12-Stunden-Tag: „Überstundenzuschläge bei Gleitzeit bleiben“

Fensterputzer Verwirrung rund um das neue Arbeitszeitgesetz: Es solle sich bei den Überstundenzuschlägen nichts ändern, hieß am Montag. World Trade Center
Fensterputzer Verwirrung rund um das neue Arbeitszeitgesetz: Es solle sich bei den Überstundenzuschlägen nichts ändern, hieß am Montag. World Trade Center(c) APA/Sebastian Kahnert
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Fallen Beschäftigte, die Gleitzeit haben, künftig um Zuschläge für Überstunden um? Die Aufregung war groß, am Montag kam Entwarnung.

Wien. Am Montag war das Chaos perfekt. Die Industriellenvereinigung (IV) werde den Antrag von ÖVP und FPÖ zur Flexibilisierung der Arbeitszeit noch einmal überprüfen, erklärte IV-Präsident Georg Kapsch am Vormittag am Rande einer Pressekonferenz. „Wir sehen uns das ein zweites Mal an“, sagte Kapsch. Sollte sich herausstellen, dass bei Verträgen mit Gleitzeitregelung durch die Ausweitung der möglichen Arbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden pro Tag tatsächlich Nachteile für die Mitarbeiter entstehen, „werden wir mit der Regierung sprechen“.

Anlass für die Verwirrung waren Äußerungen in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ am Sonntagabend. Dort sagte Josef Muchitsch, SPÖ-Sozialsprecher und Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz, dass durch die Neuregelung rund eine Million Menschen bei Gleitzeit ihre Zuschläge für die elfte und zwölfte Arbeitsstunde verlieren. Kapsch bestätigte das. „Bei Gleitzeit ist das so“, so Kapsch in der Sendung. Auch Karlheinz Kopf, ÖVP-Nationalrat und designierter Generalsekretär der Wirtschaftskammer, stimmte Muchitsch zu: „Alle Zuschläge bleiben mit der Einschränkung der Gleitzeit“, sagte er in der ORF-Sendung.

Und dann ging es Schlag auf Schlag. Die SPÖ und Gewerkschaftsvertreter jubelten, dass Kapsch und Kopf der Äußerung von Muchitsch zustimmten. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher sprach am Montag von „eiskaltem Lohnraub“ – und bedankte sich beim IV-Präsidenten, weil dieser am Sonntagabend gesagt hatte, der Wegfall der Zuschläge sei gar nicht gewollt.

Am Montagnachmittag verschickte die Industriellenvereinigung dann eine lange Klarstellung. Darin hieß es: „Keine Änderung des Überstundenregimes bei Gleitzeit“. Auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) bestätigte das: „Alle Zuschläge bleiben erhalten, auch in der Gleitzeit“, sagte die Ministerin bei einer Pressekonferenz, bei der es eigentlich um das Thema Wertschöpfung ging.

Selbstbestimmt oder auf Anordnung?

Aber wie konnte es überhaupt zu dieser Verwirrung kommen? Grund waren wohl die rechtlichen Eigenheiten der Gleitzeit. Gleitzeit heißt, dass Arbeitnehmer sich ihre tägliche Arbeitszeit selber einteilen können. Innerhalb bestimmter Vorgaben können sie Beginn und Ende selbst bestimmen – und dabei Zeitguthaben auf- und wieder abbauen. Überstundenzuschläge fallen normalerweise nicht an, außer wenn Gutstunden innerhalb der jeweiligen Gleitzeitperiode nicht ausgeglichen werden können. Wobei auch vereinbart werden kann, dass eine bestimmte Anzahl von Gutstunden in die nächste Periode mitgenommen wird. Derzeit darf im Rahmen solcher Vereinbarungen bis zu zehn Stunden pro Tag gearbeitet werden, künftig sollen – wenn die Gleitzeitvereinbarung entsprechend ausgeweitet wird – bis zu zwölf Stunden möglich sein. Wer dann freiwillig an einzelnen Tagen so lange arbeitet, bekommt dafür normalerweise keinen Überstundenzuschlag.

Aber: Auch in Betrieben mit Gleitzeit kann es vorkommen, dass Überstunden angeordnet werden. Und es gibt Ausnahmesituationen, in denen auch jetzt schon bis zu zwölf Stunden gearbeitet werden darf (z. B. in betrieblichen Notfällen in höchstens 24 Wochen des Kalenderjahres, wenn es eine entsprechende Betriebsvereinbarung gibt). Angeordnete Überstunden fallen aber nicht unter Gleitzeit, sondern sind zuschlagspflichtig – und daran soll sich, wie am Montagnachmittag klargestellt wurde, nichts ändern: „Wenn es selbstbestimmt ist, ist es keine Überstunde, sondern normale Arbeitszeit. Wenn der Arbeitgeber hineinfährt und die Überstunde anordnet, dann ist es eine Überstunde und bleibt auch eine“, sagt Rolf Gleißner aus der Abteilung Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer. Das Konzept Gleitzeit sei relativ liberal, „es steht wenig im Gesetz und das meiste in Betriebsvereinbarungen“, so Gleißner.

„Keine Kriminalisierung mehr“

Trotz des Widerstands von SPÖ, Gewerkschaft und Arbeiterkammer will die Regierung daran festhalten, das Gesetz bis zum Sommer zu beschließen, sagt Wirtschaftsministerin Schramböck. Denn: „Es gibt auch große Fürsprache.“ Für Beschäftigte, die pendeln oder projektbezogen arbeiten, sei die Ausweitung der Höchstarbeitszeit ein Vorteil. Die durchschnittliche Normalarbeitszeit bleibe ja gleich. Firmen, in denen jetzt schon zeitweise länger als zehn Stunden am Tag bzw. 50 Stunden in der Woche gearbeitet werde, werde es mit dem neuen Arbeitszeitgesetz ermöglicht, „aus der Kriminalisierung herauszukommen“.

Lexikon

Gleitzeit. Bei gleitender Arbeitszeit können Arbeitnehmer innerhalb bestimmter Grenzen Beginn und Ende ihrer täglichen Normalarbeitszeit selbst bestimmen. Derzeit darf ein Gleitzeitrahmen von bis zu zehn Stunden pro Tag vereinbart werden, künftig sollen es zwölf Stunden sein. Zuschläge fallen dann nur für Gutstunden an, die nicht innerhalb der Gleitzeitperiode ausgeglichen und auch nicht in die nächste Periode mitgenommen werden können.

Bei Überstunden handelt es sich um vom Arbeitgeber (ausdrücklich oder konkludent) angeordnete Mehrarbeit. Überstunden sind zuschlagspflichtig – auch in Betrieben mit Gleitzeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2018)

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