"Aquarius": Situation auf Migrantenschiff bleibt kritisch

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Mehrere Menschen an Bord der Aquarius seien in kritischem Zustand, sagt Ärzte ohne Grenzen. Auch die Essens-Rationen sind knapp. Politisch offenbaren sich erneut Bruchlinien in der EU.

Nach tagelangem Streit darüber, wo das Flüchtlingsschiff "Aquarius" der Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen (MSF) und SOS Mediterranee anlegen darf, ist das Boot nun unterwegs Richtung Spanien. Auf dem Weg in den Hafen Valencia wurde es dabei von zwei italienischen Schiffen begleitet. In Brüssel und Straßburg wurden indes Rufe nach einer Lösung des festgefahrenen Asylkonflikts lauter.

Am Dienstag wurde der Transport der 629 Migranten, die sich an Bord der "Aquarius" befinden, vorbereitet. Am Nachmittag wurden rund 400 Personen an die zwei Schiffe der italienischen Küstenwache übergeben. Die gemeinsame Reise der drei Schiffe wird voraussichtlich vier Tage lang dauern. An Bord werden sich auch italienische Ärzte und Personal des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF befinden.

Vier schwangere Migrantinnen wurden indes nach Lampedusa gebracht. Der neue italienische Innenminister Matteo Salvini hatte am Wochenende der "Aquarius" untersagt, in italienischen Häfen einzulaufen, ergänzte dann aber am Dienstag, dass Italien bereit sei, die an Bord befindlichen Frauen und Kinder aufzunehmen. Insgesamt befinden sich unter den 629 Asylsuchenden sechs schwangere Frauen, elf Kinder und 123 unbegleitete Minderjährige.

Mehrere Menschen in kritischem Zustand behandelt

Seit Sonntag hatten die Hilfsorganisationen vergeblich vor der mehrtägigen Fahrt von dem Meeresgebiet zwischen Italien und Malta nach Spanien gewarnt und dabei auf das schlechter werdende Wetter und die körperliche Verfassung vieler Asylsuchenden an Bord verwiesen. Der MSF-Projektleiter auf dem Schiff, Aloys Vimard, berichtete am Dienstag, dass dessen Kapazitätsgrenze überschritten seien. Auch wenn der gesundheitliche Zustand der Passagiere derzeit stabil sei, habe man mehrere Menschen in kritischem Zustand behandeln müssen, "darunter einige, die fast ertrunken wären, sowie Personen mit Verätzungen. Wir mussten einige Menschen wiederbeleben." Einige der ernsten Fälle müssten "sofort" in einen sicheren Hafen gebracht werden, forderte Vimard.

Nachdem sich Italien und Malta in den vergangenen Tagen nicht darauf einigen konnte, wer die Flüchtenden auf der "Aquarius" aufnimmt, teilte der neue spanische Regierungschef Pedro Sanchez am Montagabend mit, die Einfahrt des Rettungsschiffes in Valencia aus "humanitären Gründen" zuzulassen. Montagfrüh bot überraschend auch die korsische Regionalregierung ihre Hilfe an und schlug die Aufnahmen der "Aquarius" in einem Hafen der französischen Mittelmeerinsel vor. Das Angebot dürfte nicht mit der Regierung in Paris abgesprochen worden sein. Europa-Staatssekretär Jean-Baptiste Lemoyne sagte gegenüber Sud Radio, die Haltung des korsischen Regierungschefs sei "einfach" einzunehmen, wenn man keine Verantwortung zu übernehmen habe. Malta kündigte unterdessen an, die Seenotretter unter anderem mit Lebensmittelpaketen versorgen zu wollen.

Spanien will tun, "was ein Land tun muss".

Man wolle ein Signal für ganz Europa setzen, die Aufnahme der Flüchtlinge sei eine "rechtliche Pflicht", die Spanien "nicht umgehen kann und nicht umgehen will", sagte die spanische Vize-Regierungschefin Carmen Calvo in einem Radiointerview. "Hier handelt es sich ja nicht um Einwanderung, sondern um eine Ausnahmesituation." Spanien mache genau das, "was ein Land tun muss", so Calvo. Zuvor hatte Außenminister Josep Borrel erklärt, die Entscheidung sei eine "effektive, aber auch symbolische Geste" mit Blick auf den EU-Gipfel Ende Juni, bei dem auch über die europäische Asylpolitik beraten werden soll.

Auch das Europaparlament rief die Staats- und Regierungschefs auf, bei dem Gipfel eine Lösung für die Migrationskrise zu finden. Mehrere Fraktionsführer verlangten am Dienstag in einer Debatte mit EU-Kommissionsvize Frans Timmermans und der bulgarischen EU-Ratspräsidentschaft ein Abkommen zur Reform des Dublin-Systems. Die Entscheidung Italiens, die "Aquarius" nicht anlegen zu lassen, bezeichneten Abgeordnete als "Schande" und als "Skandal". Die Position Italiens sei "inakzeptabel" und "außerhalb jedes Rechtsrahmens", kritisierte auch der ÖVP-Europaabgeordnete Heinz Becker. Der Vizepräsident der Sozialdemokraten im Europaparlament, Josef Weidenholzer (SPÖ), drohte dem Rat der EU-Staaten mit einer Klage, wenn es weiter keine Lösung in der Asylfrage gebe.

FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky hingegen begrüßte die Entscheidung Salvinis. Das Pendel gehe nunmehr in eine andere Richtung als die bisherige "Willkommenskultur", für die die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel stehe. Vilimsky kündigte für demnächst einen "Vernetzungsprozess" zwischen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) und Salvini an.

Weiteres Schiff mit Kurs auf Sizilien

Zuvor hatte auch Timmermans eine schnelle Lösung gefordert. "Wichtige Entscheidungen brauchen zwar Zeit, aber wir können Entscheidungen nicht unbegrenzt aufschieben", sagte Kommissions-Vizepräsident. "Die Situation im Mittelmeer ist eine deutliche Erinnerung daran, dass wir uns Probleme nicht wegwünschen können."

Zeitgleich befand sich ein weiteres Schiff mit über 900 Flüchtlingen und zwei Leichen auf dem Weg in Richtung Sizilien. Die "Diciotti" solle am Mittwoch im sizilianischen Catania eintreffen, berichteten italienische Medien. Weitere 53 Migranten wurden am Dienstagabend auf einem Strand nahe der sizilianischen Stadt Noto aufgegriffen. Dabei handelt es sich um pakistanische und afghanische Migranten, darunter 14 Kinder. Sie befanden sich an Bord eines Bootes, das die Flucht ergriff, nachdem die Migranten am Strand ausgestiegen waren. Die Polizei ermittelt.

(APA)

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