Leitartikel

Für sein Nordkorea-Experiment gebührt Trump Anerkennung

(c) REUTERS (JONATHAN ERNST)
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Bei aller Skepsis: Mit seiner eigenwilligen Dealmaker-Diplomatie stieß Trump beim Gipfel mit Kim eine Türe auf, an die andere nicht einmal geklopft hätten.

Noch ist alles sehr vage. Noch hat das nordkoreanische Regime keine einzige Atombombe oder auch nur ein Gramm angereicherten Urans abgegeben. Noch liegt im Unklaren, wie umfangreich das nordkoreanische Atomprogramm überhaupt ist. Noch weiß niemand, wer die Abrüstung überwachen und verifizieren soll. Noch gibt es keinen Zeitplan.

Doch ein Anfang ist gemacht. Diesmal hat US-Präsident Donald Trump möglicherweise etwas fundamental richtig gemacht und in seiner unkonventionellen Art eine Dynamik in Gang gesetzt, die die koreanische Halbinsel und die Welt zu einem sichereren Ort machen könnte. Trump hat das übliche Prozedere auf den Kopf gestellt – und den nordkoreanischen Diktator, Kim Jong-un, ohne große Vorbedingung einfach einmal getroffen.

Im Handbuch der Diplomatie ist ein solcher symbolischer Schritt auf höchster Ebene erst im Schlusskapitel vorgesehen; davor ebnen normalerweise Sherpas den Weg zum Gipfel und räumen die wichtigsten Streitfragen aus. Dementsprechend vierschrötig nimmt sich das Ergebnis aus, das in einer gemeinsamen Erklärung von Trump und Kim niedergeschrieben ist.

Nordkoreas Diktator hat sich in der Singapur-Deklaration, wie schon nach seinem Treffen mit dem südkoreanischen Präsidenten, Moon Jae-in, am 27. April, offiziell zu einer „vollständigen Denuklearisierung“ auf der koreanischen Halbinsel bekannt. Im Gegenzug gab Trump der totalitären „Demokratischen Volksrepublik Korea“ ausdrücklich Sicherheitsgarantien.

Es wird sich erst weisen müssen, ob der selbsterklärte größte Dealmaker aller Zeiten als Friedensbringer für eine der gefährlichsten Regionen der Welt in die Geschichtsbücher eingeht. Skepsis bleibt angebracht. Der Kim-Clan hat sich unter jahrzehntelangem Aufwand Atomwaffen zugelegt, um sich vor einem von außen herbeigeführten Regimewechsel zu schützen. Der Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi führte dem stalinistischen Herrscherhaus in Pjöngjang eindringlich vor Augen, wie Schicksale von Staatschefs enden können, die ihr Nukleararsenal aus der Hand geben. Abschreckend wirkte zuletzt sicherlich auch Amerikas Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran. Warum sich Kim am Ende trotzdem an den Verhandlungstisch setzte? Er braucht Geld, will sein Land wirtschaftlich modernisieren und muss dafür die Aufhebung der Sanktionen erreichen, unter dem das hochgerüstete Armenhaus leidet. Einen ersten Erfolg hat Nordkoreas Diktator bereits erzielt. Donald Trump, der Präsident der Supermacht Nummer eins, ist dem Herrscher des repressiven Gulag-Staates höflicher als Regierungschefs befreundeter Demokratien begegnet – und dabei vor den Augen der Welt behilflich gewesen, die Isolation zu durchbrechen.

Die Aufwertung hat Kim zum Billigtarif erhalten. Doch außer diesem Einstandsgeschenk gab Trump nichts aus der Hand. Die Sanktionen sind noch in Kraft. Umgekehrt stellte Kim seine Raketen- und Atomtests ein, sprengte ein (möglicherweise ohnehin unbrauchbares) Testgelände und ließ drei US-Gefangene frei. Das ist nicht viel und auch nicht genug, aber immerhin etwas. Es ist davon auszugehen, dass die Nordkoreaner einen schrittweisen Prozess anstreben, bei jeder Zwischenetappe eine Lockerung der Sanktionen einfordern und den Kern ihrer Nuklearkapazität behalten wollen. Pjöngjang würde nicht zum ersten Mal das Versprechen brechen, sein Atomprogramm vollständig einzustampfen. Vielleicht wiederholt Kim nur den Trick seiner Vorväter. Vielleicht meint er es aber auch ernst.

Trump stieß mit seiner extravaganten Dealmaker-Diplomatie eine Türe auf, an die andere nicht einmal geklopft hätten. Das konnte nur einem eigenwilligen Haudrauf wie ihm gelingen. Es kommt jetzt darauf an, wie konzentriert seine Regierung den Verhandlungsweg fortsetzt und konkretisiert. Doch wo herkömmliche Methoden versagten, schafft Trump nun zumindest die Chance für einen Durchbruch. Schon jetzt kann er als Erfolg verbuchen, (mithilfe des südkoreanischen Präsidenten und des sanftes Drucks aus China) die Situation auf der koreanischen Halbinsel entspannt zu haben. Dafür gebührt ihm Anerkennung.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2018)


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