"Achse der Willigen": Deutsche Medien kritisieren Kurz für mangelndes sprachliches Feingefühl

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Kurz katapultiert sich mit seinem gestrigen Besuch in Berlin in die deutsche Flüchtlingsdebatte. Während Deutschlands Innenminister Seehofer und Kanzlerin Merkel nach einer Lösung suchen, sorgt sein Achsen-Vergleich für Kritik.

Eine europäische Lösung in der Flüchtlingspolitik oder nationale Alleingänge? Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel ringt mit Innenminister Horst Seehofer um den Kurs in der Flüchtlingspolitik, ähnlich jenem über die Einführung einer Flüchtlingsobergrenze im Vorjahr. Seehofer möchte die Möglichkeit schaffen, Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen. Merkel steht diesem Vorhaben skeptisch gegenüber und pocht auf eine europäische Lösung. Bei einem Krisentreffen in Berlin haben beide am Mittwochabend nach einer Lösung gesucht. Ob es bei den Beratungen zu einer Annäherung kam, blieb Medienberichten zufolge nach Ende des Gesprächs offen.

Mitten in die Debatte katapultierte sich auch Kanzler Sebastian Kurz. Er hatte sich am Mittwoch mit Seehofer und Merkel zur Flüchtlingskrise beraten. Er geriet wegen seiner Forderung nach einer Achse "Berlin-Wien-Rom" in die Kritik. Deutsche Medien orteten "Nazi-Rhetorik".

Kurz hatte in Berlin erkennen lassen, dass er in dieser Frage eher bei Seehofer steht als bei Merkel, und bekräftigt, während der am 1. Juli beginnenden österreichischen EU-Ratspräsidentschaft dafür sorgen zu wollen, dass die europäischen Außengrenzen im Kampf gegen illegale Migration nach Europa besser geschützt werden. Dazu setze er auf eine "Achse der Willigen". Er nannte in erster Linie Rom, Wien und Berlin.

Deutsche Medien orten "Nazi-Rhetorik"

Kurz wurde in der deutsche Presse daraufhin "wenig sprachliches Feingefühl" vorgeworfen. Der Terminus "Achse" sei im Zusammenhang mit Berlin und Rom aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Jahre davor "historisch vorbelastet". So titelten mehrere Regionalzeitungen der "Funke-Mediengruppe" gleichlautend in ihren Online-Ausgaben: "Kurz eckt mit Nazi-Rhetorik an."

Weiters hieß es: "In den sozialen Medien fand die begriffliche Verirrung des österreichischen Bundeskanzlers am Mittwoch ein großes Echo. Abgesehen davon, dass eine 'Achse Rom-Berlin-Wien' rein optisch irgendwie einen Knick hätte, gab es Kritik an der Wortwahl, aber auch Kopfschütteln über die offensichtliche Gedankenlosigkeit bei der Formulierung."

Historisch gesehen, so die Funke-Medien, "ist die 'Achse Berlin-Rom' eine Bezeichnung für das Bündnis zwischen den Machthabern Adolf Hitler in Nazi-Deutschland und Benito Mussolini in Italien, das beide 1936 besiegelten. Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs 1938 gehörte dann gewissermaßen auch Wien dazu. Japan komplettierte den Pakt der 'Achsenmächte'."

Auch CDU-Parlamentarier kritisiert Kurz

Kritik musste Kurz auch von einem führenden Parlamentarier der deutschen Schwesterpartei CDU einstecken. "Achsenmächte hätten (sic!) wir schon mal, schlechtes Beispiel mit der Achse!", twitterte CDU-Außenpolitiksprecher Roderich Kiesewetter am Mittwoch. 

Kiesewetter erntete für seine Kritik jedoch umgehend Widerspruch von einem Parteikollegen, der ihm auf Twitter "blöden Klamauk" vorwarf. Der Bundestagsabgeordnete konterte daraufhin mit einem inhaltlichen Angriff auf die Flüchtlingspolitik des ÖVP-Chefs. "Sein ganzer Ansatz ist populistisch und falsch. Das verknüpft mit belasteten Begriffen ist enttäuschend. Punkt!"

Den "Achsenmächten" standen im Zweiten Weltkrieg die "Alliierten" gegenüber. Dazu gehörten in den letzten Kriegsjahren neben Großbritannien, den USA und der Sowjetunion auch alle anderen wichtigen Kriegsgegner Hitler-Deutschlands. Die Kapitulation Italiens 1943 setzte der Achse "Berlin-Rom" ein Ende.

Kurz setzt auf regionale Zusammenarbeit

Kurz sagte am Mittwoch in Berlin, er setze auf eine regionale Zusammenarbeit , weil viele Flüchtlinge von Italien nach Deutschland wollten. Im deutschen Innenminister sehe er hier einen wichtigen Partner. Dies setzte Merkel zusätzlich unter Druck. Die deutsche Bundeskanzlerin, die am Vortag mit Kurz zusammengetroffen war, reagierte zurückhaltend auf diese Forderung. Sie bekräftigte, dass sie eine gemeinsame europäische Lösung in der Flüchtlingspolitik anstrebe. Es gebe Länder wie Italien, Griechenland oder Spanien, die besonders von der Ankunft von Flüchtlingen betroffen seien. Daher müsse es mehrere Kooperationsmöglichkeiten geben.

(APA/dpa/Reuters)

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