Ein Skalpell, das niemals zittert

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Willkommen im Reich der Telemedizin, wo Patienten von ferngesteuerten Robotern operiert oder chronisch Erkrankte aus der „Ferne“ untersucht, therapiert und überwacht werden.

Ein dreiarmiger Chirurg namens Zeus, eine Patientin in einem Straßburger OP-Bett und drei Video-Ärzte in einem New Yorker Zimmer – die Deskription der Protagonisten lässt auf Besonderes schließen. Man schreibt das Jahr 2001 und die Entfernung einer Gallenblase, grundsätzlich ein Routineeingriff, schreibt in Form der ersten transatlantischen Tele-Operation eines Menschen Geschichte. Chirurgen des Mount Sinai Medical Centers in New York führen durch, was zuvor nur an Schweinen vorexerziert wurde. Über eine 14.000 Kilometer lange Datenleitung mit einer Bandbreite von zehn Megabits pro Sekunde können sie auf einem Videobildschirm mit einer Verzögerung von 155 Millisekunden beobachten, wie das Surgical Robot System Zeus auf ihre Befehle reagiert. Die Bilder aus dem Inneren des Patientenkörpers spielt der mit einem Endoskop ausgestattete dritte Zeus-Arm ein. In Straßburg stehen dem OP-Roboter zwei Chirurgen zur Seite, die im Notfall die Operation per Hand beenden würden. Der Notfall tritt nicht ein, der Eingriff dauert 54 Minuten und verläuft problemlos.

Ein vierter Arm.

Was Anfang des Jahrtausends eine wissenschaftliche Sensation war, ist heute zur Alltäglichkeit geworden. Mit Stand Anfang 2018 sind weltweit knapp 4.500 OP-Roboter installiert. Geändert hat sich die Technologie. Zeus wurde vom aktuell marktbeherrschenden Da Vinci-System der kalifornischen Firma Intuitive Surgical verdrängt. Der Operateur sitzt vor einer Konsole, über die er mittels Handbewegungen und Fußpedalen den Eingriff seines Robo-Assistenten steuert. Die vier Roboterarme, die über ein bis zwei Zentimeter große Einschnitte in den Körper des Patienten eingebracht werden, sind mit zwei hoch auflösenden Kameras sowie mit Instrumenten ausgestattet, die analog zu menschlichen Handgelenken dreidimensional beweglich sind. An der Konsole lässt sich das Operationsgebiet dank High Definition Television (HDTV) bis zu zehnfach vergrößern, womit der Operateur sämtliche Gewebeschichten und Strukturen in 3D detailgenau beurteilen und seine chirurgischen Maßnahmen punktgenau setzen kann.

Enorme Nachfrage der Patienten.

„Kürzerer Krankenhausaufenthalt, weniger Schmerzen, reduziertes Infektionsrisiko, geringerer Blutverlust, bessere Narbenbildung und somit ein schnellerer Heilungsprozess“, bringt Wolfgang Loidl, Leiter der Abteilung für Urologie des Ordensklinikums Linz Barmherzigen Schwestern, die Vorteile beim Einsatz des Hightech-Helfers aus Patientensicht auf den Punkt. Am oberösterreichischen Prostatazentrum blickt man auf zehn Jahre Erfahrung mit einem Da Vinci-Roboter zurück. Vor kurzem wurde der 2000ste Patient erfolgreich mit dieser Technik operiert. „Die Nachfrage seitens der Patienten ist enorm“, so Loidl.

»Für mich ist der Roboter wie ein Skalpell, das niemals zittert. Ich würde nicht mehr an einer Klinik ohne vergleichbarem Robotersystem arbeiten wollen.«

Jonas Busch, leitender Oberarzt der Urologie, Charité Berlin

Millionenschwer und flächendeckend.

Ähnlich enthusiastisch zeigt man sich am Interdisziplinären Prostatakrebszentrum (IPZ) der Charité Berlin, eines der größten deutschen Zentren für die Therapie des Prostatakarzinoms. „Für mich ist der Roboter wie ein Skalpell, das niemals zittert. Ich würde nicht mehr an einer Klinik ohne vergleichbarem Robotersystem arbeiten wollen“, sagt Jonas Busch, leitender Oberarzt der Urologie. Dass ein Da Vinci mit knapp 1,4 Millionen Euro Anschaffungskosten und etwa 200.000 Euro jährlichen Wartungskosten zu Buche schlägt, sieht Busch nicht als Hürde für die Zukunft der Roboter-assistierten Chirurgie: „In Deutschland sind etwa 60 davon im Einsatz. In wenigen Jahren wird das Standard sein.“ Dann ist mit dem Mobilfunknetz der fünften Generation (5G) möglicherweise auch eine weitere Technologie flächendeckend verfügbar, die unter anderem bei Tele-Operationen einen entscheidenden Fortschritt bedeuten wird. Dank einer 1000-fach höheren Datenübertragungsrate als im bisherigen LTE-Netz und einer Verzögerungszzeit (Latenz) von unter einer Millisekunde könnten Roboter über große Distanzen mit hoher Präzision nahezu in Echtzeit gesteuert werden. Zudem soll 5G neue Dimensionen der Zuverlässigkeit bei der Datenübertragung bringen, ein absolutes Muss bei der digital assistierten Chirurgie.

