Für viele Türken verkörpert Recep Tayyip Erdoğan den autoritären Familienvater, der Geborgenheit gibt und mit der kemalistischen Tradition brach.
Istanbul. Wen sie denn wählen werden? Fast mitleidig blicken die beiden Frauen in einer Fußgängerzone von Istanbul. Das sei doch keine Frage, sagt die Mittvierzigerin im blauen Sommermantel mit pastellfarben abgestimmtem Kopftuch. Natürlich wähle sie Recep Tayyip Erdoğan und seine AKP, sagt sie. Dafür gebe es viele gute Gründe, aber vor allem diesen: „Wir müssen nur an früher denken, dann ist das gar keine Frage.“
Die AKP-Wählerin benennt treffend, warum die Hälfte der türkischen Bevölkerung stets für Erdoğan stimmt – gleich, wie korrupt und brutal die AKP inzwischen regiert und wie konziliant und konstruktiv die Opposition sich zeigt. Auch vor der morgigen Parlaments- und Präsidentenwahl stehen viele Erdoğan-Anhänger treu zu ihrem Präsidenten. Die Ausgrenzung und Diskriminierung der fromm-konservativen Anatolier in den ersten 80 Jahren der türkischen Republik sind Generationen von türkischen Wählern tief ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Erst eineinhalb Jahrzehnte ist die Revolution an der Wahlurne her, mit der die AKP die Machtverhältnisse umkehrte – noch nicht lange genug, dass ihre Wähler sich sicher fühlen oder gar den einstigen Machthabern der Republik vertrauen.