Was zwei ehemalige Zentralmaturanten über die Reifeprüfung denken

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Ein Monster, das keines ist? Oder eine Gefahr für echte Grundkompetenzen? Ein Pro & Contra zur Zentralmatura.

Ein Monster, das keines ist? Oder eine Gefahr für echte Grundkompetenzen, für die die Abrissbirne angesagt wäre? Zwei „Presse“-Lehrredakteure, die die zentrale Reifeprüfung selbst absolviert haben, haben sich angesichts der aktuellen Debatten Gedanken über die wichtigste Prüfung im Schülerleben gemacht. Pro und Contra.

Gefahr für echte Grundkompetenzen

Von Felix Stippler

„Ups, das hätte nicht passieren sollen.“ – ein Satz, der in die Geschichte der Zentralmatura einging. Kurz vor der Deadline versuchten hunderte Schüler, ihre vorwissenschaftliche Arbeit hochzuladen. Ohne Erfolg. Denn die Server des Bifie-Instituts konnten die schiere Menge an Daten nicht verarbeiten. Man möchte meinen, dass dies die einzige Zentralmatura-Panne gewesen wäre. Weit gefehlt. Schon bevor alle Schüler ihre Arbeiten doch noch erfolgreich auf die Server hochgeladen hatten, kamen ausreichend Fehler à la „Ups, das hätte nun wirklich nicht passieren sollen“ daher.

Man stelle sich vor: Man sitzt bei der Mathematik-Matura, öffnet den Prüfungsbogen und zwei Drittel der Aufgaben fehlen. Das passierte 2014 in einigen Wiener Gymnasien. Der Fehler war auf einen „Fehldruck in einigen Paketen zurückzuführen.“ Nur einige Tage später passierte die nächste Panne: Noch vor der Englischprüfung hob das Bifie die Notenschwelle um drei Prozent an – da die Aufgaben dieses Jahr leichter gewesen wären, wie es dann hieß. Der Ärger der Lehrer und Schüler war daraufhin groß. Normalerweise ist es ja keine Schlagzeile, wenn nichts vorfällt. Bei der Zentralmatura war in den vergangenen Jahren das Gegenteil der Fall.

Dabei klänge es durchaus verlockend, alle Schüler vergleichen zu können und ein bundesweit einheitliches Mindestniveau herzustellen. Doch darunter leiden letztlich Schüler, Lehrer und der Unterricht. Zumal die gleichen Aufgaben für alle dazu führen, dass der Unterricht weniger individuell und kreativ gehalten werden kann. Für spezielle Interessen der Schüler bleibt kaum noch Zeit. Denn die Lehrer stehen ebenfalls mit dem Rücken zur Wand. Die Fragestellungen und Methoden, die bei der Zentralmatura verlangt werden, haben im Unterricht Priorität. Für andere Zugänge und Themenbereiche, die damit nichts zu tun haben, bleibt kaum noch Platz.

Es entsteht ein reines System des „Teaching to the Test“. Lehrer, die sich nicht an diese Vorgaben halten, müssen ihren Schülern oft erklären, sie sollten lieber nicht in ihrem jeweiligen Fach zur Reifeprüfung antreten. Vor allem im Unterrichtsfach Deutsch bekommt man die Auswirkungen zu spüren. Wo früher noch Gedichte und andere Texte analysiert und interpretiert wurden, werden heute die verschiedenen Merkmale der Textformen auswendig gelernt. Zumal literarische Texte auch nicht mehr zwangsläufig bei der zentralen Matura behandelt werden müssen.

Darüber hinaus drückt die zentralisierte Reifeprüfung auch das bundesweite Niveau. Um ein halbwegs herzeigbares Ergebnis zu erzielen, muss man sich an den schwächeren Schulen orientieren. Sonst passiert so etwas wie dieses Jahr. In Mathematik kassierten schriftlich 22 Prozent der AHS- und 19 der BHS-Schüler ein „Nicht genügend“. Kein Wunder, dass das Ministerium dann anordnet, die Schüler bei den Kompensationsprüfungen „zu unterstützen“.

