Schlechte Nachrichten für Zeitungen von Druck und Vertrieb. Doch Projekte wie „Lettre International“ geben Hoffnung. Mit höchster Qualität wie bei dieser Literaturzeitschrift kann man sich gegen Facebook, Google & Co. behaupten.
Manch neueste Nachrichten aus dem Mediengeschäft sind nichts für Furchtsame. Da wird etwa unlängst der Finanzvorstand des Druckmaschinenerzeugers Koenig & Bauer vom „manager magazin“ zur Branche befragt. Diese Firma ist nicht irgendeine, sondern sie gehört seit gut 200 Jahren zur Avantgarde dieser Industrie, ein Weltmarktführer in vielen Bereichen der Druckkunst. Sie hat sich dafür immer wieder neu erfinden müssen, neue Kernbereiche gesucht. Im Gegensatz zu vielen Konkurrenten ist der nun älteste Druckmaschinenbauer der Welt profitabel. (Auf seiner ersten Doppelzylindermaschine wurde 1814 als erstes Blatt „The Times“ gedruckt.)
Was sagen diese Spezialisten mit Stammsitz in Würzburg, bei denen sich fast zwei Jahrhunderte lang alles um Rotationsmaschinen drehte, zur Zukunft der Zeitungsdruckmaschine? Sie spiele keine Rolle mehr. Man werde keine neue Generation entwickeln und auf den Markt bringen. In die Dampfmaschine habe man schließlich auch irgendwann nicht mehr investiert.
Ein paar Wochen später meldet in Wien die Firma Morawa, sie werde den Zeitungsvertrieb einstellen. Die Lieferung von Zeitungen und Zeitschriften an die Kioske werde sich für sie kurz- bis mittelfristig nicht mehr rechnen.
Das ist der Moment, in dem sich ein treuer Zeitungsleser dem Wahren, Guten und Schönen zuwendet. Ganz Gallien von Römern besetzt? All das Gedruckte von Facebook, Google & Co. platt gemacht? Fürchtet euch nicht! Es gibt gallische Dörfer, die dem Imperium erfolgreich Widerstand leisten. Manche seit 170 Jahren. Spektakulär ist auch die Geschichte einer Vierteljahresschrift, die sich der Literatur, den Künsten, großen Reportagen verschrieben hat: Vor 30 Jahren kam in Westberlin die erste Nummer von „Lettre International“ heraus. Eigentlich sprach damals schon die Vernunft gegen ihr Konzept: Ein Heft im halben Nordischen Format, das aufgeblättert größer ist als der Arbeitsplatz eines Service-Centers. Nur anspruchsvolle Texte bester Dichter und Denker aus aller Welt, manches wächst sich zu Groß-Essays aus. Illustrierungen weltweit bekannter Künstler und ein Umfang, der dem von drei Romanen entspricht. Das muss doch scheitern – oder? Seit 1988 wurden in „Lettre“ 3600 Texte aus 95 Ländern publiziert, lauter deutsche Erstveröffentlichungen, 80 Prozent Übersetzungen aus 40 Sprachen. Verkaufte Auflage: 16.000. Eben wurde zum 30. Jubiläum Heft Nr. 121 ausgeliefert: 186 Seiten hohe Literatur, Avantgarde der Geisteswissenschaft und Spitzenjournalismus. Pflichtlektüre ist jedenfalls das erstmals auf Deutsch erschienene Tagebuch Jean Moulins. (Er vereinte Frankreichs Widerstand zur Résistance, wurde von der SS gefasst, von Gestapo-Chef Barbie gefoltert. Moulin verriet nichts, er starb an den Folgen der Misshandlungen.)
Offenheit. Frank Berberich, der 1988 „Lettre“ gegründet hat und seither leitet, erklärt die Blattlinie: „Es war von Anfang an ein kosmopolitisches Projekt.“ Geholfen habe die Aufbruchstimmung vor dem Zerfall des Ostblocks. Man habe sich um den intellektuellen Humanismus in Ostmitteleuropa gekümmert. „Leute wie Havel, Michnik, Konrád forderten unter Berufung auf universalistische Werte Menschenrechte, Meinungsfreiheit und nationale Selbstbestimmung, das hat auch zahlreiche Intellektuelle im Westen neu motiviert und revitalisiert. Wir haben diese Stimmung verstärkt.“ Berberichs Motto? Majakowskis „Macht die Fenster auf!“ Vielstimmig soll „Lettre“ sein – und kontrovers. Heute gebe es leider oft Erschöpfung, Ernüchterung. „Die Utopien sind verbraucht. Fragen nationaler Identität werden wieder thematisiert.“ Was tun? „Mit Widersprüchen leben lernen. Nicht furchtsam sein.“ Also gleich die Essays über „Journalismus heute“ lesen, über Aufstieg und Niedergang einer Profession. Den Druck spüren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2018)