Monitoring aus der Ferne.

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Die Innovationen bei ferngesteuerten Operationen sind nur ein Aspekt im weiten Land der von der Digitalisierung befeuerten Telemedizin. Zu den jüngsten Teilbereichen zählt das Telemonitoring, also die Fernuntersuchung, -diagnose und -überwachung von Patienten, insbesondere solchen mit chronischen Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes oder Herzinsuffizienz. „Die umgangssprachliche ,Herzschwäche' ist eine der großen Herausforderungen der modernen Medizin und Gesundheitssysteme. Immer mehr Menschen in Europa leiden an dieser gefährlichen Krankheit mit hohem Sterblichkeitsrisiko“, erklärt Kardiologe Gerhard Pölzl, Landeskrankenhaus-Universitätskliniken Innsbruck.

Die Zukunft gehört den Netzwerken.

Projekte auf der Basis von Telemonitoring und Vernetzung klinken sich hier ein, zum Beispiel HerzMobil Tirol (seit 2017 Einsatz in der Regelversorgung). Dabei senden Herzinsuffizienz-Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in den ersten drei, manchmal auch sechs Monaten über eine Smartphone-App jeden Tag von zu Hause Daten zu Blutdruck, Herzfrequenz, Körpergewicht, Wohlbefinden und Medikamenteneinnahme an ein Versorgungsnetzwerk. Bei Auffälligkeiten besucht eine speziell ausgebildete Pflegperson die Patienten zu Hause. Die Vernetzung von Patienten, Hausärzten, Herzspezialisten, Pflegekräften sowie Angehörigen ermöglicht den Austausch und das Abrufen der benötigten Informationen. Rund 230 Personen wurden mit dem Programm in Innsbruck und Umgebung bis dato behandelt und betreut. „Damit kann die Krankheit stabilisiert, die Lebensqualität verbessert, die Sterblichkeit verringert, die Zahl der Wiedereinweisungen ins Krankenhaus reduziert und eine Kostensenkung erreicht werden“, so Pölzl, der überzeugt ist: „Solchen Netzwerken gehört die Zukunft.“

Der digitale Investmentmarkt

Als 2017 der Finanzdienstleister Apo Asset Management den ersten in Deutschland zugelassenen Digital-Health-Aktien Fonds für Privatanleger startete, der ausschließlich in Digital-Health-Unternehmen investiert, konnte das als Zeichen gewertet werden. Das Vertrauen darin, dass viele spezialisierte Unternehmen beste Chancen haben, aus der Fusion von Gesundheit und IT als Sieger hervorzugehen, ist in der Bevölkerung angekommen. „Digitale Medizin birgt großes Potenzial, das vielfach noch kaum erschlossen ist“, sagt ApoAsset Fondsmanager Hendrik Lofruthe. Das gelte vor allem in Form von börsennotierten Unternehmen für Krankenhaus-IT, Telemedizin oder Datenschutz – am Beispiel des IT-Unternehmen Cerner, das an der automatischen Verknüpfung von Patientendaten arbeitet, oder des Telemedizin-Spezialisten Teladoc, einem Anbieter von Telefon- und Videokonferenzen, durch den Patienten mobil und online jederzeit Zugang zu einem Arzt erhalten können. Zum Teil drängen auch neue Wettbewerber wie IBM oder Google auf einen Markt, der mit großen Wachstumsraten jährlich voranschreitet.

Wie lebendig sich dabei traditionelle Player und Startups verzahnen, zeigt ein Megadeal aus der österreichischen Szene. So schaffte das Wiener Start-up mySugr, das ein Digital-Service für Diabetiker entwickelt hat, im Vorjahr einen spektakulären Exit, als es zu 100 Prozent von Roche Diabetics Care übernommen und so zu einem Teil des 50 Milliarden-Jahresumsatz schweren Pharmakonzerns Hofmann-La Roche wurde. Experten sprachen von der europaweit größten Digital Health-Akquisition. Wie stark sich Volumen und Anzahl der Investmentdeals in diesem Bereich entwickeln, zeigen auch vom amerikanischen Marktforschungsinstitut CB Insights erhobene Daten: Betrug die Investitionssumme 2016 weltweit „nur“ 6,8 Milliarden Dollar, so waren es 2017 in rund 1000 Deals bereits knapp zehn Milliarden, was eine Steigerungsrate von rund 50 Prozent bedeutet.

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