Die Türkei kennt keine Hochrechnungen, veröffentlicht wird nur das, was ausgezählt wurde. Dabei in der Kritik: die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Die Opposition ortet "Manipulation".
Im April 2017 war es ein ähnliches Spielchen, das es den Nachrichtenredakteuren weltweit erschwert hat, ein Ergebnis vorherzusagen. Als die ersten Stimmen beim türkischen Verfassungsreferendum ausgezählt wurden, war das "Ja"-Lager von Präsident Recep Tayyip Erdogan weit voraus - mit über 60%. Doch der Abend sollte alle eines Besseren belehren. Je später es wurde, desto massiver schmolz der Vorsprung, bis schließlich nur eine knappe Mehrheit des Ja-Lagers mit 51,5% übrig blieb.
Denn Hochrechnungen, in denen nach Kriterien wie Region, Wahlverhalten, Wählerzusammensetzung etc. die Auszählungen interpretiert werden, gibt es in der Türkei nicht. Veröffentlicht wird das, was ausgezählt wurde und das noch dazu von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, die von der Opposition und internationalen Beobachtern skeptisch beobachtet wird. Auch bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am Sonntag war es so: Erdogan bzw. AKP lagen weit voran, der Vorsprung schmolz allerdings von Stunde zu Stunde. Dass Erdogan vorne liegt, daran bestand nie Zweifel, wie groß der Abstand zur Konkurrenz ist, das blieb lange offen. Damit müssen manche Journalisten auch umgehen lernen. Man wartet eben, bis fertig ausgezählt ist, um echte Aussagen treffen zu können.
Manipulationsvorwürfe
Doch das System hat den Nachteil, dass es Manipulationsvorwürfen die Tür öffnet. Anadolu ist die einzige offizielle Quelle für Teilergebnisse. Die Agentur hatte Erdogan kurz nach Beginn der Auszählung noch bei mehr als 60 Prozent gesehen. CHP-Sprecher Bülent Tezcan rief die Bürger dazu auf, sich vor der Wahlkommission in Ankara zu versammeln und dort bis zum Morgen auszuharren. Tezcan sagte, nach den seiner Partei vorliegenden Teilergebnissen habe Erdogan zu keiner Zeit 48 Prozent der Stimmen überschritten. "Wir rufen alle unsere Bürger in 81 Provinzen dazu auf, in den Bezirken vor die Wahlkommissionen zu gehen. Haltet Wache bis morgen früh, sowohl vor den Wahlkommissionen in den Bezirken, als auch vor der Wahlkommission in Ankara."
Die "Plattform für faire Wahlen" aus Wahlbeobachtern der Opposition sah Erdogan deutlich unter den Teilergebnissen von Anadolu - jedoch auf der Basis von nur 11,7 Prozent der ausgezählten Stimmen. Demnach kam Erdogan auf 43,51 Prozent, Konkurrent Muharrem Ince auf 33,92 Prozent. Ince rief seine Anhänger nach Schließung der Wahllokale auf, sich nicht von zunächst oftmals hohen Teilergebnissen von Anadolu für Erdogan "in die Irre führen" zu lassen
(klepa/APA)