"Tarpaulins", ein Essayfilm der Wienerin Lisa Truttmann, lässt sich von bunten Häuser-Abdeckplanen in Los Angeles zu einem irrlichternden Gedankenparcours verleiten.
Unübersehbar prangen sie zwischen den Reihenhäusern von Los Angeles. Ihre dicken Häute aus Persenning heben und senken sich wie Flanken riesenhafter Fabelwesen, bunte Zebrastreifen wallen im Wind. Der Anblick macht neugierig: Hat sich ein Zirkusunternehmen im Standort geirrt? Ist es ein Kunstprojekt im Geiste Christos? Das fragte sich die Wiener Filmemacherin Lisa Truttmann, als sie im Zuge ihres Studiums am California Institute of the Arts erstmals auf diese farbenfrohen Zelte stieß, die deutlich aus dem Weichbild von L.A. hervorstachen. Ihr Ursprung? Die Desinfektion von Wohnhäusern. Abdeckplanen verhindern den Austritt des Giftgases, das Termiten den Garaus machen soll. Bunt sind sie schlicht, weil das schöner aussieht. Eigentlich recht prosaisch und in Kalifornien seit langem Praxis – aber dennoch apart genug, um zum Spintisieren anzuregen.
Dezidiert auf der Seite der Insekten
Und Truttmanns CalArts-Abschlussfilm „Tarpaulins“ lässt sich nicht zweimal bitten. Er philosophiert mit großem Vergnügen drauflos, lässt sich von den bunten Gebilden zu einem Gedankenparcours verleiten, der jede Abschweifung als Gelegenheit sieht, sein schillerndes Themenspektrum zu erweitern. Dies ist keine Doku über Zeltplanen (was zugegebenermaßen alles andere als verlockend klingt), sondern ein Filmessay à la Chris Marker, der verschlungene Assoziationswege durch sein eigenes Erzählgehäuse bahnt – ohne Rücksicht auf dessen Stabilität.
Wer jetzt an die schon erwähnten Termiten denkt, liegt natürlich nicht falsch. „You think like a termite – you're kind of all over the place“, sagt eine Stimme des polyfonen, englischsprachigen Off-Kommentars an einer Stelle. Eine Anspielung auf einen Aufsatz des Filmkritikers Manny Farber, in dem brüchige, subversiv wuselnde Termitenkunst monumentaler „White Elephant Art“ entgegengestellt wird. „Tarpaulins“ verortet sich mit seinem sprunghaften Montagestil dezidiert auf der Insekten-Seite.
Während sich auf der Bildebene Ansichten greller Faltenwürfe, Blicke hinter die Kulissen der Abdeckung und flächige Großaufnahmen zerfressener Bretter munter abwechseln, lässt die verspielte Tonspur den Überlegungen der Regisseurin ebenso freien Lauf wie den Betrachtungen verschiedenster Interviewpartner. Kammerjäger erklären ihre Zunft, mexikanische Dacharbeiter skizzieren ihre Herkunft. Ein Entomologe sinniert über das Wesen der Schädlinge, die aus Naturperspektive nur „ihren Job machen“. Auch ein Atmosphärenchemiker kommt zu Wort. So entsteht Stück für Stück ein kaleidoskopisches L.A.-Porträt, das man auch als Ergänzung zu Thom Andersons Filmmetropolenerkundung „Los Angeles Plays Itself“ sehen kann (Anderson unterrichtet am CalArts, Truttmann nennt ihn in einem Interview als Ideengeber). Es versammelt etliche ungewöhnliche Perspektiven auf die Stadt – interessant sind aber beileibe nicht alle davon. Manchmal droht die 74 Minuten kurze Ideenpromenade in ihrer kursorischen Zerstreutheit komplett zu zerbröseln. Dann beschleicht einen der Gedanke: Nur weil einem etwas ins Auge fällt, muss man nicht gleich einen Film darüber machen. Aber „Tarpaulins“ bietet genug Einfälle, um diesen Gedanken zu unterdrücken – und Neugierde zu wecken auf Truttmanns nächsten Film.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2018)