Was Tierschützer von der Mafia unterscheidet

Tierschuetzer Mafia unterscheidet
Tierschuetzer Mafia unterscheidet(c) APA (HERBERT NEUBAUER)
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Ein Plädoyer für eine Rechtskultur der „Zurückhaltung“.

WIEN. Das aktuelle Strafverfahren gegen mehrere Tierrechtsaktivisten wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft bei einer kriminellen Organisation gemäß § 278a StGB erzeugt zunehmendes Unbehagen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und der Verfassungskonformität dieser Vorgangsweise. § 278a ist ein sogenanntes „Vorfelddelikt“, das ausnahmsweise grundsätzlich straffreie Vorbereitungshandlungen selbstständig inkriminiert. Diese Vorverlagerung der Strafbarkeit erzeugt von vornherein ein höheres Maß an Unbestimmtheit des Tatbestands, gewissermaßen einen „Abstraktionsüberschuss“, dem methodisch mit besonderer Sorgfalt zu begegnen ist. Diese größere Unbestimmtheit darf daher im Licht des strafrechtlichen Legalitätsprinzips nicht als Einladung zu einer weiten, ja deutlich überschießenden Auslegung aufgefasst werden, sondern gebietet vielmehr eine restriktive Interpretation.

Vorverlagerte Strafbarkeit

Augenmaß ist also dringend geboten: Nur die besondere Gefährlichkeit einer solchen Personenverbindung, die nicht zuletzt mit dem Vorhandensein eines straff organisierten Apparats zur Machtakkumulation und zur regelmäßigen Begehung von Schwerstdelikten begründet wird, vermag eine solche dezidiert präventive Ausrichtung und die damit verbundene weitreichende Vorverlagerung der Strafbarkeit rechtsstaatlich zu legitimieren. Keinesfalls reicht es daher, in der Auslegung dieser Bestimmung beim (äußersten) Wortlaut stehen zu bleiben. Vielmehr gilt es, insbesondere zur Wahrung grundrechtlicher Schranken, die dieser Bestimmung zugrunde liegende qualifizierte Unrechtswertung teleologisch auch als Auslegungsmaxime miteinzubeziehen.

Berücksichtigt man dies, ist kaum zu übersehen, dass sich die infrage stehende Gruppe von Tierschützern in mehreren Punkten deutlich vom charakteristischen tatbestandsmäßigen Profil einer „kriminellen Organisation“ abhebt:

Neben dem Fehlen einer eindeutigen unternehmensähnlich-hierarchischen Struktur verfolgen Tierschutzorganisationen keine partikulären Interessen, sondern unterscheiden sich durch die Orientierung an verallgemeinerungsfähigen ethisch-politischen Zielsetzungen von dem für mafiose Organisationen charakteristischen Streben nach Gewinn und Machtakkumulation. Darüber hinaus ist auch hinsichtlich der Methodenwahl politischer Einflussnahme ein signifikanter Unterschied zu konstatieren: Für mafiose Strukturen gilt herkömmlicherweise der Versuch des verdeckt-manipulativen „Infiltrierens“ von zentralen Entscheidungspositionen in Politik und Gesellschaft als typisch. Dagegen suchen Tierschützer wie andere NGOs den möglichst breiten politischen Diskurs durch offen-provokativen Aktionismus, oft auch mit dem Ziel, letztendlich die Gesetzeslage im Bereich des Tierschutzes zu verändern. Übrigens, welche kriminelle oder terroristische Organisation kann für sich in Anspruch nehmen, direkten positiven Einfluss auf die Rechtsentwicklung ausgeübt zu haben?

Sollten konkrete Delikte einzelnen Tätern nachweisbar sein, sind diese natürlich strafrechtlich zu verfolgen. Der Versuch der Anwendung gerade von § 278a StGB auf diese Aktivitäten enthält jedoch die Tendenz, im großen Stil Organisation durch Ideologie zu ersetzen, und legt vor allem den Verdacht nahe, es gehe schlichtweg darum, den rechtsstaatlich notwendigen konkreten Nachweis einzelner Delikte gegenüber konkreten Tätern weitgehend auszuhebeln.

Ziviler Ungehorsam

Eine Reihe von Aktionen radikaler Tierschützer, die etwa relativ geringfügige Verwaltungsübertretungen in Kauf nehmen, oder gewaltlose „Tierbefreiungen“, sind weiters von vornherein dem typischen symbolischen Protestrepertoire Zivilen Ungehorsams zuzurechnen. Dabei handelt es sich um ein mittlerweile in der rechtsethischen Debatte weitgehend anerkanntes Instrument des passiven Widerstands im Rechtsstaat, ein gewissensbestimmtes, aber formal illegales Verhalten, das den symbolischen und strikt beschränkten Rechtsbruch als letztes Mittel einsetzt, um einen evidenten Widerspruch zwischen „Legalität“ und „Legitimität“ aufzudecken. Gerade auch auf solche Aktivitäten wird aber in der Anklage vielfach zur Konstruktion einer ausreichenden Organisationsdichte Bezug genommen.

Tiere vollständig verdinglicht

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die wirksame Geltendmachung von Tierschutzinteressen im öffentlichen Bewusstsein nach wie vor fast zwangsläufig eine Gratwanderung im Bereich der Legalität darstellt. Zu hermetisch und gnadenlos unterwirft insbesondere die mittlerweile hoch industrialisierte und globalisierte Nahrungsmittelproduktion Nutztiere einer radikalen und vollständigen Verdinglichung, die diese Produktionsformen gleichzeitig auch jeder lebensweltlichen Erfahrbarkeit durch den Konsumenten entzieht. Vor diesem Hintergrund kann sich tierschützerischer Protest kaum anders Gehör verschaffen als dadurch, gelegentlich auch an die Grenzen legalen Aktionismus zu gehen.

Im Hinblick auf diesen charakteristischen Stellenwert des Zivilen Ungehorsams in der „Schwebe“ „zwischen Legitimität und Legalität“ empfiehlt übrigens Habermas eine spezifische Rechtskultur der „Zurückhaltung“, die sowohl die Regelverletzer – hinsichtlich einer mäßigenden Auswahl ihrer Mittel – als auch den Staat in Pflicht nimmt. Letzterer sollte daher eben nicht sein gesamtes Sanktionspotenzial ausschöpfen, vor allem aber im Umgang mit Akten Zivilen Ungehorsams oder auch diesem rechtsethisch nahestehenden Aktivitäten überschießende und unverhältnismäßige Reaktionen vermeiden.

Univ.-Prof. Dr. Eva Maria Maier lehrt am Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Uni Wien. Ein ausführlicher Beitrag mit ihren Thesen ist in der Zeitschrift Juridikum 1/2010 in Druck.

DER MAFIAPARAGRAF

Bis fünf Jahre Haft drohen jedem, der sich an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen beteiligt, die darauf aus ist, schwere Straftaten zu setzen, dadurch eine große Bereicherung oder erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft sucht und andere korrumpieren oder einschüchtern will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2010)

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