Querdenker: Ein Symposium zum Berufsbild

Querdenker Symposium Berufsbild
Querdenker Symposium Berufsbild(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Was ist Interkreativität? Der Begriff klingt sperrig, ist es aber gar nicht. Wenn Künstler und Kreative zusammenkommen, entstehen im Idealfall ganz neue Formen.

Wissen Sie, was Interkreativität ist? Nein? Dann sind Sie ehrlich, denn, so sagt departure-Chef Christoph Thun-Hohenstein: „Ich glaube fast, wir haben den Begriff erfunden.“ Und zwar, um einem altbekannten Thema, der Interdisziplinarität, neues Leben einzuhauchen. Drei Tage lang widmet sich kommende Woche das von departure, der Förderstelle für Kreativwirtschaft, organisierte „QUER – Symposium und Labor für Interkreativität“ der Zusammenarbeit kreativer Disziplinen: Kunst, Architektur, Theater, Design, Mode, Musik, Literatur, Visualisierung.

Das Thema, sagt Thun-Hohenstein, lag auf der Hand, weil fachüberschreitende Kooperation derzeit so einfach ist wie noch nie – durch die Digitalisierung lassen sich nicht nur geografische Distanzen überwinden, sondern auch Arbeitsprozesse immer einfacher verschränken. Kurz: Teamarbeit hat Konjunktur. Wobei man das Über-den-Tellerrand-Blicken bereits in der Ausbildung fördern kann. Im Rolex Learning Center in Lausanne geschieht das bereits: Der einstöckige Bau der japanischen Architekten Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa „erzwingt“ bereits durch seine Form die Begegnung der verschiedenen Disziplinen.

1+1=5. Was das bringen soll? Viel. Im besten Fall, so Thomas Beck, Rektor der Hochschule der Künste Bern, „entsteht ein dynamischer Prozess, bei dem aus eins plus eins nicht zwei, sondern vielleicht fünf wird“. Das heißt: wenn man es zulässt. Denn Interkreativität folgt laut Beck vor allem einer Regel: keine Regeln zu haben, nur diskrete Moderation. Denn: „Wenn verschiedene Künste oder Kreative aufeinandertreffen, dann braucht es jemanden, der mit viel Verständnis als Katalysator auftritt.“ Auch das QUER-Symposium versteht sich zunächst vor allem als Experiment. Thun-Hohenstein hofft dennoch auf ein konkretes Ergebnis: „Dahinter steckt die Hoffnung, dass auf diesem Wege insgesamt die Nachfrage nach Kreativleistungen steigt und es für die verschiedenen Kreativbereiche zu einem Multiplikatoreneffekt kommt.“ Wie das aussieht, aussehen könnte? Hier vier Beispiele für „angewandte Interkreativität“.


Zunächst etwas Typisches: das Theater. „Der Bereich Bühne ist das natürliche Umfeld von Interkreativität“, meint Rektor Beck. Denn hier kommen Text und Musik, Kostüm und Raumgestaltung seit jeher zusammen. Kein Wunder also, dass die Bühne Berufskreative anzieht. Bereits 2002 entwarf etwa Zaha Hadid ein Bühnenbild für die Oper Graz. 2006 taten es ihr Herzog & de Meuron nach. Das Schweizer Architektenduo gestaltete das Bühnenbild zur Oper „Tristan und Isolde“. Eine hinter einer Plane versteckte Druckluftkammer gab die Kulisse. Schön sei das, aber es gehe mehr, sagt Thomas Beck – „mehr strukturelle Bedeutung“. Wichtig sei, die Kunst aus ihrem Kontext zu nehmen. Damit sie sich „durch ungewohnte Reflexion und das veränderte Umfeld entwickelt.“ Überhaupt denkt Beck nicht, dass „Interkreativität auf den ersten Blick erkennbar sein muss, wie etwa Multimediatheater, sondern dass die Bewusstseinsveränderung durch eine neue, vernetzte Welt auf die Kunst einwirkt“.

