Frauenrechtlerin Seyran Ates: "Kopftuch bei Kindern ist Kindesmissbrauch"

Seyran Ates
Seyran Ates(c) Samuel Kreuz/www.superberg.at
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Minderjährige Mädchen, die ein Kopftuch tragen müssten, würden sich später ohne Kopftuch nackt fühlen. Eine reflektierte, freiwillige Entscheidung für oder gegen das Kopftuch im Erwachsenenalter sei damit kaum möglich - ebensowenig wie ein gesundes Verhältnis zu Sexualität.

"Wenn man Mädchen ein Kopftuch aufsetzt, nimmt man ihnen die Kindheit und sexualisiert sie. Man drängt sie in die Rolle eines Sexualobjekts und schränkt sie in ihrer Entwicklung ein, das ist für mich Kindesmissbrauch", sagte die deutsche Juristin, Autorin und Frauenrechtlerin Seyran Ates bei einer Podiumsdiskussion am Freitagabend im Konzerthaus Klagenfurt zum Thema Gleichberechtigung, Islam und patriarchale Strukturen. Die betroffenen Kinder würden sich später ohne Kopftuch nackt fühlen, eine reflektierte, freiwillige Entscheidung für oder gegen das Kopftuch im Erwachsenenalter sei damit kaum möglich.

Die Schule sowie der öffentliche Bereich müssten daher neutral bleiben, um den Kindern Raum zu geben, sich frei zu entwickeln. Neben dem Verbot des Kopftuchs (Ates spricht sich für ein Verbot bis zum 18. Lebensjahr aus) brauche es aber auch die verstärkte Vermittlung von politischer Bildung: "Wir müssen jungen Menschen stärker vermitteln, was unsere Demokratie ausmacht, welche Rechte und Freiheiten in unserer Verfassung garantiert sind und was diese für uns und für unser Zusammenleben bedeuten."

"Keine Einzelfälle"

Die Berlinerin mit türkischen und kurdischen Wurzeln engagiert sich seit 30 Jahren als Rechtsanwältin für Frauenrechte und berät Frauen, die von Zwangsheirat oder Genitalverstümmelung betroffen sind. "Die Frauen, die zu mir kommen, sind keine Einzelfälle, diese entsetzlichen Geschichten sind nur die Spitze des Eisbergs", sagte sie bei dem vom Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) organisierten Podiumsgespräch mit "Presse"-Redakteur Köksal Baltaci. "Muslimische Frauen sind häufiger von diesen schrecklichen Phänomenen betroffen, deshalb engagiere mich insbesondere für eine Reform des Islam. Es braucht eine zeitgemäße Auslegung."

Entscheidend dafür sei, Missstände klar anzusprechen und sich mit Problemen auseinanderzusetzen. Ates: "Wenn wir abwarten, dass eine Modernisierung von alleine passiert, wird nichts passieren. Man muss die Mächtigen herausfordern, dann kann etwas in Bewegung kommen."

Liberale Moschee in Berlin

Ates gründete vor genau einem Jahr in Berlin eine liberale Moschee, in der Männer und Frauen gemeinsam und gleichberechtigt beten können. "Ich habe diese Moschee gegründet, damit wir nicht allein den Islamverbänden, die vielfach politisch durch das Ausland beeinflusst sind, die Deutungshoheit darüber überlassen, wie der Islam in Deutschland oder Österreich auszusehen hat", sagt sie. "Es liegt an uns Liberalen zu zeigen, dass es nicht nur einen rückwärtsgewandten Islam gibt, sondern auch einen modernen, zeitgemäßen, der für Gleichberechtigung und Integration steht und so auch tatsächlich in Europa angekommen ist."

"Nutzt eure Chancen"

Am Tag zuvor fand eine Podiumsdiskussion zum selben Thema im Kunsthaus Graz statt, bei dem sich Ates unter anderem für ein Verbot von stark sexualisierter Werbung aussprach. Es gebe keinen Grund, beispielsweise einen Neuwagen mit einer halbnackten Frau anzupreisen.

Zudem besuchte sie das Akademische Gymnasium in Graz und sprach gemeinsam mit den Integrationsbotschaftern Sabina Dzalto und Pujan Rohani von der Initiative Zusammen:Österreich mit rund 90 Schülern über ihren Werdegang. "Ich kam als Gastarbeiterkind nach Deutschland. Sprache und Bildung waren für mich die Türöffner in die deutsche Gesellschaft", erzählte sie. "Wenn man eine Sprache spricht, öffnet sich eine neue Welt, man versteht erst dann die Kultur, in der man lebt." Ates betonte, dass gerade Mädchen gefordert seien, ihre Chancen in der Schule zu nutzen: "Ich habe mich als Mädchen oft meinen Brüdern unterordnen müssen, habe immer dafür kämpfen müssen, gleichberechtigt zu sein. Ihr habt heute viele Chancen, nutzt sie."

(Red.)

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