Doch das war heuer keine Premiere. Gerade nach den Mathematikprüfungen hörte man entweder, sie seien zu schwer gewesen, oder sie aus unerfindlichen Gründen um einiges leichter gewesen als im Vorjahr. Langsam sollte sich die Schwierigkeit eingependelt haben. Ausreden wie „Das Konzept muss noch ausreifen“ gelten nicht mehr. Es muss ein neues Konzept her. Idealerweise zum Wohle der Kreativität und Individualität der Schüler. Das sind nämlich echte Grundkompetenzen. Die Zentralmatura ist eine Baustelle – wie Bildungsminister Heinz Faßmann zuletzt selbst zugab. Langsam wird es Zeit für die Abrissbirne.

Ein Monster, das keines ist

Von Eva Schrittwieser

Von Beginn der Oberstufenzeit an war das Wort in aller Munde: neue Reifeprüfung. Meistens mit negativem Unterton. Nein nicht meistens, eigentlich immer. Die Lehrer paukten den Lehrstoff durch, damit man ihn ja bis zum Tag der Klausur durchbrachte. In den Medien hagelte es Kritik: „Experten bezweifeln die Fairness. Lehrer und Direktoren sind verwirrt. Schüler fühlen sich schlecht vorbereitet. Eltern sind besorgt um die Zukunft ihrer Kinder.“ Das Bifie-Institut trug auch seinen Teil dazu bei. Häufig kam es in Erklärungsnot. Und oft war nicht klar, wie alles genau ablaufen würde. Wie viel Prozent benötigt man, um in Englisch positiv zu sein? 66? 60?

Natürlich war auch damals schon Mathematik das Sorgenkind der Zentralmatura. Gleich eine der ersten Schularbeiten mit dem neuen Prüfungsformat fiel katastrophal aus. Man begann sich unweigerlich zu fragen: Was ist dieses Monster namens standardisierte kompetenzorientierte Reife- und Diplomprüfung? Was kommt da nur auf mich zu? Nach der Klausur war das Bild freilich ein anderes – und die Aufregung nicht mehr ganz so verständlich. Natürlich war es nicht leicht und natürlich bestanden einige nicht. Es ist ja immerhin die Matura. Das gab es aber vor der Einführung der neuen Reifeprüfung auch schon. Es ist ja immerhin die Matura.

Dass die Zentralmatura zu einem derartig großen Problem hochstilisiert wurde und wird, hat sie nicht verdient. Die ganze Kritik – angeblich ja immer im Sinne der Maturanten – hilft niemandem wirklich. Ganz im Gegenteil: Als Schüler wird man dadurch umso mehr verunsichert. Natürlich ist es legitim, einzelne Elemente wie individuelle Beispiele der Mathematik-Matura zu bemängeln. Aber: Man sollte nicht gleich das Gesamtkonzept der neuen Reifeprüfung infrage stellen.
Denn die Zentralmatura ist fair. Keiner bekommt mehr schwierigere oder leichtere Aufgaben. Alle müssen dieselben Aufgaben erledigen.

Unterschiedlich ist nur, wie man darauf vorbereitet wird beziehungsweise sich selbst darauf vorbereitet. Und das hat jeder – Lehrer und Schüler – selbst in der Hand. Die Matura ist nun auch objektiver als zuvor. Denn die Lehrer bekommen einen vorgegebenen Raster, auf Basis dessen sie die Schüler beurteilen müssen. Und bei der mündlichen Klausur müssen sich die Fachlehrer an der Schule auf einheitliche Themenpools und Aufgaben einigen. Außerdem bereitet die Vorwissenschaftliche Arbeit die Schüler schon auf die Uni vor.

Man sollte bei all den Diskussionen über die Zentralmatura also mehr an die Schüler denken. Und die Prüfung nicht zu einer noch größeren Belastung machen, als sie es ohnehin schon ist. Man sollte deshalb auch die guten Seiten der neuen Reifeprüfung hervorheben, und nicht wieder und wieder ihre Mängel betonen – auch, wenn es diese natürlich gibt. Letztlich sollten Lehrer ihre Schüler vor allem gut auf die Abschlussklausur vorbereiten – und nicht Panik verbreiten. Und Schüler sollen nervös sein dürfen – sich aber nicht fürchten müssen vor einem Monster, das keines ist.

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