Schließlich verändert das Internet so ziemlich alles – Sprache, Reichweite und Lesegewohnheit. Diese neuen Fertigkeiten hätten nun Einfluss auf intellektuelle Prozesse. Auch, wenn dabei nicht unbedingt neue Kunstformen entstehen, glaubt Beck, dass sich die bestehenden miteinander weiterentwickeln. Genau um dieses gemeinsame Wachsen geht es auch Designer Robert Stadler. Für ihn ist das „so selbstverständlich wie Atmen“. „Zum Beispiel war Technologietransfer schon immer einer der Hauptmotoren für Innovation im Design. Genauso kann dieser Transfer das Theater stimulieren, umgekehrt lernt der Designer vom Livecharakter der Bühne.“ Dass neue, hybride Kunstformen das Resultat einer solchen Zusammenarbeit sind, kann sich Stadler, der ebenso gern mit Modeleuten wie mit Parfumeuren und Musikern arbeitet, vorstellen. Der Wahlpariser steckt im Moment wieder in so einem interkreativen Prozess: Für das Kunstcenter La Gaîté Lyrique arbeitet er mit dem Musik-Forschungsinstitut Ircam an einer Art hybrider Form von Möbeln, Konzerthalle und Tonstudio. Stadler: „Da geht es um akustische Illusionen, die man in einem Raummodul erfahren wird.“


Ein eindeutiges Beispiel für so ein Miteinander hat sich in der Musik längst durchgesetzt: Visuals. Die Töne sichtbar machen – darum geht es auch Claudia Rohrmoser, die mit Animation und Motion Graphics arbeitet und auch, gemeinsam mit Komponistin Kotoka Suzuki, an Musikvisualisierungen. „Multimediale Künste können nicht mehr nach dem Autorenprinzip funktionieren. Es braucht mehrere Experten, die sich in den jeweiligen Medien zu Hause fühlen. Nur durch die Vermischung der Disziplinen entsteht Neues“, sagt Rohrmoser, für die es im interkreativen Prozess nur wenige Fallen gibt, wie etwa: nicht offen genug zu sein, an fixen Vorstellungen festzuhalten. Rohrmoser wird kommende Woche auch am „lied lab“ teilnehmen. Von 12. bis 21. März nehmen sich dabei Visualisten des Liedguts von Hugo Wolf an.

Die Vermischung von Künsten hat die Wiener Formation Sofa Surfers als Band-Prinzip installiert. Mit Timo Novotny gibt es hier einen Videokünstler als fixes Mitglied der Truppe. Auch dem Medium Film nähert man sich immer wieder an. Etwa mit Live-Soundtracks zu den „Brenner“-Filmen. Beim Thema Musik schlägt wieder der Faktor Internet durch: etwa in Gestalt von Kompositionsplattformen wie dem Programm „Optosys“. Hier werden kollektiv Stücke geschrieben. Beck: „Solche neuen Strukturen verändern das Kunstwerk massiv.“ Dass interkreativ oft auch interaktiv bedeuten kann, zeigt eine Soundinstallation der deutschen Klangkünstler Daniel Teige und Martin Rumori: Mit dem Projekt „16:9“ beziehen sie sich auch auf die bildende Kunst: Ein Wandbild mit eingebauten Lautsprechern erlaubt es dem Besucher, ein individuelles akustisches Bild zu malen. Martin Rumori: „Wir setzen das Visuelle und das Akustische gegeneinander und lassen den Besucher mit diesem Möglichkeitsraum allein.“

Visualisierung funktioniert aber nicht nur für Musik, sondern auch für Literatur.Hier herrscht durchaus Bedarf, wie Thomas Keul, Chefredakteur von „Volltext“, meint. Denn: „Bei Lesungen hat Literatur ein großes Inszenierungsproblem. Am Tisch steht ein Wasserglas, ein Moderator sagt einleitende Worte, das ist manchmal fad.“ Beim von Keul koordinierten „literatur lab“ im Rahmen des QUER-Symposiums werden Visualisten und Schriftsteller zusammenarbeiten. So wird Kathrin Röggla aus „die alarmbereiten“ lesen und das Duo 4youreye den Text visuell umzusetzen. Beide haben bereits Erfahrungen mit Interkreativität: 4youreye arbeiteten für das Salzburger Literaturhaus. Und Röggla ist „als Theaterautorin gewohnt, dass andere Menschen auf meine Texte reagieren“.

