Wahlverlierer Ince: Türkei ist jetzt "Ein-Mann-Regime"

Muharrem Ince
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Herausforderer Muharrem Ince räumt seine Niederlage ein. Das neue auf Erdogan zugeschnittene Regierungssystem nennt er "sehr gefährlich".

Der wichtigste Herausforderer von Recep Tayyip Erdogan hat dessen Sieg bei der türkischen Präsidentenwahl am Sonntag anerkannt. Er akzeptierte das offizielle Wahlergebnis, sagte Oppositionskandidat Muharrem Ince am Montag in Ankara. Zugleich kritisierte er Manipulationen und warnte  vor der Machtfülle Erdogans. Die Türkei sei von nun an ein "Ein-Mann-Regime". Das neue Regierungssystem sei "sehr gefährlich".

Mit den Wahlen wurde die Einführung des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems abgeschlossen. Erdogan wird künftig Staats- und Regierungschef und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft.

Es seien Stimmen "gestohlen" worden, sagte Ince. Andererseits gebe es einen Unterschied von zehn Millionen Stimmen zwischen ihm und dem Wahlsieger Recep Tayyip Erdogan. In dieser Situation wäre es falsch gewesen, zu Straßenprotesten aufzurufen, sagte Ince.

Ince an Erdogan: "Sie vertreten 80 Millionen"

Ince rief Erdogan auf, nicht als AKP-Vorsitzender zu regieren, sondern der Präsident aller Türken zu sein. "Sie vertreten 80 Millionen", sagte Ince an Erdogan gewandt. "Sie sind unser aller Präsident. Umarmen Sie alle." Zugleich äußerte er scharfe Kritik am Präsidialsystem, das mit der Wahl in der Türkei in Kraft trat und die Macht des türkischen Staatschefs erheblich erweitert. "Dies ist ein bleibendes Problem. Dies wird eine Gefahr für die Türkei bleiben."

Ince wies Berichte zurück, dass er am Wahlabend bedroht worden sei. Tatsächlich sei er nicht aufgetreten, weil er das Ergebnis habe abwarten wollen. Es sei jedoch ein "Fehler" gewesen, sich nicht bereits am Wahlabend öffentlich zu äußern, sagte er. Zugleich entschuldigte er sich für eine Nachricht, in der er seine Niederlage eingestand und die am Sonntagabend im Fernsehsender Fox verlesen worden war. Diese sei nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, sagte Ince.

Die Türkei müsse nun "Atem holen", sagte der CHP-Kandidat. Er dankte allen, die ihn im Wahlkampf unterstützt hatten, sowie den Beobachtern, welche die Abstimmung überwacht hatten. Wie seine Partei nun weiter vorgehe, sei nicht allein an ihm zu entscheiden, sagte Ince. Der Kampf werde aber weiter gehen. "Wir werden weiter kämpfen, bis die Türkei eine Türkei für alle ist", sagte der 54-jährige Abgeordnete. "Meine Agenda ist die Türkei."

In der Pressekonfernz gab es auch einen Aufreger: Ince fragte vor seiner Erklärung in der Zentrale der größten Oppositionspartei, der linksliberalen CHP, ob auch ein TRT-Journalist anwesend sei. Als dieser sich meldete, bat Ince den Reporter, den Raum zu verlassen. Der Staatssender habe seine großen Wahlkampfveranstaltungen ignoriert, sagte Ince als Begründung. Der TRT-Journalist verließ daraufhin die Pressekonferenz. 

Kneissl: Türkei kein Beitrittskandidat

Die Türkei sei "aus österreichischer Sicht kein (EU-)Beitrittskandidat", betonte Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) am Montag nach den Wahlen in der Türkei vor einem EU-Außenministerrat in Luxemburg. "Wir streben vielmehr eine strategische Partnerschaft mit der Türkei an", verwies Kneissl auf das Regierungsprogramm.

Der Delegationsleiter der ÖVP im Europaparlament, Othmar Karas, sieht den Ausgang der Türkei-Wahlen als "weiteren Schritt weg von der EU". Denn das Votum führe nun zu einer Umsetzung der Verfassungsänderung in der Türkei und damit entspreche das Land am Bosporus nicht mehr den Kopenhagener Kriterien, die Voraussetzungen für Beitrittsverhandlungen mit der EU seien. Die Gewaltenteilung in der Türkei entspreche nicht mehr rechtsstaatlichen Kriterien. Der Präsident erhalte mehr Macht, könne die Justiz stärker kontrollieren und selbst Neuwahlen ausrufen, kritisierte Karas.

(APA)

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