Jeder zweite Österreicher würde für guten Job ins Ausland gehen

Regen in Londons Canary Wharf. Die Stadt ist für schlechtes Wetter bekannt und dennoch der beliebteste Arbeitsort.
Regen in Londons Canary Wharf. Die Stadt ist für schlechtes Wetter bekannt und dennoch der beliebteste Arbeitsort.(c) REUTERS (Toby Melville)
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Immer weniger Menschen sind bereit, für den Job umzuziehen. Länder und Firmen müssen aktiv werben, um die drohende Lücke zu füllen. London macht viel richtig, Wien immer mehr.

Vor vier Jahren war die Welt eine andere. Barack Obama war US-Präsident, die Flüchtlingsströme hatten Europa noch nicht erreicht, Großbritannien hatte noch nicht die Scheidung von der EU eingereicht. „Einige Arbeitsmärkte gaben sich seit 2014 ein restriktiveres und nicht so einladendes Image“, sagt Rainer Strack. „Andere Länder hatten eine starke wirtschaftliche Entwicklung. Warum daher ins Ausland gehen?“
Das fragen sich heute mehr Menschen als noch vor vier Jahren. Die Bereitschaft, für einen Job die Zelte in der Heimat abzubrechen und fortzuziehen, sank seit 2014 von 64 auf 57 Prozent. Das zeigt die heute, Montag, veröffentlichte Studie „Decoding Global Talent“ von Strack und seinen Kollegen von der Boston Consulting Group (BCG), die sie gemeinsam mit der Jobbörse Stepstone durchgeführt haben.

Für weniger glamouröse Jobs – Hotelpersonal, Altenpfleger, Bauarbeiter – gestaltet sich die grenzübergreifende Suche noch schwieriger: Menschen mit Gymnasial- oder Hauptschulabschluss, die diese Stellen in Erwägung ziehen könnten, sind mit 50-prozentiger Bereitschaft zu siedeln immobiler als besser Ausgebildete.

Die Arbeit kommt in der Wolke

Der Schluss, dass die befragten 366.000 Arbeitnehmer aus 197 Ländern nur aufgrund der vielerorts verschärften Handels- und Asylpolitik und nationalistischer Tendenzen seit der letzten Studie 2014 immobiler werden, greife aber zu kurz, betonen die Autoren. Auch die Arbeit selbst werde zunehmend mobiler und globaler – und komme via Internet zu den Menschen. Umziehen ist heute oft unnötig.

Strack warnt Staaten und Unternehmen im Interview mit der „Presse“ dennoch, die Zeichen der Zeit zu ignorieren: „Wir werden in den nächsten Jahren in eine dramatische demografische Lücke hineinlaufen – egal, ob in Deutschland, Österreich, China oder Russland.“ Die ehemals umzugsbereiten Scharen aus osteuropäischen Ländern wie Polen, Kroatien oder der Slowakei sehen bessere Karrierechancen in ihrer nächsten Umgebung und bleiben daheim. Gleiches gelte für China. Verschärfend komme die Digitalisierung hinzu: „Wir haben in Zukunft nicht nur zu wenig, sondern auch falsch ausgebildete Arbeitskräfte.“

Was zu tun ist? „Wir brauchen einen Plan.“ Unternehmen und Länder müssten zuerst wissen, an welchen Arbeitskräften es mangeln wird. „Dann müssen sie diesen einen Grund geben, warum sie zu ihnen kommen sollen. Momentan gibt es Bestrebungen, die eher in Richtung Ablehnung der Talente gehen.“ Vor allem in höher qualifizierten Positionen gehe es nicht ohne Zuzug, sagt Strack.

„Sonst werden wir die wirtschaftliche Entwicklung nicht beibehalten können.“ Österreich hat grundsätzlich gute Karten im Wettbewerb um die Talente. Die „Marke“ Wien zieht. Die Stadt liegt in der BCG-Studie auf Rang 13 der begehrtesten Städte für einen Arbeitsaufenthalt im Ausland – vier Plätze besser als 2014. Wien strahle Innovationskraft und Stabilität aus, sagt Strack.

„Für Hochqualifizierte geht es nicht allein um die Arbeit an sich, sondern um die Attraktivität der Stadt – und da gewinnt Wien.“ Ganz Österreich liegt auf Platz elf, unter Arbeitnehmern mit dem höchsten Ausbildungsniveau unter den Top Ten. Für Arbeitskräfte aus Südost- und Osteuropa bleibt das Land Wunschziel Nummer eins – vor allem im Gesundheits- und Rechtsbereich und in Produktion, Verkauf und Logistik.

Österreicher siedeln ungern

Jeder zweite Österreicher wäre seinerseits gewillt, für den Beruf umzuziehen – das ist deutlich weniger als in Brasilien (90 Prozent) oder Indien (70 Prozent). Aber auch Briten oder Franzosen sind mit 62 und fast 70 Prozent deutlich mobiler. Sofern Österreicher ins Ausland siedeln würden, locken sie die Klassiker: London, New York und Berlin sind vorn dabei.

Das ist laut Strack der beste Beweis dafür, dass es am Ende um die Marke geht. Habe sich eine Stadt einmal einen Namen gemacht, verliere sie auch durch Brexit-Referendum oder einen Präsidenten Trump nicht an Strahlkraft.

Auf einen Blick

Jobmobilität. Die Boston Consulting Group befragte gemeinsam mit der Jobbörse Stepstone vier Monate lang 366.000 Arbeitnehmer aus 197 Ländern, ob sie für den Beruf ins Ausland gehen – und was dieser bieten müsste. Weltweit sind 57 Prozent bereit, weniger als 2014. In wenig stabilen Ländern, bei der Generation unter 30 und bei IT-Arbeitskräften liegt die Zahl höher. Die USA sind nach wie vor am attraktivsten, dahinter folgt Deutschland. Die frühere Nummer zwei Großbritannien fiel nach der Brexit-Wahl auf Platz fünf. London konnte sich vor New York und Berlin als beliebteste Stadt halten. Wien liegt auf Platz 13.

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