Lesungen absolviert sie immer wieder auch gemeinsam mit dem Illustrator Oliver Grajewski: „Als Team auf der Bühne zu stehen macht mir unheimlich viel Spaß.“ Zudem ist Rögglas Text wohl das, was Keul als für Visualisierungen geeignet nennt: rhythmisch, auf die Sprache konzentriert, nicht sehr beschreibend. „Obwohl das“, meint Keul, „vielleicht auch für episch breite Romane funktioniert“. Wenngleich es hier passieren kann, dass die projizierten Bilder mit denen im Kopf der Leser kollidieren – „das könnte manche stören“. Allerdings, wendet Eva Bischof-Herlbauer (4youreye) ein, würde man ohnehin nicht reale Bilderwelten übersetzen: „Die Motive sind eher abstrakt und orientieren sich am Duktus der Sprache oder versuchen Stimmungen zu transportieren.“ Da der Mensch ein „Augenwesen“ sei, müsse man aufpassen, „dass die Bilder nicht zu stark werden. Die Balance muss gewahrt bleiben“.

Potenzial für die Zukunft sieht Keul jedenfalls. Denn Lesungen liegen im im Trend und werden als Einnahmequelle für Autoren wichtiger. Am „literatur lab“ zeigten die Autoren „überraschend großes Interesse“. Die Visualisierung, glaubt Keul, könnte helfen, die Lesungen aus den Literaturhäusern herauszuholen und neues Publikum zu gewinnen. Apropos: Wäre es auch denkbar, den Hörbuchhype zu nutzen und für das iPod-Display Visualisierungen zu entwickeln? „Kann ich mir vorstellen“, so Bischof-Herlbauer, „visualisierte Klingeltöne gibt es ja auch“.

Bleibt noch die bildende Kunst. Ihr ist die Interkreativität insofern vertraut, als sich die Disziplinen oft schon in einer Person mischen. Als Paradebeispiel für spartenübergreifende Zusammenarbeit nennt der freie Kurator und Autor Jasper Sharp den britischen Künstler Matthew Ritchie, der für die Stiftung Thyssen-Bornemisza Art Contemporary den Pavillon „The Morning Line“ entwickelte – gemeinsam mit dem Architektenduo Aranda/Lasch und dem Sound Lab der York University. Optisch erinnert der Pavillon, der auch in Istanbul gezeigt wird, an die stilisierten Ruinen einer schwarzen Kathedrale, inhaltlich ist er eine technisch komplexe Plattform für Künstler, die gern Genres sprengen.

So weit, so Zeitgeist. Aber auch „alte Meister“ können von Interkreativität profitieren. Im Kunsthistorischen Museum gibt es dazu Ansätze. Direktorin Sabine Haag hat aktuell vier junge Künstler eingeladen, sich textil mit dem charakteristischen Schlitzwams in Vermeers Gemälde „Malkunst“ auseinanderzusetzen: Vier Objekte/Kostüme sind entstanden. „Dem Publikum macht das viel Spaß“, sagt Haag. Sie selbst sei sehr offen für solche Interventionen – „wenn sie leistbar sind“. Auch über die digitale Vermittlung der Kunst wird intensiver nachgedacht: Man experimentiert mit iPhone als Audioguide-Ersatz und mit Podcasts.

Die Zukunftsvision für die Gegenwartskunst reicht freilich weiter: Künftig, glaubt Jasper Sharp, werden sich die traditionellen Kollaborationen ausdehnen und Kreative nicht nur mit Kreativen, sondern (wie etwa jetzt schon Matthew Ritchie) mit Philosophen, Forschern, Astronomen oder Ärzten zusammenarbeiten. Womit wir vom Begriff Interkreativität eigentlich wieder zu Interdisziplinarität wechseln könnten. Auch nicht schlecht.

Von 11. bis 13. März
findet im Odeon Wien (1020, Taborstraße 10) „QUER – das Symposium und Labor für Interkreativität“ statt. Die Teilnahme ist gratis, um Anmeldung wird aber gebeten.

Zahlreiche Experten
wie der Autor Jasper Sharp, Designer Robert Stadler, Modedesigner Bernhard Wilhelm, Künstler Franz West, Schriftstellerin Kathrin Röggla und viele mehr versuchen eine Annäherung an das interdisziplinäre Schaffen im kreativen Zeitalter.

quer.departure.at

OUI! Heureux d'en être!
Eröffnung: 13.März, bis 23.März, Coco, Bauernmarkt 9, 1010 Wien

Georgette in Wien
Eröffnung: 18.März, bis 31.März, Galerie Layr Wuestenhagen Contemporary, An der Hülben 2, 1010 Wien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2010)

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