-un, wollen sich Dienstagfrüh um neun Uhr Ortszeit (drei Uhr MEZ) in Singapur treffen. Die Gründe für das historische Treffen.
Donald Trump
Der erratische Stil des US-Präsidenten ist ein Grund dafür, warum das Treffen mit Kim zustande kam.
von Stefan Riecher (New York)
Donald Trump liebt das Risiko, er verabscheut Konventionen, und er hat nicht das geringste Problem damit, seine Meinung zu ändern. Seine Charakterattribute sind ein wichtiger Grund dafür, warum das Treffen mit Kim Jong-un überhaupt zustande gekommen ist. Der außergewöhnliche US-Präsident ist der erste, der einem nordkoreanischen Staatschef die Hand schüttelt. Trump wird oft für sein erratisches Verhalten kritisiert, er selbst sieht das als Stärke.
„Wir sind zu berechenbar“, war schon im Wahlkampf einer seiner Lieblingssprüche, und auch nach Amtsantritt wiederholte er mehrmals, dass die USA im Geschäft der Diplomatie unberechenbarer werden müssen. Das ist ihm gelungen, wie auch im Vorfeld des Gipfels in Singapur zu sehen war. Wüsten Beschimpfungen folgte ein „wunderbarer Dialog“ mit Kim, der Gipfelabsage folgte die erneute Zusage. Das ist nicht nur unkonventionell, es garantiert auch permanente Aufmerksamkeit, und wenn Trump etwas liebt, dann das Rampenlicht. Der Staatsmann, der die Welt vor einem potenziellen Atomkrieg rettet – auf diesen Eintrag in die Geschichtsbücher hofft der US-Präsident.
Trumps Vorgänger waren sich des Risikos eines Treffens mit Nordkorea bewusst und zogen deshalb zurück. Trump argumentiert, dass sie halbherzige Vereinbarungen eingingen und so erst den Aufstieg Pjöngjangs zur Atommacht ermöglicht haben. Der nunmehrige Präsident sieht sich nicht als Ideologe, sondern als Pragmatiker. Kim mag ein gnadenloser Diktator sein, der seine Bevölkerung hungern lässt. Trump verspricht ihm ein Leben in Reichtum, wenn er bloß seine Atomwaffen aufgibt.
Trump schielt bei Außenpolitik auch auf Kongresswahlen
In der Heimat hat Trump sein bisheriger Ansatz jedenfalls Pluspunkte gebracht. Der Anteil der Bevölkerung, der seine außenpolitische Strategie gutheißt, ist zuletzt gestiegen und nähert sich der Marke von 50 Prozent. Tatsächlich schielt Trump bei allem, was er tut, bereits auf die im Herbst anstehenden Kongresswahlen, bei denen es für seine Republikaner um die Mehrheiten im Senat und Abgeordnetenhaus geht.
Entsprechend versuchte sich Trump auch vor dem Gipfeltreffen mit Nordkoreas Machthaber in Singapur taktisch in eine Win-win-Position zu bringen. Gelingt dem US-Präsidenten ein historischer Deal, ist ihm weltweite Anerkennung sicher, selbst der Friedensnobelpreis scheint nicht ausgeschlossen. Scheitert der Gipfel, hat Trump aus Sicht seiner Anhänger Rückgrat bewiesen und nicht mit sich spielen lassen. In beiden Fällen wird seine Basis weiter hinter ihm stehen.

Kim Jong-un
Nordkoreas Diktator denkt weiter voraus als in Wahlperioden. Er hat schon jetzt mehr erreicht als Vorgänger.
von Angela Köhler (Tokio)
Objektiv betrachtet hat Kim Jong-un gegenüber seinem Konterpart mindestens drei taktische Vorteile. Zum einen muss er nicht befürchten, dass selbst ein für Nordkorea wenig schmeichelhaftes Gipfelergebnis von den einheimischen Medien kritisch hinterfragt oder sogar zerpflückt wird. Sie sind gleichgeschaltet und stehen unter der Kontrolle der Partei. Noch weniger Widerstand ist vom Scheinparlament handverlesener Genossen zu erwarten, die als Volksversammlung ohnehin nur maximal einmal pro Jahr in Pjöngjang zusammenkommt.
Der zweite große Vorteil Kims ist, dass er nicht zur Wahl steht – als Oberster Führer übt er diese Funktion auf Lebenszeit aus, ernennt persönlich Generäle oder die höchste Parteielite, die damit auch auf Gedeih und Verderb von der Gnade des Machthabers abhängig sind. Und dann kommt noch seine Jugend ins Spiel. Mit Anfang 30 hat Kim Jong-un noch mehrere Jahrzehnte auf dem nordkoreanischen Erb-Thron vor sich. Sein Vorbild ist sein Großvater, der Staatsgründer und Präsident auf Ewigkeit, Kim Il-sung. Ihm eifert er nach, er will dem Alten historisch mindestens ebenbürtig sein.
Ziel des Regimes ist ein Ende der internationalen Isolation
Dafür ist der Singapur-Gipfel ein ideales Spielfeld. Ein Treffen mit dem US-Präsidenten auf Augenhöhe und im Rampenlicht der Welt – Kim, der „Staatsmann“, hat schon mehr erreicht als seine beiden Vorgänger. Das primäre Ziel der nordkoreanischen Diplomatie ist spätestens seit dem Panmunjom-Gipfel mit Südkoreas Staatschef, Moon Jae-in, klar: eine Beendigung der internationalen Isolation. Dafür steht er seinen politischen Paten in Peking im Wort, die den US-Boykott, den sie ohnehin oft unterlaufen, lieber heute als morgen durchbrechen möchten. Kim ist also in gewisser Weise chinesisch ferngelenkt – er wird Trump nur soweit entgegenkommen, wie er unbedingt muss, also wenig.
Das nordkoreanische Atomprogramm als Ganzes steht für Kim trotz rhetorischer Zugeständnisse letztlich nicht zur Disposition. Die Nuklearwaffe ist das historische Vermächtnis der Kim-Dynastie. Mit der permanenten Kriegsbedrohung und der zweitgrößten Armee Asiens (nach China) legitimiert diese ideologisch verbissene Clique ihren Machtanspruch. Wenn Trump also das Gespräch auf die Abschaffung der Nuklearraketen zuspitzt, wird Kim als kühler Stratege mit einer für die Amerikaner derzeit unerfüllbaren Gegenforderung kontern: der Forderung nach einem Friedensvertrag mit Sicherheitsgarantien für die Existenz des Regimes und einem Abzug der US-Truppen aus Südkorea. Und dann hätte Trump den schwarzen Peter.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2018)