Wolfgang Anzengruber bezeichnet die Energiestrategie der Regierung als "eher euphorisch". 2030 sollen 100 Prozent des in Österreich verbrauchten Stroms aus Erneuerbarer Energie stammen.
Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber findet die Ziele zum Ausbau erneuerbarer Energieträger bis 2030 gut und wichtig. Technisch seien sie auch erreichbar. Aber angesichts der gesellschaftlichen Widerstände und der kurzen Zeit bis 2030 "müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass einige dieser Ziele nicht erreichbar sein werden", sagte er am Freitag im Klub der Wirtschaftspublizisten.
Er verteilt zwar Lob die vor wenigen Wochen beschlossene Energiestrategie der Regierung. In der Zielsetzung sei sie allerdings "eher euphorisch". Innerhalb von zwölf Jahren soll die in Österreich verbrauchte Strommenge zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energieträgern gedeckt werden können. Derzeit sei man bei etwa 75 Prozent. "Wir bräuchten zwei Mal die Donau noch zusätzlich", so Anzengruber. Es müssten nämlich noch einmal 30 bis 35 Terawattstunden an Leistung gebaut werden - das entspricht zwei Mal der ganzen Strommenge, die aus Donaukraftwerken gewonnen werden kann.
Anzengruber plädiert aber auch dafür, nicht landwirtschaftliche genutzte Freiflächen für den Bau von Fotovoltaikanlagen freizugeben. Grundsätzlich brauche Österreich nicht unbedingt neue Gesetze, es würde schon sehr helfen, wenn bei Ausschreibungen die Fristen eingehalten werden, so Anzengruber mit Verweis darauf, dass die Genehmigung der 380-kV-Leitung in Salzburg auch nach 15 Jahren noch nicht vorliegt.
Anzengruber versichert, dass der Verbund keinesfalls mehr in CO2-emittierende Kraftwerke investieren wird. Geld für Investitionen stünde zur Verfügung, manche fertig geplante Projekte könnten aber nicht verwirklicht werden, weil die Genehmigungen lange dauern oder nötige Stromleitungen fehlen. Für Anzengruber sind die großen Themen Speicher und Flexibilisierung - dazu gehören digitale Lösungen und Leitungen, um eine bessere Verbindung zwischen Stromerzeugern und Stromverbrauchern herzustellen. Hier müsse investiert werden.
Auch Effizienzgewinne seien möglich - so bringe die Modernisierung des Donaukraftwerkes Ybbs eine Mehrleistung, die dem Bau eines neuen Kraftwerkes an der Mur entspricht.
Stabilisierung des Strommarkts wichtig
Ein großes Thema ist die Stabilisierung des Strommarktes, die durch schwankende Produktion von Wind-, Solar- und Wasserkraft wichtiger wird. Dazu müssen fossile Kraftwerke in Reserve gehalten werden, um einzuspringen sobald die erneuerbare Produktion nicht passt.
Der Verbund steuert in das Reservesystem das Kraftwerk Mellach bei, mit rund 850 MW Leistung. Das entspricht einem Viertel der gesamten benötigten Reserve von rund 3000 MW. Alleine die Reservehaltung von Mellach kostet - mit Schwankungen je nach Bedarf - in der Größenordnung von 10 Millionen Euro im Jahr. Derzeit wird über eine Verlängerung der Reservehaltungsverträge verhandelt, die am 30. September auslaufen. Ohne Engpassmanagement werde es zumindest die nächsten zehn Jahre nicht gehen, sagt Anzengruber. Zuletzt hat die für das Stromnetz zuständige Verbund-Tochter APG an 300 von 365 Tagen zur Stabilisierung des Netzes eingreifen müssen, ein Jahr davor waren es erst 100 Tage. "Das wird nicht weniger werden", erwartet Anzengruber.
Unverändert schmerzhaft ist für Anzengruber, dass ab 1. Oktober die Strommärkte von Österreich und Deutschland getrennt werden. Wenn es also künftig Engpässe in Europa gibt, kann die Grenze zwischen Deutschland und Österreich für Stromtransfers dichtgemacht werden. Die maximale Durchleitung wird von 10.000 MWh auf 4.900 MWh halbiert. Damit werden Deutschland und Österreich künftig unterschiedliche Strompreise haben. "Wenn man physikalisch richtig handeln würde, müsste man Deutschland teilen" in einen Norden mit viel Windenergie und einen Süden. In Mitteldeutschland liege wegen fehlender Stromleitungen der Engpass, sagt Anzengruber. Die Trennung zwischen Österreich und Deutschland sei "irrational". Allerdings bleibe nur ein kleiner Teil des Stroms, der derzeit von Deutschland nach Österreich kommt, in Österreich: 60 Prozent gehen weiter nach Osteuropa.
(APA)